Die jüngsten Umfragen aus Deutschland lassen eine beunruhigende Entwicklung im wirtschaftlich stärksten Mitgliedsstaat der Europäischen Union erkennen.

Die AfD, jene Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall klassifiziert wird, hätte 18 Prozent erreicht, wenn am Sonntag Bundestagswahl gewesen wäre. Das ist ein neuer Höchstwert, und damit liegt die AfD gleichauf mit der SPD und überholt klar die Grünen, die nur auf 15 Prozent kommen würden. In den östlichen Bundesländern Thüringen und Sachsen ist die AfD mit 28 Prozent laut den Umfragen sogar die stärkste Partei und in Brandenburg mit 23 Prozent gleich stark wie die CDU und die SPD. In diesen Ländern finden im nächsten Jahr Landtagswahlen statt.

In Umfragen schneidet seine Regierung schlecht ab: der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz.
AP/Markus Schreiber

Kein Wunder, dass die deutschen Parteien und zugleich die Medien über die Gründe des Aufstiegs der Rechtspopulisten debattieren. Es dürfte sich um eine Kombination aus mehreren Faktoren handeln, die den Extremisten neuen Auftrieb verschaffen: Inflation und gestiegene Energiepreise und vor allem der offene Streit in der Koalitionsregierung um Klimaschutz und die Flüchtlingsunterbringung.

Die Meinungsforscher melden eine massive Unzufriedenheit mit der Ampelregierung aus SPD, Grünen, FDP und mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz. Zwei Drittel der Deutschen sind mit Scholz unzufrieden, und den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck, den einstigen Star der Koalitionsregierung, betrachten sogar 71 Prozent als unfähig.

In einer Atmosphäre der "dumpfen Unzufriedenheit" erscheint die Ampelkoalition als zerstritten und handlungsunfähig. Nur jeder Fünfte ist mit dieser Regierung zufrieden, und die SPD liegt sieben Prozent hinter ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021. Obwohl die CDU der Regierung "führungslose Chaospolitik" und "die Verunsicherung der Bevölkerung" vorwirft, stagniert sie bei 29 Prozent und profitiert bisher nicht von der Unzufriedenheit mit der Ampelregierung.

Trotz internen Führungszwists gewann die AfD bei den letzten Umfragen zwei Prozentpunkte, und der Höhenflug beflügelt die hemmungslose Kampagne der Extremisten. Die Regierung enteigne die Bürger, linker Terror werde ignoriert, der Rechtsstaat versage, und Deutschland sei auf dem Weg in eine "Öko-Diktatur". Das Heizungsaustauschgesetz mit der Datenerfassung für Wärmeplanung liefere sie der "Heizung-Stasi" und der "Wärmeplanwirtschaft" des DDR-Regimes aus. Zugleich fordert die AfD einen "Zuwanderungsstopp". Dass zwei Drittel der Anhänger der AfD die Partei laut den Umfragen nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung über die anderen Parteien wählen, ist keine tröstliche Botschaft für die Sozialdemokraten. Laut einer Umfrage sind 84 Prozent der Meinung, Scholz müsse die Richtung klarer vorgeben, und in der Debatte um die klimaschonenden Heizungen überzeuge die SPD von den Koalitionspartnern mit zehn Prozent am wenigsten – hinter FDP (19 Prozent) und Grünen (14 Prozent).

Ein momentanes Stimmungsbild, aber man redet von einem "Alarmsignal" und von einem "miserablen Bild der Ampelpartner". In den zentralen Politikfragen will sich aber jede Partei auf Kosten der Partner profilieren. (Paul Lendvai, 6.6.2023)