Birgit Baumann aus Berlin

Olaf Scholz ist eigentlich ein Kanzler, der sich fast immer im Griff hat. Emotionale Ausbrüche kommen äußerst selten vor. Vor kurzem aber gab es einen bemerkenswerten Moment: In Falkensee bei Berlin wurde er bei einer Rede vom Publikum als "Kriegstreiber" beschimpft.

Tino Chrupalla und Alice Weidel
Die Stimmung bei den AfD-Chefs Tino Chrupalla und Alice Weidel ist gut. Ihre Partei liegt derzeit in Umfragen bei rund 18 bis 19 Prozent.
EPA/Hannibal Hanschke

Scholz wollte es nicht überhören und keilte zurück. Wenn die "Schreihälse" gegen jemanden brüllen müssten, dann wohl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, so der Sozialdemokrat und fügte hinzu: "Wenn ihr irgendeinen Verstand in euren Hirnen hättet."

Das Nervenkostüm ist mittlerweile nicht nur beim Kanzler dünn. Viele in der Ampelkoalition sind schlechtgelaunt, allen voran der einst so beliebte Minister für Wirtschaft- und Klimaschutz, Robert Habeck (Grüne).

Es läuft nicht mehr rund

Seit einiger Zeit schon läuft es ganz und gar nicht mehr rund. Ständig gibt es Streit, meist zoffen sich Grüne und Liberale. Der neueste Dauerbrenner ist Habecks Heizungsgesetz. Die Ansichten, wann jetzt welche Heizungen nicht mehr eingebaut werden dürfen, sind sehr unterschiedlich.

Dabei war die Ampel in Deutschland 2021, bei ihrem Start, mit ähnlichen Hoffnungen verbunden, wie sie nun in Österreich in der SPÖ gehegt werden. Wobei diese zunächst ja noch den neuesten Schock verdauen muss.

In Deutschland jedenfalls sollte nach den 16 Jahren mit Angela Merkel als Kanzlerin frischer Wind wehen. Das Spitzenpersonal von Grünen und Liberalen postete ein fast schon ikonisches Selfie, man nannte sich "Fortschrittskoalition" und ging mit Elan ans Werk.

Doch nur zwei Monate nach dem Start kam der Krieg und diktierte der Berliner Ampel eine komplett neue Agenda – und so manchen überraschenden Schwenk. Gas wurde knapp, Energie teuer, die Grünen können ihre Klimaschutzpläne nicht mehr so durchsetzen wie geplant. Und viele Sozialdemokraten müssen sich auch mit einer neuen Realität abfinden, nämlich der Lieferung von immer mehr Waffen an die Ukraine.

Nicht besser geht es den Liberalen. Nicht wenige wähnen sich in einem viel zu linken Ampelbündnis und träumen von alten Zeiten, als man in einer schwarz-gelben Regierung mit CDU/CSU noch halbwegs an einem Strang in eine Richtung zog.

Zufriedenheit auf Rekordtief

Dieses Unbehagen wirkt sich nun deutlich in Umfragen aus. Laut ARD-Deutschlandtrend liegt die Zufriedenheit mit der Ampel auf einem Rekordtief. Nur noch 20 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind mit der Regierungsarbeit zufrieden. So schlecht war der Wert seit dem Start im Dezember 2021 noch nie.

Doch nicht nur diese Werte alarmieren die Ampel. Mit Schrecken sieht sie, dass die AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, in zwei Umfragen (Insa, Infratest dimap) mit 19 beziehungsweise 18 Prozent vor den Grünen liegt und mit der SPD gleichgezogen hat. Bei der Wahl 2021 hatte sie 10,3 Prozent erreicht.

Noch deutlicher ist die Stimmung im ostdeutschen Sachsen, Brandenburg und Thüringen, wo 2024 gewählt wird. In Sachsen und Thüringen ist die AfD Nummer eins, in Brandenburg ist sie gleichauf mit der CDU vorn.

"Mit der AfD hat sich ein Akteur im deutschen Parteiensystem etabliert, bei dem sich jedwede Form von Unzufriedenheit sammeln kann und der sich genau dafür auch immer wieder offensiv anbietet. Ob bei Migration, Corona, Ukraine oder eben auch ,Klima‘ – Protest gegen 'die da oben' sammelt sich genau dort, und davon gibt es aktuell eben wieder eine ganze Menge", sagt Thorsten Faas, Politikwissenschafter an der Freien Universität (FU) Berlin.

Suche nach den Ursachen

In Deutschland diskutiert man nun, wer den Umfrageaufstieg der AfD zu verantworten hat. Für Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) ist klar: "Eine schwache und beständig streitende Regierung löst Gegenreaktionen aus. Mit der AfD können die Bürgerinnen und Bürger heftige Denkzettel verpassen."

Er machte außerdem noch einmal mit Blick auf die AfD deutlich: "Solange ich Parteivorsitzender der CDU bin, wird es keinerlei Zusammenarbeit mit dieser Partei geben."

Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Britta Haßelmann, weist den Vorwurf, die Ampel sei schuld, zurück: "Ich sehe Verantwortung bei allen demokratischen Parteien von Union über SPD, FDP bis Grüne." (Birgit Baumann, 5.6.2023)