Die Gletscher unserer Berge haben den vergangenen Winter einigermaßen heil überstanden. Lag im Hochwinter extrem wenig Schnee, so wuchs die Schneedecke dann wegen der ergiebigen Schneefälle im April und Mai doch noch deutlich an. Am Ende kam ein durchschnittlicher Status quo heraus, wie Fachleute von Geosphere Austria am Montag nach Messungen in den Hohen Tauern berichteten. "Für die langfristige Entwicklung der Gletscher in Österreich ist aber die Witterung im Sommer wichtiger als im Winter", warnt der Experte Anton Neureiter.

Der Goldbergkees am Sonnblick in den Hohen Tauern sah vor einigen Jahren noch halbwegs passabel aus. Der Schneezuwachs des späten Winters hat dem Gletscher nun zum Schluss noch eine schützende Decke verliehen – ob sie ihn wirklich schützen kann, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.
Foto: APA/ENDER/BOEHM/FORSTER

Großer Eisverlust

Und die Prognosen dafür sind wenig ermutigend: Schon im Jahr 2022 verloren die heimischen Gletscher mehr Eis als je zuvor, insgesamt wurden über fünf Kubikkilometer Eis zu Wasser. Während aber im Vorjahr noch La Niña die Erwärmung etwas bremste, wird in den nächsten Monaten, spätesten aber im kommenden Jahr Bruder El Niño das Ruder übernehmen und für neue Rekorde sorgen, wie die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) unlängst berichtete.

Die letzten, recht ergiebigen Niederschläge verschaffen den Gletschern also wohl nur eine kurze, wenn auch sehr willkommene Atempause. "Der späte Schnee macht einen großen Unterschied für die Massenbilanz des Winterhalbjahres. Hätten die Messungen am 1. Mai stattgefunden statt um den 25. Mai, wäre die Wintermassenbilanz um etwa 15 Prozent geringer ausgefallen", betonte Neureiter.

Webcam-Aufnahme vom Goldbergkees mit Blickrichtung Nordwest vom 5. Juni, 10.30 Uhr.
Foto: GeoSphere Austria

450 Messpunkte

Von Geosphere werden gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur Wien jedes Jahr im Frühling die Gletscher am Hohen Sonnblick (Goldbergkees und Kleinfleißkees) vermessen. "Um den Massenzuwachs im vergangenen Winter zu berechnen, ermittelten wir am Gletscher an rund 450 Punkten die Schneehöhe mit Sonden und bestimmten an weiteren fünf Positionen in Schneeschächten die Schneedichte", berichtete Neureiter.

Die ersten Auswertungen zeigen einen Gewinn an Masse im Winterhalbjahr, der in etwa dem Durchschnitt der vergangenen Jahre entspricht. Die mittlere Schneehöhe lag heuer Ende Mai am Goldbergkees bei 415 Zentimetern (zehn Zentimeter über dem Mittel der vergangenen Jahre). Das entspricht einem Massenzuwachs von 1.800 Kilogramm pro Quadratmeter und lag sechs Prozent über dem Mittel der vergangenen Jahre. Am Kleinfleißkees rangierte die mittlere Schneehöhe ebenfalls zehn Zentimeter über dem Mittel. Der Massenzuwachs von 1.550 Kilogramm pro Quadratmeter ergab sogar acht Prozent über dem Mittel.

Ein Forschungsteam von GeoSphere Austria misst Dichte und Temperatur der Schneedecke in einem Schneeschacht.
Foto: GeoSphere Austria/Neureiter

Neuschnee als Schmelzschutz

Für die langfristige Schmelzrate der Gletscher ist das Wetter im Sommer jedoch ausschlaggebender. "Entscheidend ist, ob gelegentliche Kaltlufteinbrüche im Sommer auf den Gletschern Schnee bringen. Denn eine frische, sehr weiße Schneedecke reflektiert die Sonnenstrahlen zu fast 100 Prozent und kann den Gletscher bis zu einer Woche vor dem Schmelzen schützen. Ein Gletscher ohne Neuschnee ist hingegen viel dunkler, nimmt daher viel Sonnenstrahlung auf und kann in einer Woche bis zu einem halben Meter Eisdicke verlieren", erklärte Neureiter. (red, APA, 5.6.2023)