"Lawyer: Richard Soyer": Das bekamen in den 1990er-Jahren zahlreiche Polizisten zu hören, als sie repressiv gegen angebliche Dealer vorgingen. Mittlerweile ist Soyer Universitätsprofessor. Gemeinsam mit seinem Kollegen Philip Marsch äußert er sich regelmäßig zu justizpolitischen Themen. DER STANDARD hat die beiden getroffen, um über die geplante große Justizreform zu reden.

STANDARD: Am Montag lädt Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ins Parlament, um über "aktuelle Fragen" der Strafrechtsreform zu sprechen. Was halten Sie davon?

Soyer: Dem Anschein nach geht es da eher um Partikularinteressen. Es werden einzelne Punkte herausgegriffen, die derzeit vor allem Politiker aus der Sphäre der Veranstalter tangieren, aber eine große Debatte zu den Reformnotwendigkeiten im Haupt- und Rechtsmittelverfahren wird nicht angestoßen.

STANDARD: Sie sprechen etwa das Thema Handyauswertung an, bei der die ÖVP höhere Hürden fordert.

Marsch: Als wir wegen der Sicherstellung von Handys – soweit bekannt als Einzige – den Rechtsweg zum Verfassungsgerichtshof beschritten haben, hat die Bundesregierung noch einstimmig die Meinung vertreten, dass es derzeit einen ausreichenden Schutz von Persönlichkeitsrechten gibt.

Soyer: Genau das sehen wir völlig anders. Die existierenden Verfahrensgarantien sind aufgrund der technologischen Entwicklungen defizitär, unseres Erachtens sogar verfassungswidrig. Man kann sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass der Personenkreis, der sich mit Händen und Füßen etwa gegen die Sicherstellung von Daten im Bundeskanzleramt wehrt, überhaupt kein Problem damit hat, wenn es andere betrifft.

Soyer und Marsch Anwälte
Die Anwälte Philipp Marsch (links) und Richard Soyer im STANDARD-Gespräch
Regine Hendrich

STANDARD: Aus Sicht der ÖVP greift die Auswertung der Chats aber tief in deren Privatsphäre ein.

Marsch: Die Inhalte, die da aufgekommen sind, betreffen nicht den höchstpersönlichen Lebensbereich. Hier haben sich hohe Amtsträger über und in Zusammenhang mit Staatsgeschäften ausgetauscht. Das ist nicht Privatsache, auch wenn man es auf Maturareiseniveau macht. Natürlich ist es unangenehm für die Betroffenen, wenn dann unerwartet der Vorhang aufgeht.

STANDARD: Die ÖVP denkt etwa Zitierverbote für Medien an, gleichzeitig gibt die Polizei oft sehr viele Informationen bekannt. Wie sehen Sie das?

Soyer: Die polizeiliche Medienarbeit ist ein zentrales Thema, mittlerweile sogar Problem. Ein Paradebeispiel dafür ist der Fall Luxor rund um angebliche Anhänger der Muslimbruderschaft, in dem wir Betroffene vertreten. Als es damals zu Hausdurchsuchungen gegen diese angeblichen Vertreter des politischen Islam kam, haben ein Spitzenbeamter und der damalige Innenminister eine Pressekonferenz gegeben, bei der aus unserer Sicht die Unschuldsvermutung gröblich verletzt wurde.

STANDARD: Sind Sie dagegen vorgegangen?

Soyer: Ja. Wir haben die problematische Medienarbeit der Strafverfolgungsbehörden in diesem und zuvor in einem anderen Fall vor den Obersten Gerichtshof (OGH) gebracht, der eine Rechtsschutzlücke festgestellt hat. Man kann sich also innerstaatlich derzeit nicht gegen derartige Rechtsverletzungen zur Wehr setzen, weshalb wir nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingeschaltet haben. Dieser hat angekündigt, dass er sich inhaltlich mit der Sache befassen wird.

STANDARD: Inwiefern ist das als Kritik am damaligen Innenminister, Kanzler Karl Nehammer, zu sehen?

Marsch: Wir haben das grundsätzliche Problem, dass politische Entscheidungsträger oft nicht zwischen ihrer politischen Selbstdarstellung und ihrer hoheitlichen Amtstätigkeit unterscheiden. Wenn man hier nicht unterscheiden kann, ist das nicht gerade ein Befähigungsnachweis für das Amt.

STANDARD: Gerade bei der Operation Luxor ist bis heute nicht klar, wie diese Ermittlungen überhaupt aufgekommen sind und welche Rolle der Verfassungsschutz gespielt hat.

Soyer: Der Verfassungsschutz ist natürlich eine wichtige staatliche Aufgabe, die bis zu einem gewissen Grad nur im Geheimen und verdeckt funktionieren kann. Wenn aber nachrichtendienstliche Tätigkeiten mit Ermittlungstätigkeiten verschwimmen, dann geht das auf Kosten der Grund- und Freiheitsrechte. Der Fall Luxor hat gezeigt, was da alles schiefgehen kann.

Marsch: Wobei durchaus möglich ist, dass das ganze Ausmaß noch gar nicht bekannt ist, da zu diesen Hintergründen die Akteneinsicht verwehrt wird.

STANDARD: Es wurden massiv Ressourcen eingesetzt, es kam zu überschießenden Hausdurchsuchungen und zu zahlreichen Einstellungen.

Soyer: Mir fehlt hier der politische und gesellschaftliche Aufschrei. Denn diese Art von Verfahrensführung kann durchaus als Blaupause gegen andere Gruppierungen herangezogen werden. Ich will mir nicht vorstellen, was dann in dieser Republik los ist.

STANDARD: Für diese Operation wurde 21.000 Stunden lang observiert, für die Beobachtung des Terrorattentäters von Wien fehlten die Ressourcen. Warum gab es da keinen U-Ausschuss?

Marsch: Grundsätzlich haben wir nicht die am stärksten geprägte Kultur politischer Verantwortung. Da sind Managemententscheidungen getroffen worden, wo man Ressourcen hinleitet, und die haben sich als katastrophal falsch erwiesen. Wenn politische Verantwortlichkeit heißt, dass man durchtaucht oder sogar in eine höhere Position wechselt, dann lässt einen das schon staunen.

Anwaltskanzlei Kier Soyer Stuefer
Marsch und Soyer sind Anwälte in der Kanzlei Soyer Kier Stuefer.
Regine Hendrich

STANDARD: Wie ehrlich ist dann die justizpolitische Debatte in Österreich?

Marsch: Es ist in Österreich bis dato nicht etabliert, dass Autoren persönliche Berührungspunkte bei Publikationen konsequent offenlegen. Verstehen Sie mich nicht falsch, starke Argumente bleiben starke Argumente, auch wenn sie von Betroffenen kommen. Interessenlagen lassen sich meist recht einfach über Google erschließen.

Soyer: Die Advokatur ist zivilgesellschaftlicher Bannerträger der Grund- und Freiheitsrechte. Daher ist es so wichtig, dass sie dabei unabhängig und glaubwürdig ist.

STANDARD: Wie schafft sie das?

Marsch: Es braucht eine besonders breite politische Diskussion in der Bevölkerung und in der Rechtswissenschaft zu maßgeblichen Änderungen der Strafprozessordnung, damit nicht Beschlüsse gefasst werden, die womöglich Partikularinteressen dienen.

Soyer: Der Rechtsstaat ist kein Selbstläufer. Die liberal-konservative und fortschrittliche politische Mitte muss sich gegen Angriffe auf den Rechtsstaat stärker und geschlossen zur Wehr setzen, in einem gewissen Sinn: die Stopptaste drücken. Ich bin ja ein Kärntner mit italienischen Wurzeln und kenne daher die italienischen Verhältnisse der 1980er- und 1990er-Jahre sehr gut – es ist unser aller Aufgabe, dass wir nicht in solche Verhältnisse abrutschen. (Fabian Schmid, 5.6.2023)