Schachtar Donezk wurde zum 14. Mal Meister, die Freude war logischerweise getrübt.
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Drei Tore, sechs rote Karten, ein Feldspieler, der als Tormann aushelfen muss: In Sachen Unterhaltungswert ließ das alles entscheidende Spitzenspiel um den Meistertitel der ukrainischen Premier-League-Saison (UPL) nichts zu wünschen übrig. Am Ende behielt der Klub das Oberwasser, der als Favorit gehandelt wurde. Mit einem 3:0 gegen den zweitplatzierten FC Dnipro-1 fixierte Schachtar Donezk einen Spieltag vor Schluss das 14. Championat in der Geschichte des Wettbewerbs. Nicht umsonst galt der erste Dank der Schachtar-Spieler und ihres kroatischen Trainers Igor Jovićević nach Abpfiff den Streitkräften der Ukraine, deren Arbeit den Saisonbetrieb überhaupt erst möglich gemacht hatte.

Der fand heuer kriegsbedingt unter Bedingungen statt, die sich bisweilen bizarrer kaum darstellen könnten. Zuschauer waren über die gesamte, pro Mannschaft 30 Spiele umfassende Saison keine zugelassen. Gespielt wurde nur an Orten, die von den Militärbehörden als relativ sicher eingestuft worden waren. Mit der Betonung auf relativ: Gekickt wurde in und um Kiew und in den westlichen Grenzbezirken Lwiw und Uschhorod. Auch wenn diese Maßnahme für einen weitgehend geordneten Spielbetrieb sorgte, blieben auch diese Regionen nicht von Russlands Angriffen verschont. Den vielleicht extremsten Auswuchs dieser Realität bildete im August das Match Ruch Lwiw gegen Aufsteiger Metalist Charkiw (1:2). Wegen der andauernden Luftangriffe, während deren Spieler wie Funktionäre laut Regelwerk den Luftschutzbunker aufsuchen müssen, nahm die Partie von An- bis Abpfiff vier Stunden und 27 Minuten in Anspruch.

Vielleicht lag es auch an unfreiwilligen Kraftakten wie diesem, dass beide Teams den Großteil der Saison auf den Abstiegsplätzen verbrachten. Während Charkiw und der Tabellenletzte FC Lwiw fix den Weg in die zweite Liga antreten müssen, lebt bei Ruch vor dem letzten Spieltag am 4. Juni zumindest noch die Hoffnung auf ein erfolgreiches Relegations-Playoff, wenn nicht gar auf dessen Vermeidung.

Trainerwechsel

Am oberen Tabellenende darf sich Dnipro-1 als Trostpreis über die fixe Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb freuen. Ob in der Champions- oder der Europa-League-Qualifikation, gilt noch als offen – vor dem letzten Spiel liegen die Männer vom Dnjepr mit 64 Punkten gleichauf mit Sorja Luhansk. Als Vierter immerhin das Recht auf die Teilnahme an der Konferenz-League-Quali hat sich Rekordmeister Dynamo Kiew (16 Titel) erstritten. Wiewohl de facto mit einem permanenten Heimvorteil ausgestattet, fand das nominell von der rumänischen Trainer-Legende Mircea Lucescu und real von Ex-Torhüter Oleksandr Schowkowskyj betreute Team nicht recht in die Gänge. Immerhin behielten beide bis zuletzt ihren Job – und bildeten damit die Ausnahme von der Regel in einer Saison, in deren Laufe 13 von 16 Klubs ihre Betreuer wechselten.

Freuen dürfen sie sich in Kiew zudem bald auf eine Neuauflage des Derbys mit dem Stadtteilklub Obolon, der zum dritten Mal in seiner 31-jährigen Geschichte den Aufstieg in die höchste Spielklasse schaffte. Ein Kunststück, das Polissya Zhytomyr aus der gleichnamigen Stadt in der Nordwestukraine heuer zum ersten Mal vollbracht hat. Den dritten Aufstiegsplatz werden sich die Zweitligisten Cherkasi und Metalurh Saporischschja mit zwei UPL-Teams in den Playoffs ausschnapsen.

Darob, wie es um die Zukunft der UPL bestimmt ist, halten sich die Funktionäre noch bedeckt. Viel dürfte sich nach dem heutigen Informationsstand aber nicht ändern. Während die Klubs, die sich für internationale Wettbewerbe qualifizieren, ihre Heimspiele weiter im nahen Ausland austragen werden (Polen, Slowakei, Rumänien), werden sich die Ligaaktivitäten weiter auf Kiew, Lwiw und Uschhorod beschränken. Die zwei Klubs, die aufgrund der andauernden russischen Besatzung (Mariupol) oder von deren Folgen (Desna Tschernihiw) ihre UPL-Mitgliedschaft ruhend stellen mussten, dürften theoretisch wieder in den Betrieb einsteigen. Beide haben aber bereits signalisiert, dass es dafür noch zu früh wäre.

Der Geist und die Farben Mariupols leben indes am anderen Ende der Welt weiter. Im Frühjahr benannte sich der im südbrasilianischen Bundesstaat Paraná beheimatete Amateurklub Associação Atlética Batel in FC Mariupol um und spielt seitdem in Orange. Eine Initiative, die auf die vielen ukrainischen Einwanderer dort zurückgeht.

Blick in die Schweiz

Während der sportliche Wettkampf trotz Kriegs weitergeht, richten sich die Blicke derweil auch auf einen grünen Tisch, der im Schweizerischen steht. Dort, beim Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne, hat Rekordnationalspieler Anatolij Tymoschtschuk (144 Einsätze) eine Klage gegen den ukrainischen Fußballverband eingebracht. Letzterer hatte dem 44-Jährigen, der mit Bayern München 2013 die Champions League gewann, seine Trainerlizenz wie alle seine in und mit der Ukraine errungenen Titel und Würdigungen aberkannt.

Tymoschtschuk, der schon vor der Invasion als Putin-freundlich galt, arbeitet seit 2017 als Assistenzcoach beim russischen Erstligisten Zenit St. Petersburg. In seiner Heimat gilt er deshalb als Kollaborateur, als Verräter. Was ihn nicht davon abhält, Anspruch auf die offizielle Anerkennung seiner Auszeichnungen durch die Ukraine zu erheben. (Klaus Stimeder aus Odessa, 4.6.2023)