Zlatan Ibrahimovic verabschiedet sich in Mailand.
APA/AFP/GABRIEL BOUYS

"Auch Gott ist traurig": Das Wetter in Mailand, der Regen Sonntagfrüh, ließ für Zlatan Ibrahimovic im Rückblick natürlich keinen anderen Schluss zu. Schließlich wollte der 41-jährige Schwede am späten Abend, nach dem finalen Saisonspiel des AC Milan gegen Hellas Verona in San Siro (3:1), seinen Abschied vom Fußball verkünden. Wem wäre da nicht zum Heulen zumute? Es trat ein Fußballgott ab.

Ibrahimovic hat sich nicht ganz zu Unrecht zuweilen selbst so bezeichnet. Der Bedeutung seines Vornamens gemäß wurde ihm im Beruf alles zu Gold. Das Migrantenkind aus dem Malmöer Problemviertel Rosengård wurde zu einem der prägendsten Sportentertainer der ersten beiden Jahrzehnte dieses Jahrhunderts und also zum vielfachen Millionär.

32 Titel, fast 500 Tore

Dafür reichten nicht allein die 32 Titel, die er mit seinen Klubs in den Niederlanden, Italien, Spanien, Frankreich und England holte, die fast 500 Treffer in nahezu 900 Pflichtspielen auf Vereinsebene, die 62 Tore aus 122 Spielen für Schweden, darunter der  vermutlich spektakulärste Treffer der Geschichte, erzielt aus fast 30 Metern per Volley-Fallrückzieher beim 4:2-Testspielsieg über England am 14. November 2012, bei dem er insgesamt viermal netzte.

Zlatan Ibrahimovics Fallrückzieher gegen England
Zlatan Ibrahimovics überragender Fallrückziehertreffer zum 4:2-Endstand im Freundschaftsspiel gegen England.
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Die Sammlung begonnen hat der Sohn der Kroatin Jurka Gravic und des Bosniers Sefik Ibrahimovic erst nach seinem Wechsel von Malmö FF zu Ajax Amsterdam. Wie sich das schon daheim nur schwer zu bändigende Supertalent beim niederländischen Rekordmeister durchsetzte, zeichnen eine Dokumentation ("Becoming Zlatan") und ein Spielfilm nach, der wie seine schon 2011 erschienene Biografie den schlichten Titel "I Am Zlatan" trägt.

Milieustudie und Wortschöpfung

Die offenbare in Passagen mehr über das Einwanderungsland Schweden als einschlägige Studien, hieß es. Kleinkriminalität, Prügeleien und auch Hunger prägten die Kindheit des Superstars. Zum Ausbruch aus dem Elend brauchte es Durchsetzungskraft. Es nimmt nicht Wunder, dass das Verb "zlatanera" in der Bedeutung "jemanden klar dominieren" in die schwedische Sprache einging.

Der Ruf der Disziplinlosigkeit eilte dem 1,92 Meter großen Torjäger voraus. Und Ibrahimovic, der sich lange als verkanntes Genie sah, pflegte die für einen Profi als hinderlich angesehenen Charaktereigenschaften wie Starrsinn und Jähzorn. Faulheit attestierte er sich selbst, allerdings lernte er schnell, einerseits sein Potenzial voll auszuschöpfen – für Ajax Amsterdam, Juventus Turin, den FC Barcelona, Inter Mailand, den AC Milan, Paris Saint-Germain und Manchester United – und andererseits den Zauber des polarisierenden Unangepassten zu pflegen, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Seine Wickel mit Mitspielern und Trainern sind legendär wie seine Sprüche.

Ein Zwerg namens Messi

Eine besondere Aversion hegt er gegen den Stil von Pep Guardiola, unter dem er für den FC Barcelona stürmte. Den "Philosophen" brauche es nicht, ließ Ibrahimovic Präsident Joan Laporta wissen. "Der Zwerg und ich reichen vollkommen." Immerhin, Lionel Messi ließ er als nahezu ebenbürtig gelten, auch wenn er den Argentinier, Xavi und Andres Iniesta, allesamt Barca-Legenden, auch als "Schulbuben ohne eigene Meinung" verunglimpfte.

Zlatan Ibrahimovic im Dress des FC Barcelona.
APA/AFP/LLUIS GENE

"Zum Frühstück hatte ich Schweden. Zum Mittagessen Europa. Zum Abendessen habe ich die Welt übernommen", fasste er einmal sein Schaffen zusammen. Das war schon in der Spätphase, nach der Eroberung der USA. 56 Tore hatte er in 52 Spielen für LA Galaxy erzielt. Mit "Ich kam, ich sah, ich eroberte" eröffnete er seinen Tweet zum Abschied im November 2018. "Ihr wolltet Zlatan, ihr habt Zlatan bekommen. Gern geschehen. Die Geschichte geht weiter. Jetzt schaut wieder Baseball." Basketballsuperstar LeBron James soll nicht wenig verwundert gewesen sein, als er ein Trikot, das er in Anerkennung seiner Leistungen Ibrahimovic geschickt hatte, vom Fußballer signiert zurückkam. Stimmt die Geschichte nicht, so ist sie jedenfalls gut erfunden.

Kampfkunst und Leidensfähigkeit

Die Konkurrenz, zumal die jüngere, kam bei Ibrakadabra, einem Fan asiatischer Kampfkünste und wohl deshalb oft Schütze besonders spektakulärer Tore, oft schlecht weg. "Ich habe kein Problem damit zu leiden. Für mich ist das Leiden wie das Frühstück. Aber viele Menschen verstehen das Leiden nicht, weil die neue Generation nur sehr wenig tun muss, um etwas zu erreichen", sagte er im Frühherbst seine Karriere.

San Siro's final tribute to 𝙕𝙡𝙖𝙩𝙖𝙣 𝙄𝙗𝙧𝙖𝙝𝙞𝙢𝙤𝙫𝙞𝙘́
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Die verdanke er auch seiner um elf Jahre älteren Freundin Helena Seger, einem Ex-Model. "Sie hat den Löwen in mir gezähmt", sagte Ibrahimovic dem "Zeit"-Magazin. "Ohne sie wäre ich für meine Mitmenschen vermutlich eine Zumutung." Seger wird wohl auch großen Anteil daran haben, dass auf Ibrahimovic ein Klischee eher nicht zutrifft, nämlich dass man einen Burschen wohl aus dem Ghetto, das Ghetto aber nicht aus dem Burschen holen könne. Echte Skandale abseits des Platzes hat Ibrahimovic nicht geliefert. Auch zum Frommen seiner zwei Söhne, Maximilian (16) und Vincent (15), die genau wissen, wo Gott wohnt.

Noch einmal zlatanieren

Der hatte Sonntagabend selbst mit den Tränen zu kämpfen. Zu schwer falle ihm der Abschied, "zu viele Emotionen" seien im Spiel, sagte Ibrahimovic mit wässrigen Augen. Als die Gästefans aus Verona zu stören gewagt hatten, "zlatanierte" sie Ibrahimovic aber in typischer Manier. "Buht ruhig", zischte er, "mich sehen zu dürfen ist der größte Moment eurer Saison." (Sigi Lützow, 5.6.2023)