Cannabiskonsum führt letztlich stets zur Plünderung des nächsten verfügbaren Kühlschranks; Schokolade und Co werden dann ebenfalls dankbar angenommen. Woher die appetitfördernde Folge des Kiffens – im englischsprachigen Raum heißt der Heißhunger "Munchies" – kommt, ist teilweise noch unklar. Möglicherweise spielt hier das Geruchssystem eine tragende Rolle. Zumindest Mäuse zeigten bei einer Studie unter Cannabinoideinfluss erhöhte Aktivität im Riechkolben des Gehirns.

Ein spezielles Nervennetzwerk in einer Region des Hypothalamus dürfte ebenfalls mitverantwortlich sein. Insgesamt dürften Marihuana-induzierte Heißhungerattacken jedenfalls auf einem sehr ursprünglichen Mechanismus beruhen, denn selbst Fadenwürmer sind nicht davor gefeit. Die winzigen, recht einfach strukturierten Tiere, fraßen im Labor nach dem Kontakt mit Endocannabinoiden, einer körpereigenen, Cannabis-ähnlichen Substanz, deutlich mehr und bevorzugten auch nahrhafteres Futter als im nüchternen Zustand.

Im Durchschnitt dünner

Eigentlich müsste man daher annehmen, dass der durchschnittliche Cannabis-Dauerkonsument allein schon wegen der appetitanregenden Wirkung im Schnitt mehr wiegt als eine zufällig auf der Straße ausgewählte Person. Verblüffenderweise ist dem nicht so: Mehrere Studien konnten zeigen, dass Menschen, die häufig Cannabis konsumieren, im Durchschnitt dünner sind. So stellte etwa die University of Miami 2016 unter regelmäßigen Kifferinnen einen niedrigeren Body-Mass-Index (BMI) fest im Vergleich zu Frauen, die kein Cannabis zu sich nahmen. Manche Fachleute trauen Cannabinoid deshalb auch einiges in der Adipositastherapie zu.

Ein Cannabisenthusiast bei einer Pro-Marihuana-Demonstration in Madrid.
Ein Cannabisenthusiast bei einer Pro-Marihuana-Demonstration in Madrid. Häufiges Kiffen in der Jugend könnte Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Fettzellen haben, fanden nun US-Forschende heraus.
Fotos: IMAGO/David Canales

Woher diese Tendenz zur Schlankheit unter Dauerkonsumenten kommt, könnte nun ein Team von der University of California, Irvine, herausgefunden haben. Einen gangbaren Weg zur Gewichtsreduktion mit Cannabishilfe eröffnen die neuen Ergebnisse allerdings nicht: Der Grundstein für diesen Zusammenhang wird nämlich offenbar bereits in der Jugend gelegt.

Die Schattenseiten

Viele Erwachsene, die täglich oder annähernd jeden Tag Cannabis zu sich nehmen, beginnen häufig schon im Teenageralter mit dem Konsum, schreiben die Forschenden um Daniele Piomelli im Fachjournal "Cell Metabolism". In dieser Zeit der raschen körperlichen Entwicklung kann Cannabis die fein abgestimmten Prozesse der Energiespeicherung durcheinanderbringen. Eine der Folgen ist eine geringere Anfälligkeit für Fettleibigkeit, eine andere, durchaus problematische: Die Betroffenen sind auch nicht so gut in der Lage, gespeicherte Nährstoffe zu mobilisieren, die für die Gehirn- und Muskelaktivität benötigt werden.

Für ihre Untersuchungen verabreichten die Forschenden heranwachsenden Mäusen für eine begrenzte Zeit täglich eine niedrige Dosis THC. Als die Tiere das Erwachsenenalter erreicht hatten, führte das Team eine gründliche Analyse ihres Stoffwechsels durch. Die Ergebnisse überraschten die Wissenschafter: Mäuse, die als Jugendliche mit THC behandelt worden waren, nun aber drogenfrei waren, wiesen eine geringere Fettmasse und eine höhere Magermasse auf und waren teilweise resistent gegenüber Adipositas und einem krankhaft erhöhten Blutzuckerspiegel.

Muskelproteine, wo keine sein sollten

Ihre Körpertemperatur war außerdem überdurchschnittlich hoch, und sie waren nicht in der Lage, Energie aus den Fettspeichern zu mobilisieren. Mehrere dieser Symptome kannte man bereits von Menschen, die Cannabis in größeren Mengen konsumieren. Um herauszufinden, was dahinter steckte, nahmen die Forschenden die vom THC verursachten molekularen Veränderungen genauer unter die Lupe.

Auf den ersten Blick sahen die Fettzellen der mit THC behandelten Mäuse unter dem Mikroskop normal aus. Doch eine genauere Untersuchung zeigte, dass die Fettzellen große Mengen an Muskelproteinen herstellten, die normalerweise nicht im Fett vorkommen. In den Muskeln hingegen wurden weniger dieser Proteine gebildet. Offenbar beeinträchtigte der Aufwand, der zur Herstellung dieser "fremden" Proteine erforderlich ist, die gesunde Funktion der Fettzellen, nämlich Nährstoffe und Energie zu speichern und wieder abzugeben.

Folgen für körperliche und geistige Gesundheit

Diese Prozesse könnten sich sowohl auf die körperliche Aktivität als auch auf Vorgänge im Gehirn auswirken, mit Folgen etwa für die Konzentrationsfähigkeit. "Allzu oft denken wir an Cannabis als ausschließlich psychoaktive Droge", sagte Piomelli. "Aber seine Wirkung geht weit über das Gehirn hinaus." Sein Hauptbestandteil THC gleicht einer Gruppe chemischer Botenstoffe – und hier liegt laut dem Forscher die Gefahr: "Diese Endocannabinoide regulieren wichtige Prozesse im gesamten Körper. Eine Beeinträchtigung der Endocannabinoid-Signalübertragung in der Jugend kann daher die Funktionsfähigkeit der Fettorgane dauerhaft stören – mit Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit." (Thomas Bergmayr, 3.6.2023)