Umweltvreschmutzung
Daten müssen zuerst aufbereitet werden, bevor sie von der KI genutzt werden können.
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Die Übertragbarkeit von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die verschiedensten Fragestellungen macht die Technologie zu einer "Superkraft", so die US-Computerwissenschafterin Carla Gomes. KI liefere der Menschheit die Basis, Herausforderungen wie Klimawandel, Schutz der Artenvielfalt oder eine ressourcenschonende Energieversorgung in viel grundlegenderen, übermenschlichen Dimensionen zu durchdenken und in ihrer Komplexität zu begreifen.

Expertin gastiert in Wien

Heute, Montagabend, spricht die Expertin, die als eine Pionierin der "computergestützten Nachhaltigkeit" gilt, an der Technischen Universität (TU) Wien über das Potenzial von KI, um eine nachhaltige Zukunft zu fördern. Das von Gomes vor 15 Jahren mit einer zehn Millionen US-Dollar schweren Forschungsförderung der National Science Foundation (NSF) gestartete Forschungsfeld "Computational Sustainability" hat es zum Ziel, rechnergestützte Methoden anzuwenden, um ökologische, wirtschaftliche und soziale Bedürfnisse für eine nachhaltige Entwicklung in Einklang zu bringen.

Ein Fokus ihrer Forschung ist Biodiversität: "Wir haben Modelle des Maschinellen Lernens entwickelt, um die Artenverteilung, Migration und Anzahl von Vögeln in verschiedenen Regionen vorhersagen zu können", so Gomes gegenüber der APA. Diese Modelle habe man wiederum in adaptierter Form genutzt, um Eigenschaften von Materialien, etwa ihren Nutzen als Halbleiter oder ihre Absorptionskraft von Licht, vorherzusagen. "Es ist mathematisch gesehen ein ähnliches Problem."

Kategorisierte Daten für die KI

Eine Herausforderung war es, aus den Rohdaten - den Beobachtungsdaten der Vögel oder eben den Daten aus der Kristallstrukturanalyse - kategorisierte Daten zu schaffen, auf deren Grundlage Maschinelles Lernen stattfinden kann. Über sogenannte "Deep Reasoning Networks", mit denen sich die Daten interpretieren lassen, setzten Gomes und ihr Team so etwa ein Modell für die automatisierte Abbildung von Kristallphasenstrukturen - eine zentrale Herausforderung in den Materialwissenschaften - um.

Die daraus erlangten methodischen Erkenntnisse, die vor zwei Jahren im Fachmagazin "Nature Machine Intelligence" vorgestellt wurden, "haben uns wiederum Grundlagen geliefert, wie wir unsere Vogel-Modelle um die Erkennung von verschiedenen, artspezifischen Vogellauten erweitern können", so Gomes: "Übrigens können unsere Deep Reasoning Networks auch genutzt werden, um Sudoku-Probleme zu lösen." In einem weiteren Projekt nutzte Gomes ihre KI-Methoden, um die strategische Planung von Wasserkraft-Staudämmen im Amazons-Gebiet zu unterstützen - mit Blick auf ihren vielfältigen Impakt für das Ökosystem und die Arten.

Diese Übertragbarkeit gepaart mit der Möglichkeit, so viel umfassendere Datenmengen zu nutzen und zu verarbeiten, als es das menschliche Gehirn schafft, führe zu enormem Potenzial für die Nachhaltigkeitsforschung, so die Professorin der Cornell University in Ithaca, USA. Herausforderungen in der Nachhaltigkeitsforschung führten aber auch zu neuen Methoden, mit anderen Einsatzmöglichkeiten.

Generative KI: Vergleich mit Buchdruck

In einem früheren Zeitungsinterview meinte die Forscherin einmal, sie fasziniere die Idee, dass Computer einmal die Intelligenz replizieren könnten. Mit Blick auf die neusten Entwicklungen rund um generative KIs wie ChatGPT zeigt sich Gomes ähnlich fasziniert und zieht den Vergleich zur Erfindung des Buchdruckes - "auch wenn die Bedeutung von ChatGPT als Hilfsmittel für wissenschaftliche Neuentdeckungen derzeit noch nicht so groß ist", so ihre Einschätzung.

"Man realisiert, wie zentral Sprache ist und wie sie zu unserer Intelligenz beigetragen hat", so Gomes, die die jüngsten Technologien auch bereits in ihre KI-Modelle für ornithologische Artenvielfalt einfließen lässt. ChatGPT werde zwar nicht die Herausforderungen lösen können, die die komplexe Materie der Nachhaltigkeit den Computerwissenschaftern auferlegt. Aber es könne als eine willkommene Erweiterung neuer Möglichkeiten gesehen werden. Die Forscherin verweist gleichzeitig auf potenzielle Risiken, z. B. in Bezug auf Falschinformation oder schwereren Missbrauch. "Es braucht hier Schutzmaßnahmen sowie Nutzungsrichtlinien für alle Arten von KI-Anwendungen, auch für die Forschungsgemeinschaft."

"Sara", die KI-Gehilfin

Im Lab der gebürtigen Portugiesin geht ihr "Sara" zur Hand: "Das steht für Scientific Autonomous Reasoning Agent - 'Sara' ist unsere wissenschaftliche Gehilfin": Das Robotersystem formuliert Hypothesen, entwickelt Studiendesigns, führt Experimente durch und interpretiert Daten. "Künstliche Intelligenz revolutioniert die Welt", so Gomes, Leiterin des Institutes für computergestützte Nachhaltigkeit sowie stellvertretende Direktorin des dort angesiedelten "AI for Science Institute". Zentrale Voraussetzung für ihre erfolgreiche Anwendbarkeit auf Nachhaltigkeitsforschung sei aber, den Zugang zur besten Expertise in den betreffenden Themenfelder und interdisziplinäre Zusammenarbeit zu haben.

Man sei sich bewusst, dass die zunehmende Anwendung von KI und die enormen Rechenleistungen der Systeme auch zentrale Fragen in Bezug auf Energieversorgung und CO2-Fußabdruck aufwerfen. Forschung zu "Sustainable Computing", wie etwa die Entwicklung effizienterer "grüner" Software, sieht Gomes dabei als eine zentrale Komponente der "Computational Sustainability" - sie aber habe schon immer den Fokus auf den Nutzen von KI für wissenschaftliche Entdeckungen gelegt. (APA, 5.6.2023)