Stefan Brändle aus Paris

Der Befund ist unangenehm für eine Partei, die sich als Summum des Patriotismus versteht: Der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen vertritt nicht nur französische Sichtweisen und Thesen, sondern auch jene eines anderen Landes. Ein neuer Untersuchungsbericht der Nationalversammlung in Paris kommt zum Schluss, dass sich die Lepenisten als Advokaten der russischen Staatsführung betätigen. Sie seien gar der "Übertragungsriemen" des Moskauer Regimes von Wladimir Putin in Paris.

Die "Ausrichtung auf den russischen Diskurs" – und dies in Abwendung von französischen Positionen – sei 2014 augenfällig geworden, schreiben die Verfasser: Damals habe Le Pen jede Kritik an der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland unterlassen. Auffälligerweise habe der RN nur wenige Monate zuvor einen Kredit von 9,4 Millionen von der First Czech Russian Bank erhalten. Diese falle in Putins Einflussbereich.

Anhaltende Vorwürfe

Le Pen hatte in einer mehrstündigen Anhörung vor dem Parlamentsausschuss bestritten, dass mit diesem Kredit irgendwelche politischen Zusagen verbunden gewesen seien. Die RN-Gründerin hatte die Einsetzung einer Untersuchungskommission selbst verlangt, um die seit langem zirkulierenden Vorwürfe eines russophilen Verhaltens zu entschärfen.

Marine Le Pen vor dem Hearing der parlamentarischen Untersuchungskommission.
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Während der Anhörung führte sie allerdings selbst aus, Putin habe sein Land auf "bewundernswerte" Weise saniert und "in das Konzert der Nationen zurückgeführt". Die Vorsitzende des Le-Pen-Putin-Ausschusses, die Macronistin Constance Le Grip, twitterte, Le Pen verteidige mit Putin einen Despoten, der verantwortlich sei "für die Gräueltaten in der Ukraine, die Morde an Anna Politkowskaja und Boris Nemzow, Vergiftungen, Repression, Autokratismus, illegale Krim-Annexion und Angriffe auf französische Interessen". Die letzte Bemerkung enthält auch den Vorwurf, dass Le Pen auch dann russische Positionen vertrete, wenn diese französischen Interessen zuwiderliefen.

Vorwurf der Politisierung

Die 54-jährige Rechtspopulistin wirft dem Bericht vor, er sei "unehrlich und völlig politisiert". Ihre Ansichten zu Russland hätten sich nach Erhalt des Kredites "nicht ein Jota" verändert. Das dürfte sogar zutreffen: Le Pen stand schon immer aufseiten Putins, den sie 2017 auch besucht hatte; erst heute verurteilt sie den russischen Einmarsch in die Ukraine. Waffenlieferungen des Westens zum Schutz der ukrainischen Demokratie lehnt sie ab.

Mit dem selbst verlangten Parlamentsbericht erzielt Le Pen ein Eigentor. Ihre Moskauer Affinitäten dürften ihr beträchtlich schaden. Zuvor hatte sie in der Covid-Zeit, dem Pensionskonflikt und der Immigrationsfrage jahrelang gepunktet. Derzeit führt ihre Partei die Wahlprognosen an. Le Pen selbst will sich 2027 für die Nachfolge von Präsident Emmanuel Macron bewerben. Es wäre ihre vierte Präsidentschaftskandidatur. Nur: Den Kredit aus Moskau hat sie immer noch nicht vollständig zurückbezahlt. (Stefan Brändle, 5.6.2023)