Twitter löscht laut einer Untersuchung des CCDH kaum Hassrede verifizierter Accounts.
Musk hat mit seiner Übernahme der Plattform einen großen Teil der Belegschaft rausgeworfen.
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Als Elon Musk im Oktober letzten Jahres die Übernahme von Twitter finalisierte, begannen chaotische Monate für den Kurznachrichtendienst. Der Multimilliardär setzte mehr als die Hälfte der Belegschaft vor die Tür und ermöglichte Userinnen und Usern kurzerhand, den blauen Verifizierungshaken um acht Dollar zu kaufen. Fehlende Kontrollmechanismen und eine massive Verkleinerung des Moderationsteams sorgten damals für einen zwischenzeitlichen Anstieg von Hassrede, Antisemitismus und Betrugsversuchen. 

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DER STANDARD

In vielerlei Hinsicht hat sich Twitter mittlerweile stabilisiert – zumindest, wenn man davon absieht, dass der Unternehmenswert seit Musks Übernahme auf ein Drittel abgesackt ist. Immerhin haben sich einige Werbekunden von der Plattform zurückgezogen, um nicht mit schädlichen Inhalten in Verbindung gebracht zu werden. Trotz des bisher überschaubaren Erfolgs setzt Musk deshalb große Hoffnungen in das Bezahlabonnement Twitter Blue. Dieses kämpft jedoch mit besorgniserregenden Problemen, wie eine neue Untersuchung des Center for Countering Digital Hate (CCDH) zeigt.

Hass und Hetze blieb online

Zahlende Userinnen und User haben laut der NGO die Möglichkeit, fast ungestört Hass und Hetze zu verbreiten. Konkret würde "Twitter bei 99 Prozent aller von Twitter-Blue-Abonnenten geposteten Hassbotschaften keine Maßnahmen" ergreifen. Die Plattform ermögliche zahlenden Kunden also, gegen die Hausregeln zu verstoßen – ohne irgendwelche Folgen befürchten zu müssen. Ganz im Gegenteil würden "ihre toxischen Tweets sogar algorithmisch verstärkt werden". Damit meint das CCDH, dass Twitter Blue unter anderem mit einem besseren Ranking in Konversationen und in der Suche beworben wird. Zahlende Kundinnen und Kunden erhalten im Regelfall also eine größere Reichweite.

Für die Untersuchung haben die Forschenden Beiträge von 100 Twitter-Blue-Konten gesammelt und der Plattform als Hassrede gemeldet. Vier Tage später seien jedoch 99 Prozent der gemeldeten Beiträge weder entfernt noch gesperrt worden. Außerdem seien alle hinter den Hasspostings stehenden Konten aktiv geblieben, selbst dann, wenn ein Beitrag entfernt wurde.

Klarer Regelverstoß

Unter den gemeldeten – und weiterhin online verfügbaren – Beiträgen befanden sich laut dem CCDH rassistische, homophobe, neonazistische, antisemitische und verschwörungsideologische Inhalte. Im untersuchten Sample der NGO befanden sich unter anderem folgende Aussagen:

  • "Die schwarze Gesellschaft hat mehr Schaden angerichtet [als] der Klan je getan hat."
  • "Die Judenmafia will uns alle durch braune Menschen ersetzen."
  • "Vielfalt ist ein Codewort für weißen Völkermord."
  • "Hitler hatte Recht", begleitet von einer Montage des ehemaligen Diktators.
  • Schwarze Menschen gehören "in Käfige im Zoo gesperrt".
  • LGBTQI+-Rechtsaktivisten brauchen "IRON IN THEIR DIET. Vorzugsweise von einem #AFiringSquad."

Diese Postings blieben online, obwohl Twitter in den eigenen Regeln zu Hass und Hetze klarstellt, dass Userinnen und User "andere Personen nicht aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, nationalen Herkunft, Kaste, sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität, ihrer religiösen Zugehörigkeit, ihres Alters, einer Behinderung oder einer schweren Krankheit direkt angreifen" dürfen. Die Plattform habe es sich zur Aufgabe gemacht, "jedem die Möglichkeit zu geben, Ideen und Informationen zu erstellen und zu teilen und seine Meinungen und Überzeugungen ohne Hindernisse zu äußern", heißt es auf der Twitter-Website.

Nicht überraschend

Das Center for Countering Digital Hate hat sich in der Vergangenheit schon mehrmals mit Hassrede auf Twitter auseinandergesetzt. Die aktuellen Erkenntnisse seien deshalb nicht überraschend, schreibt die NGO. Im Rahmen von Studien zu antijüdischem und antimuslimischem Hass auf Twitter habe man "festgestellt, dass die Plattform bei 89 Prozent bzw. 97 Prozent der Beiträge nicht reagiert".

"Das blaue Häkchen bei Twitter war früher ein Zeichen von Autorität und Authentizität, aber jetzt ist es untrennbar mit der Verbreitung von Hass und Verschwörungsmythen verbunden", kommentiert CCDH-Chef Imran Ahmed die Untersuchung. Elon Musk würde sich nicht für die "Bürger- und Menschenrechte von Schwarzen, Juden, Muslimen und LGBTQI+-Menschen" interessieren, solange er acht Dollar pro Monat für Twitter Blue abrechnen könne.

Musk und Verschwörungsmythen

Ende Mai wurde bekannt, dass Twitter den freiwilligen EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation verlassen hat. Dieser schreibt den teilnehmenden Firmen vor, regelmäßige Fortschrittsberichte bereitzustellen. Musk ist jedoch immer wieder selbst in die Verbreitung von Verschwörungsmythen und Desinformation verwickelt. Zuletzt bediente er rechte Hetze und attackierte George Soros. Im Oktober letzten Jahres stachelte er außerdem eine Verschwörungserzählung zum Angriff auf Paul Pelosi, also den Ehemann der US-Demokratin Nancy Pelosi, an.

Zumindest in der Europäischen Union könnte die aktuelle Vorgehensweise bald schon teuer für Twitter werden. Ab dem 25. August müssen sich besonders mächtige Tech-Unternehmen (darunter auch Twitter) dem Digital Services Act beugen. Dieser verpflichtet die Plattformen zu einem deutlich strikteren Umgang mit Hass und Hetze, stets unter Androhung von Geldstrafen in Höhe von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes. Allzu viele Verstöße dürfte sich Twitter aktuell demnach nicht leisten können. (mick, 5.6.2023)