Sebastian Borger aus London

Wie ernst ist es den US-Ermittlungsbehörden mit ihrer Strafverfolgung von Julian Assange? Die Frage hat dieser Tage neue Brisanz dadurch erhalten, dass ein einstiger Kooperationspartner des Wikileaks-Gründers um eine Zeugenaussage gebeten wurde – sechs Jahre nachdem die damalige Trump-Regierung dem FBI-Verfahren neuen Schwung verlieh. Unterdessen hat Assanges Frau Stella in der australischen Heimat ihres Mannes für dessen Freilassung aus mehr als vierjähriger Haft in London geworben. "Genug ist genug", glaubt auch Canberras Premierminister Anthony Albanese.

Assange, Wikileaks
Stella Assange (Mitte), die Frau des inhaftierten Wikileaks-Gründers, kämpft für dessen Freilassung.
IMAGO/AAP

Der Labour-Regierungschef hat sich bereits persönlich bei US-Präsident Joe Biden für den depressiven und suizidgefährdeten Aktivisten eingesetzt. Hingegen steht das Schicksal des 51-Jährigen offenbar noch nicht auf der Agenda für den Besuch des britischen Premiers Rishi Sunak in Washington am Dienstag.

Im Mittelpunkt dürfte dort die Wiederannäherung der Brexit-Insel an die EU stehen, die den Amerikanern nicht zuletzt mit Blick auf Nordirland am Herzen liegt. Gemeinsam haben die drei anglophonen Staaten vor zwei Jahren ihren neuen Verteidigungspakt Aukus auf den Weg gebracht, dessen Kern aus der Belieferung Australiens mit atombetriebenen U-Booten aus US-Herstellung besteht.

Keine Priorität

Aber Freiheit für Julian Assange? Das scheint jedenfalls aus US-Sicht keine Priorität zu sein. Den Eindruck gewann jedenfalls der preisgekrönte schottische Romancier Andrew O'Hagan, bei dem sich kürzlich das FBI meldete. Kurioserweise wollten sich die US-Ermittler mit dem Autor über dessen Zusammenarbeit mit Assange vor mehr als einem Jahrzehnt unterhalten. Der in London lebende Schotte lehnte brüsk ab.

Die Haltung ist keineswegs selbstverständlich, schließlich machte O'Hagan mit Assange die gleiche Erfahrung wie frühere Kooperationspartner von Wikileaks, etwa der britische Guardian oder die New York Times: Die ursprünglich gute Zusammenarbeit endete rasch in einem Zerwürfnis. Statt als Ghostwriter für Assanges Autobiografie zu fungieren, veröffentlichte O'Hagan 2011 dessen unautorisierte Lebensgeschichte.

Lange Verfolgung

Bereits dreizehn Jahre liegt zurück, dass Assanges Enthüllungsplattform umfassende Informationen über US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak veröffentlichte. Keine der damals angeprangerten Straftaten hatte ein Verfahren gegen die Verantwortlichen zur Folge. Hingegen beschäftigten sich Londoner Gerichte seit 2010 mit dem Australier, als zunächst Schweden seine Auslieferung wegen angeblicher Sexualdelikte forderte.

Später folgten die USA mit der Aufforderung an Großbritannien, Assange zu überstellen. Auch ohne rechtsgültige Verurteilung muss der mittlerweile 51-Jährige auf seine Freiheit verzichten: Auf zwei Jahre Hausarrest sowie sieben Jahre Asyl in der Londoner Botschaft Ecuadors folgte seit April 2019 die Straf- und Auslieferungshaft. Derzeit sind Einsprüche gegen die bereits genehmigte Auslieferung vor dem Londoner High Court sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anhängig. (Sebastian Borger, 5.6.2023)