Ein paar Minuten nachdem Andreas Babler die Bühne betreten hat, beginnt das Raunen. Dreht er die Stimmung? Gewinnt er mit seiner glühenden Rede gerade den Raum für sich – und damit die Delegierten, die am Samstag ihren neuen Vorsitzenden küren mussten?

Hans Peter Doskozil ist neuer SPÖ-Chef.
APA/HELMUT FOHRINGER

Applaus brandet auf. Wieder und wieder. Die SPÖ müsse ein Gegenmodell sein, ruft Babler. Die Regierung mache die Bevölkerung zu Bittstellerinnen und Bittstellern. Immer wieder versteht man Babler gar nicht, weil er in den Applaus hineinredet, hineinbrüllt. Der Applaus ist lauter als er. Babler spricht fast atemlos. Von Minute eins ist er am Höhepunkt. Er hält weniger eine Rede, es ist eine Kampfansage. Kinder, Gastarbeiter, Menschen dürften keine Bittstellerinnen und Bittsteller sein. Die Sozialdemokratie müsse zu ihren Grundwerten zurückfinden. Tosender Applaus.

Andreas Babler bei seiner Rede.
Heribert Corn

Hans Peter Doskozil hatte zuvor eine pragmatische Rede gehalten. Seine wichtigsten Inhalte noch einmal wiederholt: Mindestlohn, Ende der Zweiklassenmedizin, die Anstellung pflegender Angehöriger. Er bekam deutlich seltener, deutlich weniger Beifall von den Delegierten am außerordentlichen Parteitag, der zur Klärung der roten Vorsitzfrage einberufen wurde.

Stimmung kann täuschen.

Um 14:41 Uhr wirft Doskozil seinen Stimmzettel in die hellgraue Plastikurne am Rand der Halle. Eine Drei-Mann-Band auf der Bühne spielt währenddessen den Pina-Colada-Song. Er wippt mit den Beinen, sein Oberkörper bleibt steif. In seinem Team ist man sich zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, ob es klappen wird.

Hans Peter Doskozil gibt seine Stimme ab.
Heribert Corn

Um 15:31 Uhr kommen Doskozil und Babler hinter der Bühne hervor. Man sieht ihnen an, was sie gerade erfahren haben: das Wahlergebnis. Noch vor den Delegierten. Und während der eine ein Lächeln aufsetzt, das die Enttäuschung überspielen soll, ist der andere augenscheinlich erleichtert. Wenige Minuten später betritt Michaela Grubesa, die Leiterin der Wahlkommission, die Bühne und verliest das Ergebnis: Hans Peter Doskozil wird die SPÖ übernehmen. Er hat es geschafft. 53,02 Prozent der Delegierten votierten für den burgenländischen Landeshauptmann.

Im Kopf und im Herzen

Die Nationalratsabgeordnete Julia Herr hatte die Stimmung im Designcenter Linz zuvor in ihrem kurzen Redebeitrag ganz gut beschrieben: Im "Bauch und im Herz" seien viele für Andreas Babler, "im Kopf" aber für Doskozil. Herr warb dafür, auf den Bauch und das Herz zu hören. Es half Babler auch nicht mehr. Als Doskozil erneut die Bühne betritt und seine erste Rede als 13. Parteichef der SPÖ hält, steht auch Herr die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. 

Der neue Bundesparteivorsitzende richtet seine Schlussworte an die Genossinnen und Genossen: "Es ist überwältigend", sagt er ins Mikro. Er wisse gar nicht, wie er das Gefühl beschreiben solle. "Es ist mein Lebenstraum, an der Spitze der Sozialdemokratie stehen zu dürfen." Auch in Richtung seiner Kritikerinnen und Kritiker sagt Doskozil: Bundespolitik sei nicht so einfach wie jene am Land, das sei ihm bewusst.

Doch er sei bereit, weiter Risiken einzugehen – auch als Spitzenkandidat bei der kommenden Nationalratswahl. Sollte die SPÖ gewinnen, sollten die Roten auf Platz eins landen, dann "wird es keine Koalition mit der freiheitlichen Partei geben". Das gehe sich nicht aus, unter anderem wegen der polemischen Politik der Blauen während der Corona-Pandemie. Es müsse der SPÖ gelingen, die "bessere Migrationspolitik" zu machen. "Wir können es besser, wir brauchen keinen Kickl." Aber nicht nur die FPÖ, auch die ÖVP schließt Doskozil als Koalitionspartner aus. Er habe die Volkspartei aus der Nähe erlebt, unter anderem als Minister: Streiten sei an der Tagesordnung gestanden. 

Zueinander finden

Und dann streckt Doskozil die Hand aus: "Wir müssen zueinander finden", sagt er in Richtung seiner Partei. Er spricht Babler seinen Respekt aus. "Ich hoffe, du nimmst meine Einladung an und kommst herauf." Babler nimmt an. Die beiden umarmen sich auf der Bühne. Der Unterlegene nimmt seine Niederlage hin, beklatscht den neuen Parteichef Doskozil – und läuft schnell wieder zu seinem Sessel zurück.

Hans Peter Doskozil holt Andreas Babler auf die Bühne.
APA/GEORG HOCHMUTH

Dieser steht nur wenige Sitzplätze von Michael Ludwig entfernt. Beinahe gleichmütig gibt sich der Wiener Bürgermeister während Doskozils Rede. Auf ihn werden keine einfachen Zeiten zukommen. Ludwig wurde im internen Rennen um den Parteivorsitz zu Pamela Rendi-Wagners gewichtigsten Unterstützer und zu einem der größten Kritiker Doskozils. Und als die ehemalige Parteichefin als Dritte und Doskozil als Erster aus der Mitgliederbefragung hervorgingen, drängte Ludwig plötzlich auf eine Stichwahl durch die Mitglieder – vergeblich.

Zu Beginn des Parteitags war Michael Ludwig gut gelaunt.
Heribert Corn

Es sei ein demokratisches Ergebnis, sagt Ludwig am Ende des Parteitags. Das gelte es zu akzeptieren. Die Aufgabe von Doskozil sei es nun, die inhaltliche Breite der Partei zu erfassen und in seine Politik aufzunehmen. Andere Teile der Wiener Landespartei nehmen das Ergebnis nicht so leicht, fallen einander in die Arme, spenden Trost.

Keine Rendi-Wagner

Sie selbst, die Dritte, blieb fern. Um 7.38 Uhr morgens, noch bevor der Parteitag begonnen hatte, postet Rendi-Wagner einen Abschiedstext auf Facebook: "Als ich vor mehr als vier Jahren den Vorsitz der österreichischen Sozialdemokratie übernahm, war klar, das wird kein leichter Weg." Sie bedankt sich bei den Genossinnen und Genossen, die "echte Freundinnen und Freunde" geworden sind und mit ihr "gegen alle Widerstände" für unsere Bewegung gekämpft haben. "Es war mir eine große Ehre, der sozialdemokratischen Bewegung in den letzten Jahren als Vorsitzende gedient zu haben." Dem neuen Parteivorsitzenden wünsche sie "Kraft für seine Aufgabe" – noch ohne zu wissen, das acht Stunden später einer ihrer größten Kritiker als ihr Nachfolger verkündet werden wird. (Oona Kroisleitner, Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 3.6.2023)

Petra Stuiber analysiert die Reden der Kandidaten.
Analyse Petra Stuiber
DER STANDARD