Volker Türk
Volker Türk bei einer UN-Ratssitzung in Genf im Februar.
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Wien – Uno-Menschenrechtskommissar Volker Türk warnt vor Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan, wie sie zuletzt Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gefordert hat. "In Afghanistan sehen wir jede Woche eine Verschlechterung der Menschenrechtslage, in Syrien ist die Menschenrechtslage nach wie vor äußerst prekär, ich sehe nicht, dass man da mit zwangsweisen Rückführungen anfangen kann", sagte Türk im APA-Gespräch. Auch die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten sieht er kritisch.

Der aus Österreich stammende Uno-Hochkommissar für Menschenrechte, der diese Woche in Wien ist, wünscht sich in Bezug auf die Migrationspolitik in Europa "eine vernunftbegabte und faktenbezogene Diskussion, die auf dem Menschenrechtswerk und Flüchtlingsregelungen beruht und sich nicht davon entfernt".

Asylverfahren nach britischen Vorbild in Drittstaaten zu verlagern ist nach Ansicht Türks nicht mit den Menschenrechten vereinbar. Der Deal Großbritanniens mit Ruanda basiere auf ähnlichen Vorstellungen wie jenen der australischen Flüchtlingspolitik. "Man möchte nichts mit den Menschen zu tun haben, sie dürfen gar nicht mehr in mein Territorium kommen", kritisierte der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte.

Australien: "Politik der Grausamkeit"

Im Falle von Australiens Flüchtlingspolitik spricht Türk von "einer Politik der Grausamkeit, die Menschenrechte verletzt, das Flüchtlingsrecht verletzt" und warnt vor den Auswirkungen auf die Bevölkerung: "Wenn ich eine Gruppe von Menschen so abschotte, kann es auch zu einer Verrohung einer Gesellschaft beitragen, und das macht mir Sorgen."

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) äußerte in einer Reaktion "wenig Verständnis" für die Aussagen des Uno-Hochkommissars. In einer der APA übermittelten Stellungnahme betonte er, "dass das derzeitige System kaputt" sei und man daher "offen an neuen Regelungen arbeiten" müsse. "Das reicht von einem funktionierenden Grenzschutz, über Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen bis hin zur Diskussion über Verfahren in sicheren Drittstaaten. Ein menschenrechtskonformes, funktionierendes und vernünftiges Asylsystem muss verhindern, dass sich Menschen aus wirtschaftlichen Gründen auf ihren leider zu oft tödlichen Weg machen", argumentierte Karner.

In Bezug auf die weltweite Lage der Menschenrechte zeigte sich Türk besorgt, dass angesichts der wachsenden geopolitischen Spannungen vergessen werde, worum es bei den Menschenrechte geht. "Dass es eben nicht ein Pingpong ist in den geopolitischen Auseinandersetzungen, sondern auch etwas, was sich tatsächlich im Alltäglichen abspielt." Als große Herausforderungen unserer Zeit für die Menschenrechte sieht er auch den Umgang mit dem Klimawandel und die Digitalisierung.

Menschenrechtsproblem Armut

Aktuell am schlimmsten ist die Menschenrechtssituation dem Uno-Hochkommissar zufolge in bewaffneten Konflikten wie zuletzt im Sudan. "Wenn jetzt über 60 Spitäler schon nicht mehr funktionieren, da sieht man: Denen ist es eigentlich egal, was mit den Menschen passiert, wenn es nur um die Macht von zwei Männern geht", sagte Türk in Bezug auf den Machtkampf zwischen Sudans Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und dem Miliz-Chef Mohamed Hamdan Dagalo.

Verschlimmert habe sich zuletzt die globale Menschenrechtssituation auch durch die gestiegene weltweite Armut. Durch die Corona-Pandemie und die nachfolgende Krise durch den Ukrainekrieg sei die Zahl der Menschen in extremer Armut deutlich gestiegen. "300 Millionen Menschen, die jetzt wieder zurückgefallen sind in extreme Armut, das ist natürlich auch ein Menschenrechtsproblem, das wird oft nicht so gesehen", so Türk. Auch in Europa und in Österreich sei der Anteil der armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Bevölkerung in den letzten Jahren gestiegen.

Genauso ein Menschenrechtsproblem sei schädliche Missinformation auf sozialen Plattformen oder Hasstiraden gegen Andersdenkende und Frauenfeindlichkeit, die von manchen Influencern verbreitet werden.

China: "Hoffnung stirbt zuletzt"

In Bezug auf die Unterdrückung der ethnischen Minderheiten in China zeigte sich Türk zweckoptimistisch: "Ich habe schon den Eindruck bekommen durch diese Gespräche, dass es zumindest eine Erkenntnis gibt, dass man sich manche dieser Gesetze genauer ansehen muss, dass es da schon eine Reformbedarf gibt", sagte Türk und fügte hinzu: "Die Hoffnung stirbt zuletzt."

Angesichts der vielfältigen Herausforderungen klagt Türk über die unzureichende Finanzierung seines Büros. Es gebe "viele Lippenbekenntnisse", aber die Unterstützung stehe in keinem Verhältnis dazu, "wie es sein sollte und auch effektiv wäre", sagte er. Türk sei in vielen Ländern gewesen, und "ich sehe nur Möglichkeiten, wo wir mehr tun könnten, wo wir Leute aus Gefängnissen rausbringen könnten, wenn wir mehr Präsenz vor Ort hätten, wo wir auch Gesetzesvorschläge kommentieren könnten". Vom heurigen Jubiläumsjahr – 30 Jahre Wiener Weltkonferenz über Menschenrechte, die den Anstoß für die Schaffung des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte gab, und 75 Jahre Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – erhofft sich Türk, "dass es zu einer neuen Aufbruchsstimmung kommt, auch was meine Institution betrifft". (APA, red, 5.6.2023)