Hans Peter Doskozil hin, Andreas Babler her: Insgesamt waren die Zeiten für Europas Linke schon einmal besser: Zwar stellt die SPD in der größten europäischen Volkswirtschaft Deutschland den Kanzler, reihum wurden in den vergangenen Monaten aber sozialdemokratisch geführte Regierungen abgewählt, etwa in Schweden und Finnland, wo die jeweiligen Sozialdemokratien auf lange Regierungsjahre zurückblicken. In Norwegen regiert mit Jonas Gahr Støre zwar ein Sozialdemokrat, als Parteilinker gilt der Millionär aber nicht.

Und in Dänemark, wo mit Mette Frederiksen eine sozialdemokratisch gewandete Politikerin regiert, dies allerdings mit deutlich unorthodoxer Programmatik etwa im Zuwanderungsbereich, koalieren die Roten seit Ende vergangenen Jahres mit gleich zwei Mitte-rechts-Parteien. Ob sich Frederiksens Modell "beiderseits der Mitte" durchsetzt, wird sich weisen. Unter Europas Sozialdemokraten gelten jene in Dänemark jedenfalls als Rechtsausleger – und feiern damit Erfolge. In Portugal reüssiert hingegen mit António Costa ein "Linker".

DER STANDARD hat einige sozialdemokratische Parteien quer durch Europa unter die Lupe genommen.

Frankreichs Sozialisten am Boden

Frankreichs Sozialisten hingegen, einst mit Präsidenten wie François Mitterand oder François Hollande staatstragend, sind nach heftigen Flügelkämpfen und Wahlniederlagen vorerst in der Bedeutungslosigkeit versunken. Emmanuel Macron, einst sozialistischer Wirtschaftsminister, regiert mithilfe einer neu gezimmerten, liberalen Partei gegen immer intensivere Sozialproteste an, von links macht der Partei Jean-Luc Mélenchon Druck, der Linkspopulist hat die Sozialisten zuletzt längst überflügelt.

Italien startet links neu durch

Schlein Italien PD
PD-Chefin Elly Schlein will Italien von links heilen.
REUTERS/Guglielmo Mangiapane

In Italien soll Elly Schlein den Partito Democratico aus seiner tiefen Konfusion befreien, in der die einst stolze Partei spätestens seit den Tagen Matteo Renzis steckt, der dem System als linker "rottamatore" – zu Deutsch Verschrotter – den Kampf angesagt hatte, am Ende aber kläglich scheiterte. Schlein wird, in diesem Aspekt Babler ähnlich, dem linken Flügel der italienischen Sozialdemokraten zugerechnet.

Labour im Aufwind

Die britische Labour-Partei hingegen ist, wenn man sich eher der moderat-konservativen Denkschule verpflichtet fühlt, da schon einen Schritt weiter: Nach dem linken Ideologen Jeremy Corbyn, der sich zwar mit klassenkämpferischen Parolen hervortat, andererseits aber Sympathien für die Terrorgruppe Hamas hegte, übernahm der Zentrist Keir Starmer das linke Ruder – und führte Labour angesichts des Brexit-Debakels in überraschende Höhen in Umfragen

Corbyn starmer labour
Jeremy Corbyn (li.) und sein Nachfolger Keir Starmer auf einem Archivbild 2019.
REUTERS

Totgesagte leben länger

In Griechenland, wo der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis erst im Mai wiedergewählt wurde, rüstet sich die totgeglaubte Pasok, einst jeweils mindestens Zweite im Gestirn der Volksparteien und 2015 beinahe aus dem Parlament geflogen, zum Comeback: Ihr junger Spitzenkandidat Nikos Androulakis führte die Partei zu einem satten Zugewinn, nun scheint auch die Ablöse der von 2015 bis 2019 mitten in der Finanz- und Eurokrise regierenden Syriza von Ex-Premier Alexis Tsipras als zweitstärkste Kraft im griechischen Parlament denkbar – bei den nun anstehenden Neuwahlen (von denen sich Mitsotakis eine klare Mehrheit verspricht) könnte das Comeback einen Schritt näher rücken.

scholz und esken spd berlin
Olaf Scholz (li.) und Saskia Esken in Deutschland.
IMAGO/Christian Spicker

Regierungsverantwortung in Berlin

Mit gerade einmal 75,9 Prozent wurde Saskia Esken im Dezember 2019 zur Co-Vorsitzenden der deutschen SPD gewählt – und das ohne Gegenkandidaten. Esken, die sich selbst als Teil des linken Parteifügels definiert, blieb dann auch ganz oben, als ihr Kompagnon Norbert Walter-Borjans zwei Jahre später dem weit zentristischeren bisherigen Generalsekretär Lars Klingbeil Platz machte.

Mit Olaf Scholz hat die Partei nach langem Hin und Her schließlich auch den Kandidaten gefunden, der die SPD nach 16 Jahren wieder in das Berliner Kanzleramt führte. Seither führt die SPD eine Ampelkoalition an – eine Konstellation, die sich auch die beiden Aspiranten in der SPÖ gut vorstellen können. 

Neuwahlen in Spanien

Nach einer heftigen regionalen Wahlschlappe musste Spaniens Premierminister Pedro Sánchez jüngst Neuwahlen ausrufen. Der Chef des traditionsreichen – und während der Franco-Diktatur verfolgten – Partido Socialista Obrero Español (PSOE) galt eine Zeitlang gemeinsam mit Finnlands abgewählter Ministerpräsidentin Sanna Marin als linker Superstar unter Europas Regierungschefs, er hängt einer gemäßigten Sozialdemokratie an.

Sánchez' Regierung hat während der Pandemie und der Ukraine-Krise den Sozialstaat ausgebaut wie nie zuvor, Mindestlohn und Renten wurden angehoben, der Kündigungsschutz erweitert, ein Mieterschutz sowie Krisenhilfen für Selbstständige und Kurzarbeitsprogramme eingeführt. Abgestraft wurde Sánchez bei den Kommunalwahlen Ende Mai trotzdem. Noch heftiger traf es aber seine kleinere Koalitionspartnerin, die linke Unidas Podemos. Die gespaltene Linke in Spanien muss nun hoffen, in einem Lagerwahlkampf gegen die erstarkte Rechte zu reüssieren. Ein Szenario, das es bald auch hierzulande geben könnte. 

Aus dem Exil geboren

Bleibt noch Portugal, wo der regierende Partido Socialista (PS) von Premier António Costa im April seinen 50. Gründungstag feierte. 1973 hatten Exilanten die Partei in Deutschland ersonnen, heute verfügt sie seit der Wahl 2022 über eine absolute Mehrheit, was sie in die komfortable Position bringt, nach Jahren der mühsamen, als "Klapperkiste" verspotteten Allianz mit anderen linken Parteien alleine schalten und walten zu können. Seine Konkurrenten von der konservativen (!) Sozialdemokratischen Partei vermochte Costa auf Abstand zu halten.

costa premierminister portugal
António Costa regiert nun mit absoluter Mehrheit in Lissabon.
APA/AFP/JULIO PACHECO NTELA

Als er 2015 ins Amt gewählt wurde, war dies auch dem Vermögen Costas geschuldet, frustrierte Nichtwählerinnen und Nichtwähler wieder für sich zu begeistern. Costa nahm daraufhin wichtige Teile der Sparpolitik seiner konservativen und auch sozialistischen Vorgänger zurück. Der Mindestlohn wurde von 500 auf 600 Euro angehoben, die Renten an die Preissteigerung angepasst. Im öffentlichen Dienst wurde die Arbeitszeit auf 35 Stunden gesenkt. Sieben Jahre später haben es ihm die Portugiesinnen und Portugiesen gedankt. (Florian Niederndorfer, 7.6.2023)