Die Infrarotaufnahme des Spitzer-Weltraumteleskops zeigt die zentrale Region der Milchstraße, wo sich Sterne dicht zusammendrängen. Im Herzen der Galaxie sitzt Sagittarius A*, ein Schwarzes Loch mit der Masse von vier Millionen Sonnen.
Foto: NASA, JPL-Caltech, Susan Stolovy (SSC/Caltech) et al.

Dass es im Zentrum unserer Milchstraße heiß hergeht, lassen mittlerweile verschiedenste Beobachtungen vermuten. Verantwortlich dafür ist vor allem das supermassive Schwarze Loch Sagittarius A* (Sgr A*) in der Mitte. Um diese Schwerkraftsenke wirbelt mit enormem Tempo eine gewaltige Scheibe aus heißem Gas und Sternen. Stürzt Materie in Richtung Ereignishorizont, werden die Teilchen von Magnetfeldern eingefangen und in Form zweier gewaltiger Plasmastrahlen wieder nach außen geschleudert.

Die starken Magnetfelder sorgen auch für allerlei andere exotische Phänomene: In den 1980er-Jahren entdeckte ein Forschungsteam hunderte merkwürdige Materiefäden, die sich vertikal um das galaktische Zentrum anordnen. Die magnetischen Strukturen von bis zu 150 Lichtjahren Länge zeigten eine erstaunlich regelmäßige Erscheinungsbild. Über ihre Ursache konnten die Astrophysiker nur spekulieren. Sie tippten auf Folgen von Materiewinden, die von Sagittarius A* ausgehen. Aber auch Turbulenzen im intergalaktischen Medium könnten verantwortlich sein.

Im Vorjahr wurde die erste Aufnahme des Schattens von Sagittarius A* präsentiert. Das mithilfe des Event Horizon Telescope geschossene Bild lässt den Ereignishorizont, quasi die letzte Grenze, des Schwarzen Lochs erahnen.
Foto: REUTERS/ETH

Zeugen einer turbulenteren Zeit

Eine neuerliche Untersuchung der sonderbaren Filamente hat nun eine völlig neue Population dieser Strukturen ans Tageslicht gebracht. Die Fäden sind entlang der galaktischen Ebene ausgerichtet und weisen wie Speichen eines Rades in Richtung Herz der Milchstraße. Worum es sich handelt, ist auch hier nicht eindeutig, doch das Entdeckerteam um Farhad Yusef-Zadeh von der Northwestern University (Illinois) hat eine Vermutung: Möglicherweise sind die magnetisierten Stränge mehrere Millionen Jahre alte Überbleibsel von Wechselwirkungen zwischen Sagittarius A* und dem umgebenden Gas.

Obwohl unser riesiges Schwarzes Loch jetzt ziemlich ruhig ist, deuten die beobachteten Überreste laut dem Astrophysiker darauf hin, dass das Zentrum unserer Galaxie vor gar nicht so langer Zeit noch recht aktiv war – zumindest nach kosmischen Zeitskalen. "Es war eine Überraschung, plötzlich eine neue Population von Strukturen zu finden, die in Richtung des Schwarzen Lochs zu zeigen scheint", sagte Yusef-Zadeh. "Und wir mussten eine Menge Arbeit investieren, um sicherzustellen, dass wir uns nicht getäuscht hatten."

Die Grafik zeigt sowohl vertikale als auch radiale Filamente, aufgenommen mit dem MeerKAT-Radioteleskop, mit farbkodiertem Neigungswinkel.
Grafik: Farhad Yusef-Zadeh/Northwestern University

Verräterische Striche

Die mit dem vom MeerKAT-Radioteleskop in Südafrika gesammelten Beobachtungsdaten zeigten schließlich, dass diese Filamente nicht zufällig angeordnet sind, sondern mit den Materie- und Strahlungsflüssen des zentralen Schwarzen Lochs zu tun haben dürften. "Diese Objekte verrieten uns dadurch auch mehr über den Spin (bzw. Drehimpuls, Anm.) des Schwarzen Lochs und die Ausrichtung der Akkretionsscheibe", sagte Yusef-Zadeh.

Eigentlich hatte das Team zunächst nur die bereits bekannten vertikalen Filamente im Visier gehabt, als plötzlich auch die radialen "Speichenfilamente" sichtbar wurden – hunderte magnetische Strukturen, die sich deutlich von den vertrauten Phänomen unterscheiden: Sie ähnelten eher kürzeren "Strichen" als durchgehenden Fäden und waren im Schnitt nur fünf bis zehn Lichtjahre lang. Außerdem gaben sie Wärmestrahlung ab, während die vertikalen Filamente Teilchen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigten.

Auf dieser Grafik sind ausschließlich die neu entdeckten radialen Filamente dargestellt.
Grafik: Farhad Yusef-Zadeh/Northwestern University

Vieles deutet darauf hin, dass die radialen Filamente indirekt auf gewaltige Jets zurückgehen, die unser Schwarzes Loch in seiner "aktiven" Phase abgestrahlt hat, berichtet das Team in den "Astrophysical Journal Letters". "Eine der wichtigsten Implikationen des von uns entdeckten radialen Ausflusses ist die Ausrichtung der Akkretionsscheibe und des Jet-getriebenen Ausflusses von Sagittarius A* entlang der galaktischen Ebene", sagt Yusuf-Zadeh.

Jet vor sechs Millionen Jahren

"Aktiv" bedeutet in diesem Fall, dass Material aus der riesigen Scheibe um das Schwarze Loch in Richtung Schwerkraftzentrum fällt. Dabei landet aber nicht das gesamte Material jenseits des Ereignishorizonts – ein Teil der Materie wird umgeleitet und entlang der Magnetfeldlinien zu den Polen des Schwarzen Lochs beschleunigt, wo es in Form eines hochenergetischen Jets mit hoher Geschwindigkeit ins All geschleudert wird. Die radialen "Striche" könnten nach Ansicht von Yusuf-Zadeh und seinem Team das Ergebnis eines Staudrucks sein, der durch einen jetgetriebenen Fluss von Sgr A* erzeugt wird. Die Analyse ihrer Ausdehnung und Position legt nahe, dass dies vor etwa sechs Millionen Jahren geschah.

Ob ihre Vermutung zutrifft, sollen weitere Untersuchungen klären helfen. "Unsere Arbeit ist nie abgeschlossen", sagt Yusif-Zadeh. "Wir müssen immer wieder neue Beobachtungen machen, unsere Ideen immer wieder infrage stellen und unsere Analysen verfeinern." (Thomas Bergmayr, 5.6.2023)