Heinz-Christian Strache bei seinem Rückritt am 18. Mai 2019.
Heribert Corn

Er hänge "Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden auf Ibiza rum" und verhandle über die Krone: Die Videobotschaft des TV-Satirikers Jan Böhmermann, die am 13. April 2019 auf der Romy-Gala eingespielt wurde, klang absurd. Doch Julian Hessenthaler, der "Regisseur" des Ibiza-Videos, verstand die Anspielung. Nun setzte sich eine Dynamik in Gang. Die Macher des Videos merkten, dass man sie auskundschaftete. Hessenthaler übergab das Material gratis an Spiegel und Süddeutsche.

Was wenige Leute auf dem Radar hatten: Böhmermann zeigte damals auch die Ausstellung Deuscthland#ASNCHLUSS#Östereich (sic!), die am 3. Mai 2019 im Grazer Künstlerhaus eröffnet wurde und sich kritisch mit Straches FPÖ auseinandersetzte. In einem Wandtext über das "nie vom Faschismus geheilte" Österreich, ein "Land wie eine Dose Red Bull", stand mittendrin die Frage: "Wer kauft die Kronen Zeitung?" Fotografieren und zitieren war in der Ausstellung verboten. Zwei Wochen später sahen darin manche Besucher der Schau, die bis 19. Juni lief, eine Ibiza-Anspielung.

Jetzt anhören: Mit dem Ibiza-Video bricht Straches Karriere in sich zusammen. Ein Super-GAU für die FPÖ. Das Protokoll eines tiefen Falls.

"Das war’s."

Doch schon ab 13. April 2019 rumorte es in der FPÖ. Straches Sicherheitschef Oliver Ribarich erfuhr von Anwalt M., einem Mitstreiter Hessenthalers, von dem Video. Ribarich informierte Strache, wie er dem STANDARD sagt. Strache habe ihn "nur angeschaut und ‚Hä?‘" gesagt. Doch bald ahnte sein Chef die Brisanz. Das belegt sein Chatverkehr mit Ribarich. Anfang Mai soll Strache an seinen Bodyguard in einer Mail geschrieben haben, dass er glaube, dass "beinhart" versucht worden sei, Personen aus seinem, Straches, Umfeld, zu bestechen – auch ihn, Ribarich. "Wenn auch indirekt."

Das sei "absoluter Schwachsinn", sagt nun Ribarich. Strache drängte ihn, in seinem Sinne etwas über seinen Kontakt zu Anwalt M. zu verfassen – der Leibwächter sträubte sich. Intern beteuert Strache, es sei nur eine "bsoffene Gschicht’" gewesen. "Deshalb hat niemand mit dieser Tragweite gerechnet", erinnert sich ein FPÖ-Mann. Das war nach dem Erscheinen des Videos schnell anders. Als am Freitag, dem 17. Mai 2019, um 18 Uhr die Ibiza-Recherche einschlägt, sitzen in Straches Büro: FPÖ-Kader, die heute in die Spesenaffäre verwickelt sind, Anwälte, ein Psychologe, Straches Ehefrau Philippa. "Es war eine sehr gedrückte Stimmung", sagt Ribarich. Strache habe von K.-o.-Tropfen gemurmelt. Ein Anwesender habe bemerkt, bei K.-o.-Tropfen verhalte man sich eigentlich anders. Dann kam Herbert Kickl ins Büro. "Absolute Stille", erinnert sich Ribarich. Dann sieht er Strache an und sagt: "Das ist der Super-GAU. Das war’s."

Straches Bodyguard
Straches Bodyguard
DER STANDARD

Der Anfang von Straches Ende

Anschließend besprachen Strache und Kickl mit Sebastian Kurz im Kanzleramt das Prozedere: Rücktritt als Vizekanzler und Parteichef, Norbert Hofer übernimmt. Philippa Strache habe bei Kurz urgiert, dass ihr Mann Vizekanzler bleiben müsse. Für Ribarich endete sein Tagesdienst wie so oft in der Nacht: Er chauffierte Heinz-Christian Strache heim. Am nächsten Tag tritt Strache zurück, die ÖVP erhebt Anspruch auf Kickls Innenministerium, die Koalition zerbricht, Neuwahlen werden ausgerufen. Strache und Ehefrau Philippa gehen zunächst offenbar davon aus, dass seine Partei ihn politisch reaktivieren werde. Dem bereitet vor allem die Spesenaffäre ein Ende. Sie wird im September 2019, wenige Tage vor der Nationalratswahl, publik. Dann geht es Schlag auf Schlag: Zuerst wird eine anonyme Anzeige publik, in der die Vorwürfe detailliert aufgeschlüsselt werden. Darauf folgen die vorübergehende Festnahme Ribarichs sowie dessen erstes Geständnis.

WKStA-Ermittlungen fertig

Seither wird ermittelt – und das Verfahren ist kompliziert. Es geht um die Frage, welche Parteigremien welche Beschlüsse gefällt haben; um rechtliche Details der Parteienförderung, aber auch um die Nachverfolgung einzelner Spesenbelege. Dazu kommt, dass Strache im Ibiza-Video davon sprach, dass man "über Vereine" spenden könne, ohne dass der Rechnungshof das mitbekomme.

Vier solche Vereine haben Ermittler im Umfeld der FPÖ identifiziert. Auch da werden Spesenausgaben intensiv geprüft. So sollen etwa Getränke bei einer Gedenkfeier für einen verwandten früheren FPÖ-Politiker über einen Verein abgerechnet worden sein.

Manches deutet darauf hin, dass der Verfahrenskomplex rund um FPÖ-Vereine zur Anklage kommt. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sagt auf Anfrage des STANDARD, dass die Ermittlungen abgeschlossen seien und an einem Vorhabensbericht gearbeitet werde. Das heißt freilich nur, dass die WKStA ihre Entscheidung über Einstellung, Anklage oder weitere Ermittlungen an ihre Oberbehörden übermittelt. 

Länger dauern dürfte es noch in der Grazer Finanzaffäre, die 2021 bekannt wurde. Ein anonymer Whistleblower, der die Geschäftsgebarung des blauen Gemeinderatsklubs an einzelne Medien schickte, sorgte für Unruhe. Im Herbst 2021 zeigte sich der Gemeinderatsklubdirektor selbst an und zahlte über 700.000 Euro, die er veruntreut haben soll, auf ein Konto der Staatsanwaltschaft ein. Wenig später trat die Parteispitze zurück: Der ehemalige Vizebürgermeister Mario Eustacchio wird verdächtigt, selbst eine halbe Million zuzüglich zu seinem Salär eingesteckt zu haben. Sein Klubchef, der bei einem ominösen Verein angestellt war, trat ebenso zurück.

Party auf dem Ballhausplatz am Tag nach dem Erscheinen des Ibiza-Videos. Demonstrierende verlangten Straches Rücktritt.
APA/HELMUT FOHRINGER

Verschwundene Millionen

Die Vereine und weitere fragwürdige Geldflüsse beschäftigen die Staatsanwaltschaft seit nunmehr zwei Jahren. Zur Halbzeit musste die Staatsanwaltschaft Klagenfurt übernehmen, da die Anklagebehörde in Graz den Fall wegen des Anscheins der Befangenheit abgab. Erst dann fanden erste Hausdurchsuchungen statt. Neben Finanzunterlagen beschlagnahmten die Ermittler bei zwei Männern auch NS-Material – als Zufallsfund.

Mittlerweile geht es um fast zwei Millionen Euro verschwundenes Fördergeld. Der neueste Beschuldigte ist Landesparteichef und Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek. Er wird verdächtigt, Beweise unterschlagen und falsch ausgesagt zu haben. Kunasek und FPÖ-Chef Kickl hatten zuvor sämtliche nicht direkt im Finanzskandal involvierten Grazer Funktionäre aus der Partei ausgeschlossen.

Finanzprüfer der Bundespartei war jahrelang ausgerechnet einer der Beschuldigten: Mario Eustacchio. Auf dem Parteitag nach Ibiza am 14. September 2019 freute sich Eustacchio, dass er gerade die Finanzgebarung der Bundes-FPÖ "der Jahre 2016, 17 und 18" geprüft habe. Alles "ordentlich geführt" und "keinerlei Grund zur Beanstandung", ruft Eustacchio von der Bühne den Parteifreunden zu.

Alle Beteiligten, abgesehen vom ehemaligen Grazer FPÖ-Klubdirektor, bestreiten die Vorwürfe. Es gilt die Unschuldsvermutung. (Oliver Das Gupta, Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, 3.6.2023)