Rechtsextreme Netzwerke nehmen zunehmend die LGBTQI+-Community ins Visier – wie hier auf der Demo gegen eine Drag-Lesung in Wien im April, auf der auch Martin Sellner vom Identitären-Ableger "Die Österreicher" auftrat.
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Die Regenbogenflagge sieht man dieser Tage öfter als sonst. Sie ziert Profilbilder auf Social Media, hängt vor den Eingängen von Amtshäusern und Ministerien und weht von Wiener Straßenbahngarnituren. Denn seit einigen Tagen ist "Pride Month" – im Juni wird seit Jahrzehnten der Kampf um Gleichberechtigung schwuler, lesbischer, bi- und transsexueller Menschen zelebriert. Seit 1969 genau genommen, als wiederholte Polizeirazzien im New Yorker Szenelokal Stonewall Inn zu großangelegten Protesten der queeren Bewegung führten. Später gingen sie als "Stonewall Riots" in die Geschichte ein.

Was man dieser Tage auch ein wenig öfter sieht als sonst, sind Nationalflaggen. Zumindest auf manchen Twitter-Profilen. Und zumindest in leicht abgewandelter Form. Denn eine rechte Initiative mit anonymen Urhebern will den Regenbogenfarben auf Twitter einen ideologischen Kontrapunkt entgegenstellen. Mit dem Schwarz-Rot-Gold der deutschen Flagge und dem Hashtag #StolzMonat, einer passend zur weltanschaulichen Verortung auf Deutsch gehaltenen Anspielung an den Pride Month.

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Verbindung zu AfD-Abgeordneten

"Eine Bewegung beginnt hart und stolz", heißt es auf der Website der Kampagne im einschlägigen Tonfall. Weil "Behörden und Ämter jede Gelegenheit" nützen würden, "um die Deutschland-Flagge durch die des Regenbogens zu ersetzen", gehe es nun darum, "sich dem Wahnsinn entschlossen entgegenzustellen und den Pride Month zum Stolzmonat umzuwidmen", wird dort erklärt. Auch auf der Website zu finden ist ein Bildgenerator, über den man sein Profilbild mit einem Hintergrundbild aus den deutschen Nationalfarben hinterlegen kann. Die schwarz-rot-goldene Deutschlandfahne wird dabei zu einem Spektrum aus sieben Farben abgewandelt, um die bunte Regenbogenflagge zu imitieren.

Die Urheber der Kampagne sind zwar anonym – im Impressum der Website wird nur auf eine Firma namens "Block Services" im deutschen Baden-Württemberg verwiesen. Sie wurde offenkundig zum Verschleiern der Identität der Website-Betreiber "zwischengeschaltet". Auf Twitter bekannten sich allerdings gleich mehrere prominente Abgeordnete der deutschen AfD zu den Inhalten der Kampagne.

"#PrideMonth in die Tonne! Schluss mit diesem zwanghaften Minderheitendiktat. Runter mit der Regenbogenfahne", twitterte etwa die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch unter dem Hashtag #StolzMonat. Und der AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Bernhard schrieb unter demselben Hashtag: "Regenbogen-Flagge an Bundesgebäuden? Schwarz-Rot-Gold ist bunt genug!" Die Familie sei die "wichtigste Keimzelle der Gesellschaft", ergänzte er noch in seinem Posting. Alles andere sei "Ablenkung und Zersetzung".

Von FPÖ-Aktion abgeschaut?

Am Samstag sprang auch Österreichs Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) auf den Zug auf. Auf seinem Twitter-Account postete er ein Foto von sich vor einer von der deutschen Variante abgeleiteten rot-weiß-roten Flagge mit sechs Streifen in verschiedenen Farbtönen. Den ansonsten wortlosen Tweet versah er mit dem Hashtag "StolzMonat" – und heftete das Posting als obersten Tweet an die Spitze seines Profils. Auf STANDARD-Nachfrage wollte Strache am Wochenende nicht kommentieren, warum er den Post abgesetzt hat oder was der Hashtag und die Kampagne für ihn bedeuten. Er verbringe gerade Zeit mit seiner Familie, wolle das Thema aber auch grundsätzlich unkommentiert lassen.

Seiner einstigen Partei, der FPÖ, dürfte der Zugang der deutschen Kollegen jedenfalls grundsätzlich nicht ganz fremd sein – im Gegenteil: Die Inspiration für die "Stolzmonat"-Kampagne könnten sich die Macher ihrerseits bei den österreichischen Blauen geholt haben. Bereits vor zwei Jahren hatte nämlich die freiheitliche Jugend eine sehr ähnliche Aktion unter dem Motto "Patriotenmonat statt Pride Month" gestartet.

"Unser Regenbogen hat nur zwei Farben" stand auf einem der Sujets, das mit einer ähnlich abgewandelten Österreich-Flagge wie auf Straches Twitter-Profil hinterlegt war. Dazu waren ein blonder junger Mann und eine blonde junge Frau in Lederhose beziehungsweise Dirndl zu sehen. "Zurück zur Normalität" stand auf einem anderen Sujet, auf dem ein Strichmännchen eine Regenbogenflagge in den Mistkübel wirft.

Neues rechtes Leibthema

Auch wenn die Resonanz derartiger Social-Media-Kampagnen überschaubar ist und zudem recht kurz anhält: Die "Stolzmonat"-Aktion reiht sich in eine derzeit vielfach sichtbare Strategie rechtsradikaler und rechtsextremer Netzwerke ein: Gerade seit alle Pandemiemaßnahmen der Vergangenheit angehören und das Corona-Thema generell abgeflaut ist, setzt besonders die aktivistische Rechte zunehmend auf LGBTQI+-Themen als Feindbild.

Denn die Corona-Großdemos vergangener Jahre boten ein öffentlichkeitswirksames Einfallstor für rechte und rechtsextreme Ideologien, gerade weil die Skepsis über Pandemiemaßnahmen weit in die gesellschaftliche Mitte hineinragte. Seit dieser Rekrutierungs- und Distributionskanal für die Szene aber wegfällt, suchen Rechtsextreme wie Martin Sellner vom Identitären-Ableger "Die Österreicher" oder Holocaustleugner Gottfried Küssel andere Themen zur Mobilisierung ihrer Anhänger.

Und sie finden sie zunehmend in der Agitation gegen die Queer-Community, insbesondere gegen transidente Personen. So organisierten rechtsextreme Aktivisten zuletzt etwa Proteste gegen eine Dragqueen-Lesung in der Türkis-Rosa-Lila Villa in Wien. Auch die FPÖ hatte zu Protesten dagegen aufgerufen. Mitglieder der blauen Jugend standen bei der Demo Seite an Seite mit Identitären und Co. (Martin Tschiderer, 5.6.2023)