Karl Doemens aus Des Moines

Der Mann in blaukariertem Freizeithemd und Jeans wirkt genervt. "Wohin gehen wir?", fragt er, während er umzingelt von sechs schrankbreiten Bodyguards und einem drängenden Fotografenpulk auf dem Parkplatz des Messegeländes minutenlang ohne erkennbares Ziel hin- und hergeschoben wird. "Eis-Stand!", ruft endlich eine Stimme aus der Menge.

Doch bevor Ron DeSantis die "Fabulicious Ice Cream" von "Over the Top" probieren kann, stellt sich ihm ein Mann im roten Polohemd vor. "Ich komme von der Freedom Foundation", sagt er. "Was ist das?", erwidert der Gouverneur von Florida verdutzt. Offenbar hat er den Namen der lokalen Veteranen-Organisation, für die hier heute gesammelt wird, noch nie gehört. "Nice!", antwortet er schließlich grinsend, nachdem ihm der Mann die ehrenamtliche Arbeit zur Unterstützung notleidender ehemaliger Militärangehöriger erläutert hat.

Leutseligkeit gilt nicht als große Stärke des Gouverneurs von Florida, Ron DeSantis (Mitte, mit seiner Gattin Casey und Senatorin Joni Ernst, links).
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Dann scheint er das Gefühl zu haben, noch irgendetwas sagen zu müssen. Also fragt er den Ex-Soldaten, wo er stationiert war. "San Diego." – "Oh, San Diego. Das ist wettermäßig der beste Platz für eine Stationierung. Obwohl: Inzwischen ziehen viele Leute von da nach Florida wegen der Politik."

Die freundliche, lockere Plauderei mit normalen Menschen ist erkennbar nicht die Stärke des Yale-Absolventen DeSantis, der sich mit seinem Kreuzzug gegen den Aufklärungsunterricht in Schulen, kritische Bücher und den angeblich von radikalen Linken gekaperten Disney-Konzern gerade einen zweifelhaften Namen als Amerikas härtester rechter Kulturkämpfer macht. Es wird auch nicht besser, als endlich ein Schokoladeneis für seinem Sohn Mason ergattert. "Ist das hier Ihr einziger Standort?" fragt er den Händler. Seine Gedanken scheinen eher bei dem Plastiklöffel des Fünfjährigen auf seinem Arm zu sein, der bedrohlich über seinem Hemd kreist. "Also dieses Eis ist großartig. Das kann ich Ihnen sagen!", schiebt er schließlich ausdruckslos hinterher.

Pence am Bike

Authentisch wirkt das alles nicht. Da hat es der ehemalige Vizepräsident Mike Pence deutlich einfacher. Schon eine Stunde zuvor ist er mit seiner Frau Karen ein paar Meilen nördlich beim Big Barn Harley-Davidson aufgeschlagen, wo 250 Motorradfahrer ihre blitzenden Maschinen für eine Parade durchs Umland von Des Moines in Reih und Glied aufgereiht hatten. Pence hat schnell sein blaues Sakko mit den Goldknöpfen abgelegt und gegen eine schwarze Lederweste mit einer US-Fahne und vielen Abzeichen eingetauscht. Dann hat sich der 63-Jährige locker auf eine kobaldblaue Harley geschwungen und ist vor den anderen Bikern an den Fernsehkameras vorbei hinaus ins endlos flache Land geknattert.

Mike Pence, Biker.
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Willkommen in Iowa, dem Bundesstaat im Mittleren Westen, wo die Maisfelder bis zum Horizont reichen und siebenmal soviel Schweine wie Menschen leben. "Iowa – oh, da ist es!" heißt es selbstironisch auf Kaffeebechern mit einer Amerika-Karte, die ein Souvenir-Shop in der Landeshauptstadt Des Moines verkauft. Doch alle paar Jahre zu den Vorwahlen mutiert die öde Prärie zum heißesten politischen Pflaster der USA. Im nächsten Januar wird in Iowa als erstem Bundesstaat über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten abgestimmt. Um rechtzeitig Punkte zu machen, fliegen schon jetzt die Kandidaten zum Schaulaufen ein.

Roast, Ride aber kein Trump

Sieben Bewerber und eine Bewerberin sind an diesem Samstag nach Des Moines gekommen – und damit fast alle republikanischen Aspiranten für das Weiße Haus. Nur einer ist ferngeblieben: Favorit Donald Trump will sich nicht mit der Konkurrenz gemeinsam auf der Bühne zeigen. Der Attraktivität der skurrilen Veranstaltung mit dem Titel "Roast & Ride" tut das keinen Abbruch: Erst gibt es eine Motorrad-Parade. Dann Schweinsbraten mit scharfer Barbecue-Sauce auf Burger-Semmeln. Und schließlich den "Cattle Call" (wörtlich: Vieh-Aufruf), das "Probesingen" der Bewerber im Zehn-Minuten-Takt in einer Messehalle auf einer Bühne mit Heuballen und Traktoren. Zwischendurch fahren draußen die Kampagnenbusse vor. Dort gibt es T-Shirts, Aufkleber und reichlich Gelegenheit für Selfies mit dem Lieblingspolitiker.

Das Ganze ist eine Mischung aus Volksfest, Picknick und politischem Speed-Dating. Amerikanischer kann Wahlkampf kaum sein.

Vor gar nicht so langer Zeit war Iowa ein echter Swing-State, der mal an die Demokraten und mal an die Republikaner ging. Doch die Gewichte haben sich verschoben. Bei der letzten Wahl holte Trump 53 Prozent der Stimmen.  "Für die Demokraten ist Iowa nur ein Staat, über den man drüber fliegt", stichelt die republikanische Senatorin Joni Ernst gleich zu Beginn der Veranstaltung: "Die Demokraten haben Euch den Mittelfinger gezeigt."

Senatorin Joni Ernst verteidigt die Ehre ihres Bundesstaates.
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Das sieht Craig Wicks ähnlich. Seit acht Jahren ist der Motorradfan jedes Jahr bei dem republikanischen Biker- und Burger-Spektakel dabei. Wegen der Harleys. Aber auch wegen der Reden. "Im Grunde gibt es in unserer Partei gar nicht so große Unterschiede", behauptet der "Road Captain" mit der schwarzen Lederjacke. Die Differenzen würden von linken Medien erfunden und böswillig aufgebauscht, um die Republikaner zu entzweien. Beim innerparteilichen Caucus wird er wohl für Trump stimmen: "Dessen Persönlichkeit gefällt mir zwar nicht so gut, aber der kommt am besten mit den Attacken der Presse klar: Sie sind ihm einfach egal."

Rangeln in den hinteren Rängen

Tatsächlich führt Trump derzeit mit weitem Abstand das republikanische Präsidentschaftsbewerberfeld an. In Umfragen liegt er 30 Punkte vor DeSantis. Der Vorsprung vor Pence und der früheren UN-Botschafterin Nikki Haley ist noch größer. Doch gewählt wird erst in anderthalb Jahren. Bis dahin kann noch viel passieren. Deshalb rangeln die Verfolger um die beste Ausgangsposition.

Tim Scott ist an diesem Samstag als erster dran. Der afro-amerikanische Senator aus South Carolina dümpelt in den Umfragen zwar bei einem einzigen mageren Prozentpunkt. Doch sein Auftritt wirkt professionell und locker. Knapp 1000 Zuhörer drängen sich an großen Tischen in der Messehalle, auf denen rosa Plastikschweinchen und Reste des Barbecues stehen. Mit dem Mikrofon in der Hand mischt sich Scott ins Publikum. "Mein Leben ist der Beweis, dass Amerika nicht rassistisch ist", sagt er. Das hört man in Iowa, wo nur wenige Schwarze leben, gerne.

Senator Tim Scott will ebenfalls Präsident werden, liegt in den republikanischen Vorwahl-Umfragen aber weit zurück. Sein Auftritt in Des Moines gelang allerdings.
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Thematisch scheinen sich die folgenden Reden zu ähneln. Es geht um die Einwanderer, die angeblich Kriminalität und Drogen ins Land bringen. Um den "Deep State" der Bürokraten. Um die verhassten Gender- und Umweltthemen. Und um Präsident Biden, der einmal als debil, dann wieder korrupt karikiert wird. Der Ukraine-Krieg und der Schulden-Deal des Kongresses kommen nur am Rande vor, die Klimakrise und die alltägliche Waffengewalt auf Amerikas Straßen gar nicht.

51-Jährige "Anführerin einer neuen Generation"

Doch die Präsentation und Intonation der Bewerber unterscheiden sich deutlich. Ungewöhnlich lange redet Ex-Botschafterin Nikki Haley über Außenpolitik, wohl nicht zuletzt, um ihre eigene Expertise herauszustreichen. Sich selbst preist die 51-Jährige als "Anführerin einer neuen Generation" an. Der Pharma-Unternehmer Vivek Ramaswamy bezeichnet in einem schneidenden Vortrag die "Ersatzreligionen" der Gender- und Klimapolitik als Krebs, der das Land befallen habe und fordert abschließend ernsthaft, jeden taiwanesischen Haushalt mit einer Waffe zur Selbstverteidigung gegen die Chinesen auszurüsten. Der Milliardär Perry Johnson hampelt wie ein bekiffter Boxer über die Bühne. Und Ex-Vizepräsident Pence deutet an, dass er am Mittwoch offiziell ins Präsidentschaftsrennen einsteigen werde, wobei er sich auf einen Höheren beruft: "Gott ist noch nicht fertig mit Amerika!"

Milliardär und Außenseiter-Bewerber Perry Johnson hinterließ nicht den sichersten Eindruck.
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Das größte Interesse aber zieht DeSantis auf sich, der seinen rechten Kulturkampf in Florida anpreist und zum "Krieg" gegen den "woken" Zeitgeist aufruft. Kurioserweise braucht er für seine Standardrede immer noch ein Manuskript. Kein persönliches Wort, nichts Joviales, nichts Empathisches findet sich in diesem Vortrag. Dafür umso mehr kalte Wut. Trotzdem bekommt der 44-Jährige kräftigen Beifall.

Ein Verräter und auch religiös

Auch Michelle Visokey würde den Gouverneur eindeutig Mike Pence vorziehen: "Der ist ein Verräter und außerdem viel zu religiös", sagt die ehemalige Lehrerin, die mit ihrem Mann David aus dem 90 Meilen entfernten Ort Waterloo angereist ist. Auf dem Teller vor ihr wird der Schweins-Burger kalt. Trotzdem möchte sie gerne über Nikki Haley reden. Die nämlich sähe sie am liebsten im Weißen Haus. Schon als Gouverneurin und Botschafterin habe Haley tolle Arbeit geleistet. Und vor allem: "Sie ist nicht so verrückt. Sie beleidigt keine Leute."

Das ist ein klarer Seitenhieb. Aber nicht gegen DeSantis, sondern gegen den Dauerpöbler Trump. Von der Bühne hat man kurioserweise den ganzen Nachmittag kein einziges Wort über den Favoriten gehört. Kein Bewerber hat sich getraut, den mächtigen Paten der Partei anzugreifen. So konnte man für ein paar Stunden fast vergessen, dass die Redner erst Trump schlagen müssen, bevor sie gegen ihren Lieblingsfeind Biden antreten können.

Unmittelbar nach dem Ende der Veranstaltung aber holt die Besucher draußen auf dem Parkplatz die Realität schlagartig wieder ein. Da klebt unter den Scheibenwischern ihrer Autos nämlich ein blaues Flugblatt. Es zeigt ein bekanntes Gesicht mit goldener Haartolle und grinsendem Lächeln. "Iowa Is Trump Country!" steht daneben apodiktisch. (Karl Doemens aus Des Moines, 4.6.2023)