In der Bernardgasse – bei Neubauer Grätzelkennern bekannt für ihre schmucken Biedermeierhäuser – soll demnächst etwas gelingen, das in Wien bisher nur eingeschränkt funktioniert. Stadt und Bezirk planen, die Gasse umzubauen und in eine Wohnstraße umzufunktionieren. Und zwar in eine, die diesem Namen tatsächlich gerecht wird.

Wohnstraßen sind in der Hauptstadt eine immer beliebtere Form der Verkehrsorganisation. Oder besser gesagt: der Verkehrsberuhigung. Denn Autos dürfen in Wohnstraßen nur sehr eingeschränkt unterwegs sein, erlaubt ist lediglich das Zu- und Abfahren – und das auch nur in Schrittgeschwindigkeit. Geradelt werden darf nebeneinander. Fielen in den 1990er-Jahren elf Kilometer des Straßennetzes der Hauptstadt in diese Kategorie, tun das laut der für Verkehrsangelegenheiten zuständigen Magistratsabteilung 46 inzwischen 44 der insgesamt 2800 Wiener Straßenkilometer.

Das Besondere an Wohnstraßen: Die Straßenverkehrsordnung erlaubt dort explizit, die Fahrbahn zu betreten oder auf dieser zu spielen. So viel zur Idee. Praktisch umgesetzt wird sie jedoch kaum. Und hier hat die Bernardgasse ihren großen Auftritt.

Bäume bremsen Autos aus

Der Straßenzug bekommt auf seinen gesamten 500 Metern Länge vom Gürtel bis zur Zieglergasse ein neues Erscheinungsbild. Wo technisch möglich, wird die Straße auf ein Niveau gebracht, der Asphalt durch Pflastersteine ersetzt. 36 Bäume, Sträucher und Beete sollen die Gasse kühlen – und Autos ausbremsen. Die Pflanzen werden nämlich so angeordnet, dass ein geschwungener Fahrstreifen entsteht, auf dem quasi automatisch langsam gefahren wird. 

Zusätzlich sind Bänke, Wasserspiele und Spielelemente vorgesehen. Für Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) ist das ein "echtes Musterbeispiel" dafür, wie entsiegelt werden und ein angenehmes Mikroklima geschaffen werden kann.

Bäume sollen Autos im Teil von der Wimbergergasse bis zur Zieglergasse, bald eine Wohnstraße, ausbremsenen.
EGKK Landschafrsarchitektur Schreiner Kastler

Was die Regeln für den Verkehr angeht, erfolgt eine Zweiteilung. Der rund 50 Meter kurze Abschnitt zwischen Gürtel und Wimbergergasse wird künftig gänzlich Fußgängern und Radfahrerinnen vorbehalten sein, das Autofahren wird dort untersagt. Die restliche Bernardgasse wird hingegen zur Wohnstraße.

Warum soll das Konzept nun ausgerechnet hier funktionieren? Weil außer Anrainerinnen und Anrainern künftig möglichst niemand mehr einen Grund haben soll, mit dem Auto in die Bernardgasse zu fahren. Sämtliche 140 Parkplätze werden aufgelassen, stattdessen gibt es nur noch sechs Haltezonen. Sie können zum Ein- und Aussteigenlassen oder Ent- und Beladen genutzt werden.

So sieht die künftige Wohnstraße jetzt aus. Rund 140 Parkplätze werden gestrichen.
Regine Hendrich

Seitens der Neubauer Bezirksvorstehung wird betont, dass diese Lösung einem starken Wunsch nach Verkehrsberuhigung entspreche, den ein Bürgerbeteiligungsverfahren zutage gefördert habe. Für Bewohnerinnen und Bewohner der Gasse seien individuelle Mobilitätsberatungen geplant, gearbeitet werde auch an einem Angebot vergünstigter Garagenplätze in der Nähe. Im Umkehrschluss bedeuten die geplanten Änderungen jedenfalls: Die Chance, in der Bernardgasse einem Auto zu begegnen, dürfte erheblich geringer werden. Das soll dazu ermutigen, auf der Straße zu spielen und zu flanieren.

Temporäre Bewusstseinsbildung

Wie sich das anfühlt, das weiß die Gruppe Space & Place mittlerweile sehr genau. Die Initiative, die sich mit urbanen Räumen auseinandersetzt, widmet sich seit 2018 dem Wohnstraßenleben. Dabei handelt es sich um ein Veranstaltungsformat, bei dem die Nutzungsmöglichkeiten bewusst ausgeschöpft – und mitunter auch ausgereizt – werden. Für einen Nachmittag werden Liegestühle aufgestellt, Kleider getauscht, man kann Schach spielen oder Yoga machen – und das alles mitten auf der Fahrbahn.

Bäume, Sträucher, Pflastersteine - und keine Autos: Der künftig autofreie Abschnitt zwischen Gürtel und Wimbergergasse.
EGKK Landschafrsarchitektur Schreiner Kastler

Dass diese Aktivitäten in Wohnstraßen nicht längst selbstverständlich sind, führt die Gruppe auf fehlende Kommunikation zurück. Und auf den rechtlichen Graubereich, den die Straßenverkehrsordnung aufmacht. Denn bei allen Möglichkeiten, die sie einräumt, ist dort auch festgehalten, dass der erlaubte Verkehr "nicht mutwillig" behindert werden darf. Space & Place testet aus, was innerhalb dieses Rahmens möglich ist – mit der Überzeugung, dass der öffentliche Raum für alle wichtig ist.

Rund 60 Veranstaltungen haben dazu bereits stattgefunden, die nächsten Wohnstraßenleben-Termine sind bereits fixiert: Am 7. und 8. Juli wird die Lambertgasse in Ottakring bespielt, am 29. und 30. September die Rahlgasse in Mariahilf. Der 15. September steht sogar ganz im Zeichen der Wohnstraße: Space & Place hat dieses Datum zum Tag der Wohnstraße auserkoren, der in 15 Gassen gefeiert wird.

Denkanstöße aus der pinken Rathaushälfte

Ähnlich sind die sogenannten Spielstraßen aufgesetzt, die die Stadt Wien auf Betreiben der Neos initiiert hat. Seit Mitte Mai werden in Zusammenarbeit mit dem Verein Juvivo in ganz Wien temporär Straßenabschnitte gesperrt und Schwungtücher, Jongliermaterial, Straßenkreiden und Riesenseifenblasen bereitgestellt. Damit wolle man jungen Wienerinnen und Wienern zeigen, "dass städtische Räume nicht nur Verkehrsräume sind, sondern auch Orte des Spielens und Entdeckens", sagt der pinke Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr.

Roller, Müllcontainer und Asphalt prägen derzeit den Teil beim Gürtel.
Regine Hendrich

Am Mittwoch kommt das Format nach Döbling in die Oskar-Spiel-Gasse, am Samstag nach Hernals in die Palffygasse. Und am 14. Juni wird schließlich die Nebenfahrbahn des Rings auf der Höhe der Börse für ein großes Spielstraßenfest gesperrt.

In der Bernardgasse steht der Praxistest in eineinhalb Jahren an. Umgebaut wird in zwei Phasen, zwischen Gürtel und Kaiserstraße geht es im kommenden Herbst los, im März 2024 zwischen Kaiserstraße und Zieglergasse. Fertig soll die Umgestaltung schließlich im November 2024 werden. (Stefanie Rachbauer, 6.6.2023)