Das globale Artensterben stellt eine große Bedrohung für die Ökosysteme auf der ganzen Welt dar. Bisher war es jedoch kaum möglich, diese Verluste in großem Maßstab zu quantifizieren, was größtenteils dem Fehlen der erforderlichen Infrastruktur geschuldet ist. Eine neue Studie im Fachjournal "Current Biology" zeigt jedoch, dass eine wichtige Quelle für solche Informationen bisher völlig übersehen worden war: Umwelt-DNA (eDNA) aus Filtern von tausenden Überwachungsstationen für die Luftqualität.

Welche Arten von Insekten (im Bild eine Wollbiene), Vögeln, Säugetieren, aber auch Pflanzen eine Gegend beherbergt, lässt sich künftig viel leichter feststellen.
EPA/Annais Pascual

"Eine der größten Herausforderungen im Bereich der biologischen Vielfalt ist die Überwachung auf Landschaftsebene – und unsere Daten deuten darauf hin, dass dies mithilfe der bereits bestehenden Netze von Luftqualitätsüberwachungsstationen gelingen könnte", sagt Elizabeth Clare von der York University Toronto, Kanada. "Dieses Netzwerk gibt es schon seit Jahrzehnten, aber wir haben den ökologischen Wert der von ihnen gesammelten Proben bisher kaum berücksichtigt."

Zootiere in der Luft

Während die Überwachungsstationen für die Luftqualität auf eine lange Geschichte zurückblicken, wurden die Ansätze zur Erfassung und Analyse von eDNA aus der Luft erst vor kurzem entwickelt. Frühere Studien, die ebenfalls in "Current Biology" veröffentlicht wurden, lieferten den Beweis, dass es möglich ist, Arten in einem Zoo durch Luftproben zu identifizieren.

In seiner neuen Studie untersuchte das Team um Clare, ob eDNA auf Filtern gleichsam als Nebenprodukt regelmäßig betriebener Luftqualitätsüberwachung aufgefangen wird. Nach der Extraktion und Vervielfältigung von DNA aus Filtern, die an Überwachungsstationen an zwei Standorten im Vereinigten Königreich entnommen wurden, fanden die Forschenden tatsächlich eine erstaunliche Vielzahl unterschiedlicher DNA-Fragmente, die einen Querschnitt der lokal vorhandenen Pflanzen- und Tierarten lieferte.

Über 180 Arten

Die Analysen des Teams erbrachten eDNA von mehr als 180 verschiedenen Pflanzen, Pilzen, Insekten, Säugetieren, Vögeln, Amphibien und anderen Gruppen. Wie die Wissenschafter berichten, konnten in den Filtern auch viele "charismatische Arten" wie Dachse, Siebenschläfer, Steinkäuze und Teichmolche festgestellt werden, aber auch Arten von besonderem Schutzinteresse wie Igel und Singvögel sowie Bäume wie Esche, Linde, Kiefer, Weide und Eiche wurden gefunden.

Luftqualitätsmessstationen wie die Auchencorth Moss Research Facility in Schottland können viel über die lokale Tier- und Pflanzenwelt verraten.
Foto: AP/National Physical Laboratory

Mancherorts werden die Filterproben jahrzehntelang aufbewahrt, was es den Forschern ermöglichen würden, auch in die Vergangenheit der Artenvielfalt einiger Regionen zu blicken. Mit nur geringfügigen Änderungen an den derzeitigen Protokollen zur Überwachung der Luftqualität könnten diese Proben für eine detaillierte Überwachung der biologischen Vielfalt an Land verwendet werden, so das Team. Dabei könnte man sich vollständig auf ein bereits bestehendes Netz stützen.

Wichtiger Wendepunkt

"Das wichtigste Ergebnis ist der Nachweis, dass Aerosolsammler, die normalerweise in nationalen Netzwerken zur Überwachung der Luftqualität eingesetzt werden, auch eDNA sammeln können", so Allerton, Koautor der Studie. Das Potenzial dieser Entdeckung könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, schreiben die Wissenschafter. Sie sprechen gar von einem wichtigen Wendepunkt für die Überwachung der Artenvielfalt.

Als Nächstes wollen sich die Fachleute um Clare dafür einsetzen, so viele Proben wie möglich im Hinblick auf eDNA zu konservieren. Die Proben werden zwar bereits gesammelt, aber es bedürfe einer globalen Anstrengung, um die darin enthaltenen Informationen über die biologische Vielfalt voll auszuschöpfen, erklären die Forscher. (tberg, red, 5.6.2023)