Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag in Luxemburg über eine Reform des Asylsystems und darüber, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den EU-Außengrenzen geben könnte. In jüngster Zeit war vor allem an der kroatisch-bosnischen Grenze eine Änderung der Politik zu bemerken. Migranten wurden nämlich vermehrt aufgrund eines bilateralen Abkommen von Kroatien aus nach Bosnien-Herzegowina zurückgebracht. Diese reguläre Rücksendung ist in rechtsstaatlicher Hinsicht ein Fortschritt, zumal die Migranten in diesem Fall auch nicht "zurückgeprügelt" werden – wie dies in den vergangenen Jahren sehr oft geschah.

Kroatien migranten
In Kroatien ist die Zahl der illegalen Grenzübertritte heuer wieder gestiegen.
AP/Darko Bandic

Auf Anfrage des STANDARD hat das kroatische Innenministerium nun bekanntgegeben, dass Kroatien bis dato 6.186 Rückübernahmeersuchen an Bosnien-Herzegowina gesendet hat. Bosnien-Herzegowina stimmte der Aufnahme von 3.872 Personen zu. "Allerdings wurden bisher nur 1.074 Personen tatsächlich wieder aufgenommen", erklärte das kroatische Innenministerium. Der Rest der Migranten äußerte nämlich die Absicht, internationalen Schutz zu beantragen, doch die meisten dieser Personen verließen Kroatien wieder – höchstwahrscheinlich Richtung Slowenien, um dann weiterzugehen, oft nach Italien.

Abkommen lange nicht funktionsfähig

Kroatien kann nur jene Migranten zurück nach Bosnien-Herzegowina schicken, die einen Registrierungsnachweis (das sogenannte "Weiße Papier“) bei sich tragen, welches bekundet, dass sie sich zuvor in Bosnien-Herzegowina aufgehalten haben. Die Rückübernahmen werden auf der Grundlage des 2011 geschlossenen bilateralen Abkommens vorgenommen. Das kroatische Innenministerium bezeichnet das Abkommen als "ein wichtiges Instrument im erfolgreichen Kampf gegen irreguläre Migration". Damit sei in erster Linie die Möglichkeit gemeint,"beschleunigte, informelle Verfahren durchzuführen, mit denen Migranten sehr schnell und erfolgreich zurückgeführt werden könnten, und damit ein starkes Signal zu senden, dass illegale Grenzübertritte nicht zugelassen werden dürfen", so das Innenministerium. "Dieses Abkommen war mehrere Jahre lang nicht voll funktionsfähig, da in Bosnien und Herzegowina der politische Wille fehlte, es vollständig anzuwenden", heißt es in Zagreb.

Deshalb kam es auch zu offener Kritik: "Unser Ministerium hat das Sicherheitsministerium von Bosnien und Herzegowina wiederholt und erfolglos auf die Notwendigkeit einer konsequenten Anwendung aufmerksam gemacht", so das Innenministerium. Die Umsetzung sei auch wichtig, um den Tod von Migranten in dem Fluss Save zu verhindern, meint die kroatische Regierung. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten wurde aber zuletzt doch als sehr gut bewertet. Der Datenaustausch erfolge durch regelmäßige Arbeitstreffen und durch Verbindungsbeamte. Die Zusammenarbeit mit Slowenien wird vom kroatischen Innenministerium besonders gelobt.

Fluchtroute ändert sich

Seit Kroatien vermehrt Migranten zurück nach Bosnien-Herzegowina schickt, hat sich die Fluchtroute selbst verändert. In den vergangenen Jahren versuchten die Migranten vor allem in der Nähe der bosnischen Stadt Bihać, über die Wälder nach Kroatien zu kommen. Nun versuchen sie vermehrt, die Save zu überqueren, deshalb ist jetzt auch der bosnische Landesteil Republika Srpska politisch gefordert, von wo aus die Migranten nun starten.

Laut dem kroatischen Innenministerium wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 über 15.000 illegale Grenzübertritte registriert. "Diese Zahlen zeigen, dass der Druck an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina im Jahr 2022 deutlich zugenommen und sich auch ausgeweitet hat – in das Gebiet des Flusses Save", so das Innenministerium zum STANDARD. Mehr als 80 Prozent der Migranten, die aufgegriffen werden, bekunden in Kroatien ihre Absicht, um Asyl anzusuchen – heuer waren dies über 15.000 Menschen. "Die Zahl der Antragsteller ist in den ersten vier Monaten dieses Jahres siebenmal höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres", so das Innenministerium.

Von jenen Personen, die diese Absicht äußern, werden Fingerabdrücke genommen. Wenn diese Migranten später weiter in andere EU-Staaten reisen, können sie aufgrund dieser Fingerabdrücke wieder nach Kroatien zurückgeschickt werden. Heuer reichten nur 630 der Migranten tatsächlich in Kroatien einen Asylantrag ein.

Anderer EU-Staat als Ziel

Laut dem kroatischen Innenministerium reisen die meisten Migranten nämlich "in einen anderen Mitgliedsstaat ihrer Wahl aus, was zeigt, dass es weder ihr Ziel noch ihr Bedürfnis ist, internationalen Schutz zu erhalten. Ihr Hauptziel besteht vielmehr darin, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen das gewünschte Land zu erreichen."

Die Rücksendung der Migranten aus Kroatien führt aber in den allermeisten Fällen nicht dazu, dass sie danach aus Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden. Denn die Abschiebung aus Bosnien-Herzegowina ist sehr schwierig und bedarf eigener Verfahren. Es gibt kaum bilaterale Abkommen, die das ermöglichen, nur mit Pakistan konnte so ein Abkommen abgeschlossen werden. Seit 2022 wurden insgesamt neun Personen von Bosnien-Herzegowina aus in ihre Heimatländer zurückgebracht. Darunter waren zwei Pakistaner, vier Marokkaner und drei Personen aus Bangladesch.

Trotzdem hatten NGOs zuletzt behauptet, in Bosnien-Herzegowina gebe es ein Abschiebezentrum in dem Aufnahmezentrum Lipa in der Nähe von Bihać. In Lipa wurde 2021 – bezahlt mit EU-Geld – ein Lager errichtet, das von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geführt wird. In diesem Lager fanden bisher tausende Migranten Schutz, Verpflegung und ärztliche Versorgung. Besonders im Winter war es vor dem Bau des Lagers immer wieder zu großer humanitärer Not gekommen.

Hafteinheit als Streitpunkt

In dem Lager wurde nun auch eine Hafteinheit gebaut, weil es bislang in Bosnien-Herzegowina nur im Einwanderungszentrum in Lukavica in Ostsarajevo eine solche Einrichtung gab. Lipa kann man von Sarajevo aus jedoch nur nach vielen Stunden Autofahrt erreichen. Für die Behörden ist es deshalb schwierig, Migranten, die festgehalten werden müssen, jederzeit in Lipa abzuholen. Deshalb brauchte das bosnische Sicherheitsministerium auch in Lipa eine Hafteinheit. Bisher war in dieser Hafteinheit in Lipa aber noch kein einziger Migrant eingesperrt.

In Österreich erhob die NGO SOS Balkanroute den Vorwurf, Österreich finanziere die Hafteinheit mit. Diese wurde vom Zentrum für Migrationspolitik (ICMPD), dessen Direktor Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) ist, gebaut. Hinter der Debatte um Lipa steckt möglicherweise aber auch das Konkurrenzverhältnis zwischen der IOM und dem ICMPD. Denn die IOM, die das gesamte Lager Lipa aufbaute und leitet, war nicht damit einverstanden, dass das ICMPD von der EU den Zuschlag für die Hafteinheit bekam. Man wollte sich sozusagen nicht die Konkurrenzorganisation ins Haus holen. (Adelheid Wölfl, 6.6.2023)