Der Verfassungsgerichtshof prüft gerade, ob die (Regierungs-)Politik zuviel Einfluss auf die Besetzung der ORF-Gremien hat. Mit einer Entscheidung dürfte in den nächsten Wochen zu rechnen sein. Der ORF-Betriebsrat indes beantragte gerade die Prüfung der Politikerklausel für Mitglieder der ORF-Gremien. Sie monieren, dass die Politikerklausel mit vierjähriger Abkühlphase nach einem Mandat auch für Belegschaftsvertreter gilt. Beim Verfassungsgericht bestätigte man auf STANDARD-Anfrage den Antrag des ORF-Betriebsrats.

ORF-Gremien beschäftigen Verfassungsgerichtshof gleich zweimal - im Bild: VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter.
APA / Georg Hochmuth

Anlassfall: Zentralbetriebsratschef

Den Anlassfall für den Antrag des ORF-Zentralbetriebsrats ist dessen neuer Chef, Werner Ertl. Der Technikbetriebsrat ist seit Februar* Zentralbetriebsratsobmann als Nachfolger von Journalist Stefan Jung.

Der ORF-Zentralbetriebsrat besetzt fünf der 35 Mandate im ORF-Stiftungsrat, dem obersten Entscheidungsgremium des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich, der etwa Generaldirektor und Direktorinnen bestellt, Budgets und Programmschemata beschließt und größere unternehmerische Entscheidungen trifft. Der Zentralbetriebsratschef hat üblicherweise auch ein Mandat im Stiftungsrat - Ertl aber bisher nicht. Jungs Platz im oberste ORF-Gremium übernahm vor wenigen Wochen der Technikbetriebsrat Michael Cesar.

Denn: Das ORF-Gesetz untersagt seit 2001 Menschen mit politischen Funktionen und Mandaten in den ORF-Gremien Stiftungsrat und Publikumsrat sowie im oberen ORF-Management. Diese sogenannte Politikerklausel in Paragraf 20 schließt aus: "Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretäre, Mitglieder einer Landesregierung, Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates oder sonst eines allgemeinen Vertretungskörpers oder des Europäischen Parlaments, ferner Personen die Angestellte einer politischen Partei sind oder eine leitende Funktion einer Bundes- oder Landesorganisation einer politischen Partei bekleiden sowie Volksanwälte, der Präsident des Rechnungshofes und Personen, die eine der genannten Funktionen innerhalb der letzten vier Jahre ausgeübt haben", zudem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Parlament und Parlamentsklubs, Parteiakademien, Kabinettsmitarbeiter, Mitarbeiter der Medienbehörde sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Medienunternehmen und des ORF.

Die ORF-Klausel gilt nicht für die fünf Mandate des Zentralbetriebsrats im Stiftungsrat. Und der Betriebsrat argumentiert nun, auch die Politikerklausel sei wohl ein Versehen des Gesetzgebers für diese Mandate. 

Werner Ertl ist nämlich Mitglied des Gemeinderats und Vorsitzender des Prüfungsausschusses der Gemeinde Enzersfeld im Weinviertel für die SPÖ Niederösterreich. Selbst wenn Ertl, wie er es vorhaben soll, das Mandat im Gemeinderat zurücklegt, könnte er für die nächsten vier Jahre nicht in den Stiftungsrat. 

Die nächste Wahl des ORF-Zentralbetriebsrats steht regulär 2025 an (seit 2020 dauert die Funktionsperiode fünf Jahre). 

Den ORF-Stiftungsrat besetzen 

  • die Bundesregierung (neun Mandate im Stiftungsrat);
  • die Klubs im Nationalrat (sechs Mandate);
  • der ORF-Publikumsrat (sechs Mandate) - in dem ORF-Gremium bestimmen der Bundeskanzler oder die Medienministerin die Mehrheit;
  • die Bundesländer (neun Mandate)
  • der ORF-Zentralbetriebsrat (fünf Mandate).

Höchstgericht prüft Politeinfluss

Das vom neuen SPÖ-Chef und Noch-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil geführte Burgenland hat im Juni 2022 einen Normenkontrollantrag an den Verfassungsgerichtshof gerichtet: Die Besetzung der ORF-Gremien sei "von Parteipolitik dominiert" und deshalb verfassungswidrig. Das Land setzte eine Anregung von "ZiB 2"-Anchor Armin Wolf in die Tat um. 

Mit einer Entscheidung des Höchstgerichts wird noch im ersten Halbjahr 2023 gerechnet - also in den nächsten Wochen. Just während die Regierung ein neues ORF-Gesetz beschließen will - ohne an der Besetzung der ORF-Gremien etwas zu ändern. Hintergrund: Die Kanzlerpartei ÖVP hat derzeit alleine eine Mehrheit im obersten ORF-Gremium. 

Die aktuelle Novelle zum ORF-Gesetz machte ebenfalls der Verfassungsgerichtshof nötig, er hob im Sommer 2022 die GIS als verfassungswidrig auf, weil sie wesentliche Nutzungsmöglichkeiten wie Streaming von der Zahlungspflicht ausnimmt. Also kommt ab 2024 ein ORF-Beitrag für alle Haushalte und Unternehmen (mit Ausnahmen für Einkommensschwache und Einpersonenunternehmen).

Das Höchstgericht könnte nun, so wird derzeit spekuliert, jedenfalls die Besetzung des Publikumsrats als zu regierungsnahe aufheben. In diesem praktisch nur beratenden ORF-Gremium bestimmt der Bundeskanzler oder ein Medienminister beziehungsweise eine Medienministerin die Mehrheit - und die wiederum entsendet sechs Mitglieder in den entscheidenden Stiftungsrat. (fid, 4.6.2023)