Die fünf abwechslungsreichen Klassen können als Frau oder als Mann gespielt werden.
Die fünf abwechslungsreichen Klassen können als Frau oder als Mann gespielt werden.
Blizzard

Tolles Spiel, aber überteuerter Shop – so könnte man die bisherigen Meinungen zum vierten Ableger der Action-Rollenspiel-Reihe "Diablo" kurz zusammenfassen. Da Vertrauen gut, aber Selberspielen meist besser ist, hat sich DER STANDARD ebenfalls in den Kampf geworfen und ausprobiert, wie sich "Diablo 4" im wahrsten Sinne des Wortes schlägt.

Das perfekte Spiel

Gäbe es eine Checkliste, wie das perfekte Action-Rollenspiel auszusehen hat, "Diablo 4" könnte wohl fast alle Boxen mit einem grünen Häkchen versehen. Mit Lilith gibt es erstmals eine Bösewichtin, die in den zahlreichen Zwischensequenzen nicht nur ausreichend dargestellt, sondern auch durch Vielschichtigkeit punkten kann. Da gönnt man sich als Spieler gern eine Pause, um den gut geschriebenen Dialogen zu lauschen und so tiefer in die düstere Welt einzutauchen.

Hand in Hand mit diesen die Story vorantreibenden Sequenzen geht auch die Präsentation mit einem unglaublich stimmigen Soundtrack, einer nahezu perfekten Synchronisation und einem ungewöhnlich hohen Detailgrad in Sachen Grafik einher. Da sitzt von den sanften Klavierklängen in schneeverwehten Umgebungen genauso jeder Takt wie in der opulenten grafischen Komposition der zahlreichen Umgebungen. In dunklen Höhlen zieren Blut und modernde Kadaver das Bild, während in den Städten und Dörfern die Hoffnung nach Freiheit in Gesprächen und in so mancher Geste fast physisch spürbar wird. Eine weitere Ebene ziehen die regelmäßig auftauchenden Begleiter ein, die nicht nur im Kampf zur Seite stehen, sondern ebenfalls mit einer kleinen Story aufwarten können.

Selbst der Umfang ist mit zumindest 30 bis 50 Stunden für das einmalige Durchspielen der sechs Akte sogar für Solisten zufriedenstellend, die sich danach nicht in die ewigen Sammeljagdgründe des Spiels begeben wollen. Wer mehr Ausdauer mitbringt, der kann sich in härteren Schwierigkeitsgraden bessere Ausrüstung verdienen oder den eigenen Charakter in weiteren Durchgängen ganz serientypisch in bisher unerreichte Höhen spielen. Nur ein Beispiel für weitere Inhalte wären etwa das Paragon-Brett, das einen zusätzlichen Talentbaum für passive Spezialisierungen erlaubt, oder Festungen, die besonders viele und ausdauernde Gegner für den Spieler parat halten und nach dem Besiegen dieser neue Händler freischalten.

Der Talentbaum der einzelnen Klassen bietet zahlreiche Möglichkeiten, um den Charakter zu spezialisieren.
Der Talentbaum der einzelnen Klassen bietet zahlreiche Möglichkeiten, um den Charakter zu spezialisieren.
Blizzard

Das tut beim Zuhauen weh

All die aufgezählten Punkte wären allerdings nicht den kleinsten Goldsack wert, würde das eigentliche Gameplay – also das Vermöbeln von Skeletten, Spinnen und Dämonen – keinen Spaß machen. Die gute Nachricht ist, es macht Spaß. Egal ob man mit der Axt des Barbaren den Untoten einen Gruß in die Rippen schickt oder mit der Schurkin eine Salve an Pfeilen auf eine Gruppe von Gegnern jagt – das Feedback fühlt sich belohnend an. Schon nach wenigen Minuten kommt man, sofern man dem Genre zugeneigt ist, in einen sogenannten Flow. Man schlägt sich durch Monsterhorden, sammelt Gegenstände und Erfahrungspunkte, bis man mit dem nächsten Level-Aufstieg neue Fertigkeiten freischaltet, um sich damit noch besser der Gegner erwehren zu können.

Mit gut dosiert fallenden Waffen und Rüstungsteilen, die man sich mit Genuss ins Inventar schiebt, wird der Sammeltrieb befriedigt, während die anhaltend spannende Story und neue Möglichkeiten im Kampf beziehungsweise neue Gebiete ausreichend Abwechslung bieten, um dem Einzug der Eintönigkeit keine Chance zu geben. Vor allem die komplexen Talentbäume der fünf verschiedenen Klassen bieten dermaßen viele Wahlmöglichkeiten, dass man sich gern an verschiedenen Bauweisen versucht, um diese – für den Einsatz einiger Goldmünzen – nach ein paar Stunden neu zu pflanzen und ganz andere Fertigkeiten auszuprobieren.

Wem trotz dieser Möglichkeiten allein schnell die Luft ausgeht, der kann sich bis zu drei Freunde ins Spiel holen, um dann gemeinsam den Kampf gegen Lilith zu suchen. Das macht, wie schon bei älteren Teilen der Franchise, meist mehr Spaß, weil diverse Helden-Fertigkeiten einander gut ergänzen. Eine auf Eis spezialisierte Zauberin kann einem von Eisschaden profitierenden Schurken das Leben einfach einen Tick einfacher machen, und das ist nur ein Beispiel von vielen. Der Story mit ihren dialogreichen Zwischensequenzen kann man allerdings sicher allein besser folgen als mit drei grölenden Freunden, die ihren Durst nach digitalem Blut durch emotional aufgeladene Gespräche nicht unterbrochen sehen wollen.

Wer keine Freunde hat oder zumindest niemanden, der gemeinsam "Diablo" spielen mag, der sucht sich alternativ im Spiel nach menschlichen Begleitern um. Es können Gruppen gebildet oder es kann einem Clan beigetreten werden. Letzteres hilft, um über das aktuelle Online-Sein der Mitglieder auf einen Blick informiert zu werden und damit man sich schneller absprechen kann, wie das in ähnlichen Spielen schon der Fall ist. Ansonsten sind andere "Diablo"-Spielerinnen nur Randfiguren, etwa wenn man sie in Städten beim Herumlaufen beobachtet oder beim Auftauchen von sogenannten Weltbossen, die man nur gemeinsam besiegen kann.

Der Shop sorgte im Vorfeld für heftige Diskussionen. 25 Euro für eine schicke Rüstung klingen für ein Vollpreisspiel dann doch sehr viel.
Der Shop sorgte im Vorfeld für heftige Diskussionen. 25 Euro für eine schicke Rüstung klingen für ein Vollpreisspiel dann doch sehr viel.
Blizzard

Zur Kasse gebeten

Mit einem Kaufpreis von 70 bis 100 Euro gehört "Diablo 4" nicht gerade zu den günstigsten Spielen auf dem Markt, was aufgrund des hohen Produktionsbudgets aber argumentierbar ist. Was deshalb ein wenig schmerzt, ist der Ingame-Shop, der ab Tag eins mit verlockenden Angeboten um Echtgeld bettelt. Da leuchtet etwa die Gespensterfürsten-Rüstung für 2.800 Silbermünzen im Shop auf. Ein kurzer Blick auf einen anderen Teil des Shops lässt wissen, dass man für diese Münzenmenge rund 25 Euro hinblättern muss. Es gibt auch Alternativinterpretationen für das Symbol, das nach dem eigenen Ableben am Bildschirm angezeigt wird, Verzierungen oder auch üppig ausgestattete Reittiere.

Sieht man sich andere Videospiele der Gegenwart an, egal ob Free2Play oder Vollpreis-Titel, dann sind die im "Diablo"-Shop verlangten Preise nicht unverschämt hoch, aber diese Tatsache macht diesen digitalen Raubzug für den Spieler nicht viel besser. Zugutehalten muss man Hersteller Blizzard, dass es sich ausschließlich um optische Verbesserungen handelt und keine Gameplay-verzerrenden, etwa "unbezwingbare Klingen des Todes", die Gegner doppelt so schnell töten würden, oder ähnlichen Firlefanz.

Zudem können auch ohne Echtgeld aufgehübschte Avatare im Spiel sehr schick aussehen, was die Gier nach Gespensterfürsten-Rüstungen und Ähnlichem leichter unterdrücken lässt. Dennoch ist hier für Blizzard natürlich Luft nach oben, und es werden wohl irgendwann auch Waffeninterpretationen oder Reittiere im Shop erhältlich sein, die man sich sehr gerne holen würde. Hier gilt es das Spiel als Test für die eigene Selbstbeherrschung zu verstehen. Wer mehr dazu wissen will, der kann in einer kürzlich veröffentlichten Newsmeldung die wichtigsten Zahlen nachlesen.

Diablo IV | Gameplay Launch Trailer
Hell welcomes all. 🔥 6.6.23 🔥 Pre-purchase the Ultimate Edition for up to 4 days Early Access. Diablo4.com Music: "You Should See Me In A Crown" by Billie Eilish
Diablo

Spiel ohne Ende

Nach einigen Beta-Testphasen und dem Frühstart am 2. Juni für Vorbesteller hat Blizzard bereits am 5. Juni einen großen Patch veröffentlicht, der diverse Klassenänderungen vorgenommen hat. So wurden etwa die Begleiter des Totenbeschwörers deutlich stärker gemacht, während ausgewählte Fähigkeiten des Druiden oder des Barbaren bereits abgeschwächt wurden. So werden wohl auch in den nächsten Wochen und Monaten immer wieder sogenannte Balance-Patches erscheinen, die immer wieder solche Nachjustierungen vornehmen werden. Das wird vor allem für Vielspieler relevant sein, für Hobbyprügler passt das Spiel bereits jetzt, wie es ist.

Ebenfalls angekündigt wurde von Hersteller Blizzard, dass man die erste Erweiterung bereits abgeschlossen habe und demnächst bereits die zweite in Angriff nehmen möchte. Damit hätte "Diablo 4" schon jetzt das Versprechen, mehr große inhaltliche Erweiterungen zu liefern als die beiden Vorgänger. Generell sieht es so aus, als hätte das Spiel sehr von den Erfahrungen der letzten Teile profitiert, und mit einer stringenten Roadmap scheint das Team von Blizzard laufend neue Inhalte liefern zu wollen, damit die Community über die Jahre erhalten bleibt.

"Diablo 4" ist am 2. Juni bereits für Vorbesteller verfügbar gewesen, alle anderen dürfen ab dem 6. Juni loslegen. Das Spiel ist für PS5, Xbox Series und PC ab circa 70 Euro erhältlich. Das Testmuster für die Playstation 5 wurde dem STANDARD von Blizzard zur Verfügung gestellt.

Fazit

"Diablo 4" ist für die anvisierte Zielgruppe das fast perfekte Spiel geworden. Das altbewährte Spielkonzept der Vorgänger wurde mit einigen Detailverbesserungen sinnvoll erweitert, beispielsweise einer riesigen, offeneren Welt, überraschenden Weltbossen oder komplexen Talentbäumen. Das Hindreschen auf Gegner macht Spaß, die besser werdenden Gegenstände wirken fair in der Welt verteilt.

Der größte Vorwurf, den man dem Spiel machen kann, ist der fehlende Mut. Erneut läuft man durch Wüsten und Schneegebiete, die Klassen sind altbekannt, und auch in Sachen Gameplay war irgendwie alles schon einmal da. Den teils unverschämten Ingame-Shop werden die meisten von uns im Idealfall ignorieren und maximal beim nächsten Inhalts-Update in Form eines DLCs erneut ein paar Euro auf Blizzard werfen.

Aber auch mit all den erwähnten Kritikpunkten bleibt "Diablo 4" ein Musterbeispiel für eine solide Fortsetzung einer weltbekannten Marke, die sowohl für Einsteiger als auch Fortgeschrittene ausreichend Herausforderungen bietet. Wer zudem Freundinnen und Freunde an der Hand hat, die regelmäßig für ein paar Stunden mit in diese Welt versinken wollen, für den gibt es wirklich nur ganz wenige Spiele am Markt, die besser für eine fast meditative After-Work-Tätigkeit geeignet sind als "Diablo 4". Und das meine ich tatsächlich als Kompliment. (Alexander Amon, 6.6.2023)