Färbeworkshop im Atelier der PensionistInnenklubs für die Stadt Wien
Bei einem Färbeworkshop im Atelier der PensionistInnenklubs für die Stadt Wien im achten Bezirk entstehen farbenfrohe Stoffe. Auch Marianne (von hinten) ist gekommen und färbt.
Helena Lea Manhartsberger

"Ich bin 69 Jahre alt, und ich stehe auf Frauen", sagt Marianne, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung genannt haben möchte. Es ist ein Dienstag Ende Mai. Im Atelier der PensionistInnenklubs für die Stadt Wien lässt Marianne grüne Farbe in ein Stück Stoff einziehen. Etwas abseits des großen Tisches, auf dem eine Nähmaschine und Schüsseln mit bunten Flüssigkeiten zum Färben stehen, erzählt Marianne aus ihrem Leben. 23 Jahre Ehe mit einem Mann, vier Kinder, eine Beziehung mit einer Frau, die ein Jahrzehnt hielt. Dann eine zweite langjährige gleichgeschlechtliche Partnerschaft, die Trennung nach acht Jahren ist noch nicht lange her. Heute lebt die 69-Jährige "solo in Wien".

Sie habe sich immer zu Frauen hingezogen gefühlt, sagt die Frau in dunklem T-Shirt. "Das war immer in mir drinnen." In ihrer Jugend sei es ein Tabuthema gewesen, sie habe es für sich behalten. Und Marianne war schlecht informiert: "Ich hatte überhaupt keine Aufklärung. Von dem her bin ich völlig unbedarft gewesen, und ich habe mir schon oft gedacht: Wieso passiert mir das?", erinnert sie sich. "Ich glaube, ich war schon 30, als ich draufgekommen bin, dass das nicht so selten ist, dass es andere auch gibt. Nur habe ich damals nicht gewusst, wie ich solche Leute finden kann." Heute gebe es dagegen Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen.

Kinderwunsch und Ehe

Auch aus einem Kinderwunsch heraus heiratet Marianne vor vielen Jahren. Vier Kinder kommen zur Welt. Ihr damaliger Ehemann weiß schon wenige Monate nach der Hochzeit, dass Marianne auf Frauen steht, ernst genommen fühlt sie sich von ihm nicht, erzählt sie. "Er war kein idealer Mann, zumindest was man sich so erwartet", erinnert sich die heute 69-Jährige. Dadurch sei der Wunsch stärker geworden, sich zu verwirklichen. Bis zur Scheidung sollte die Ehe insgesamt 23 Jahre dauern.

Ausschlaggebend ist eine gemeinsame Motorradtour. Ihr Mann will durch den Ausflug wieder zusammenfinden. Doch "im Prinzip war es so, dass wir auseinandergekommen sind", erzählt Marianne. Denn sie verliebt sich in eine lesbische Frau, die ebenfalls an der Tour teilnimmt. "Ich bin nach Hause gekommen und habe die Scheidung eingereicht." Zu dem Zeitpunkt ist Marianne über 40. "Erst nach der Scheidung habe ich mich dazu aufraffen können, dass ich mich auch oute." Nach der Trennung von ihrem Mann kommt Marianne zum ersten Mal mit einer Frau – der Motorradfahrerin – zusammen, wenn auch nur kurz.

"Bazar" und Internet

Über den Bazar, ein Kleinanzeigenmedium, lernt sie schließlich jene Frau kennen, mit der sie ein Jahrzehnt im Waldviertel zusammenleben wird. Marianne nimmt sich ein Postfach, um anonym Post empfangen zu können, und schaltet Anzeigen.

Sie geht mit der Zeit, eine andere Beziehung entsteht durch einen Kontakt via Internet. Ihre Tochter richtet ihr ein Profil auf einer Plattform ein. Marianne wartet auf Nachrichten, die Initiative habe sie nicht ergriffen. Dann geht der Laptop kaputt. Nach einem halben Jahr bittet sie die Tochter, einmal nachzusehen. Und tatsächlich gibt es eine Nachricht, die sie anspricht: "Ich habe mir gedacht: Macht ja nichts, schreibe ich mal zurück. Und dann ist wirklich etwas daraus entstanden." Mehrere Jahre lebt sie mit der Frau im Burgenland.

Keine Anfeindungen

In beiden Beziehungen seien sie und ihre Partnerin zunächst für Schwestern gehalten worden, erzählt Marianne. Man sei zueinandergestanden, habe es bei Fragen auch richtiggestellt, aber in der eigenen Ortschaft nicht offen gezeigt – etwa durch Händchenhalten oder Küssen. "Ich hänge es nicht an die große Glocke, aber wenn mich wer fragt, dann stehe ich eben auf Frauen, also da habe ich kein Problem, dass ich das auch sage." Angefeindet sei sie nie geworden. Auch ihre Kinder hätten es von vornherein akzeptiert und stünden hinter ihr. Trotzdem sei der Weg nicht einfach gewesen, sie habe auch mit sich gekämpft.

Durch die beiden Beziehungen habe sie Selbstsicherheit gewonnen, erzählt die 69-Jährige. "Ich sehe alles als Lernprozess, und ich habe irrsinnig viel gelernt durch meine zwei Frauen, also ich schaue bei keiner böse zurück." Es sei eine wunderbare Weiterentwicklung gewesen, "dass ich eben dadurch die Möglichkeit gehabt habe, zu mir zu finden, mich selbst kennenzulernen".

Und nun, solo in Wien? "Ich bin realistisch, ich bin 69, noch einmal wen zu finden, der so gut zu einem passt, das ist eher unwahrscheinlich", sagt Marianne. Über jemanden zum Plaudern und Austauschen würde sie sich aber freuen.

Färbeworkshop in Wien
Marianne färbt ihr Tuch grün.
Helena Lea Manhartsberger

Regenbogentreff für die Community

In Wien hat Marianne vor kurzem erstmals den Regenbogentreff der PensionistInnenklubs für die Stadt Wien besucht. Dieser findet jeden letzten Freitag im Monat statt und richtet sich an die queere Community der "Generation 60 plus", wobei alle Personen, die sich angesprochen fühlen, willkommen sind. Die Häuser zum Leben und die PensionistInnenklubs werden auch bei der Regenbogenparade am 17. Juni vertreten sein, wo auch Stoffe vom Workshop zum Einsatz kommen sollen.

Als Marianne ihr Tuch aus der Schüssel nimmt, hat es die grüne Farbe angenommen. Sie selbst hat nicht vor, aktiv an der Parade teilzunehmen. Doch wenn schon keine große Veranstaltung in Wien – hätte sie im Nachhinein ihre Beziehungen in den jeweiligen Ortschaften gerne offener ausgelebt? "Nein, für mich ist es okay, weil ich in einer Zeit aufgewachsen bin, wo ich das gar nicht habe zeigen können, und das für mich schon befreiend war, dass ich mich endlich outen konnte." (Christina Rebhahn-Roither, 8.6.2023)