Man muss es Joe Biden lassen: Er mag zwar gelegentlich stolpern, aber er beherrscht das politische Geschäft. Der Deal mit den Republikanern zur Anhebung der Schuldengrenze, der in der Nacht auf Freitag im Senat fixiert wurde, verhindert eine finanzielle Kalamität von globaler Dimension, die den US-Präsidenten die Wiederwahl hätte kosten können. Für das Abwenden der Staatspleite haben Bidens Demokraten nur wenige Zugeständnisse gemacht und den Großteil ihrer wirtschaftspolitischen Reformen der letzten beiden Jahre gerettet. Das hätte angesichts der radikalen Forderungen der Republikaner auch anders ausgehen können — mit massiven Rückschlägen für die Sozial- und Klimapolitik oder dem tatsächlichen Eintreten der Zahlungsunfähigkeit.

Dass Biden – und mit ihm die USA – überhaupt in diese Lage geriet, ist allerdings auch ihm zuzuschreiben. Er hätte die Schuldengrenze, ein fiskalpolitisches Unding, sofort nach der Kongresswahl im November 2022 anheben können, als seine Partei noch für ein paar Wochen die Mehrheit im Repräsentantenhaus hielt. Er hätte Verhandlungen mit dem republikanischen Kongressführer Kevin McCarthy verweigern können, wie er es anfangs angekündigt hatte, um stattdessen finanztechnische oder verfassungsrechtliche Umwege zu suchen, um dem Schuldendeckel die Zähne zu ziehen. Viele Parteifreunde und Kommentatorinnen haben ihn dazu gedrängt.

Gibt seinen Glauben an "bipartisanship" nicht auf: US-Präsident Joe Biden.
AP/Manuel Balce Ceneta

Biden schlug beides aus, zum Teil aus praktischen Gründen: Die demokratische Mehrheit war im letzten Kongress hauchdünn und stützte sich auf Leute wie Senator Joe Manchin, der im Trump-treuen West Virginia nur eine Chance auf Wiederwahl hat, wenn er zu seiner Partei Distanz hält. Und die empfohlenen Tricks hätten mehr Unsicherheit an den Finanzmärkten verursacht als die jetzt gelungene Einigung.

Aber Bidens Kurs wird auch von einer Haltung getrieben, die heute selten geworden ist. Der 80-Jährige glaubt daran, dass die USA nur mit Kompromissen regiert werden können. Seine ersten beiden Amtsjahre waren zwar von linken Reformen geprägt, die die Republikaner zur Weißglut brachten. Aber auch in der polarisierten Atmosphäre von Washington gibt Biden seinen Glauben an "bipartisanship" nicht auf.

Dieses Konzept ist nicht populär. Der rechte Flügel der Republikaner ist in Aufruhr, den McCarthy mit Siegesgeheul einzudämmen versucht. Auch bei den Demokraten überwiegt der Ärger über schmerzhafte Zugeständnisse, etwa die erweiterte Beschäftigungspflicht für Essensmarkenempfänger. Und in den Umfragen kommt Biden nicht vom Fleck.

Kompromissbereitschaft ist die Basis für Regierungsfähigkeit, aber sonst kein politisches Erfolgsrezept. Es ist viel leichter, den Gegner als Feind zu sehen denn als Partner, mit dem zu arbeiten sich auszahlt. Bei den Republikanern ist die Dämonisierung besonders verlockend; die Partei rückt seit Jahren immer weiter nach rechts und hat Hetze zu ihrem Programm gemacht.

Aber ein Mann wie Biden versteht, dass hinter diesen Kräften fast die Hälfte seines Volkes steht und er nicht gegen sie regieren kann. Diese Erkenntnis ist schmerzhaft; schließlich geht es in der Politik um Grundwerte wie Gerechtigkeit oder Schicksalsfragen wie den Klimawandel. Aber genauso wichtig ist es, ein Mindestmaß an nationalem Zusammenhalt zu bewahren – in den USA genauso wie in anderen Demokratien. (Eric Frey, 3.6.2023)