Apples neues Headset Vision Pro.
Apples Mixed-Reality-Brille Vision Pro schaut zwar schick aus, kann bisher aber nicht mit revolutionären Anwendungszwecken begeistern.
APA/AFP/JOSH EDELSON

Apple ist seit vielen Jahren kein so großes Risiko mehr eingegangen wie am vergangenen Montag. Neben einer Reihe neuer Macs und Software-Updates hat der iPhone-Hersteller mit der Vision Pro sein erstes Mixed-Reality-Headset präsentiert. Damit wagt sich der Konzern ausgerechnet in eine Produktkategorie, die sich bisher noch nicht über größere Erfolge freuen konnte. Fast könnte man meinen, dass es außerhalb der Meta-Zentrale im kalifornischen Menlo Park niemanden gibt, der wirklich vom Konzept des Metaverse angetan ist.

Das zugrunde liegende Konzept ist dennoch revolutionär. Davon geht zumindest Apple aus. Im Laufe der gut einstündigen Vorstellung der Vision Pro hat das Unternehmen deshalb permanent versucht, fast jede Komponente des Headsets als innovativ darzustellen – ohne dabei Features oder Apps zu zeigen, die die Hardware sichtlich von der Konkurrenz abheben.

VIDEO: Apple stellt mit "Vision Pro" sein erstes Mixed-Reality-Headset vor
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Zu viele offene Fragen

In Wirklichkeit lässt einen die Keynote mit mehr offenen Fragen als klaren Antworten zurück. An wen richtet sich das Headset? Warum sollte ich mir ein Word-Dokument oder eine Webseite lieber über eine 3.499 Dollar teure Brille ansehen als auf meinem Laptop? Wie gut funktionieren das Augentracking und die Gestensteuerung wirklich? Wer ist die Person, die sich mit einem klobigen Headset ins Flugzeug setzt, um einen Film anzusehen – oder den Geburtstag seiner Kinder feiert, während er die Vision Pro trägt?

All das ist ein substanzielles Problem für Apple. Die Hardware selbst kann noch so hochwertig sein, ohne die richtigen "Killer-Apps" werden sich nicht genügend Abnehmer für das Headset finden, um den wirtschaftlichen Erfolg zu garantieren.

Introducing Apple Vision Pro
The era of spatial computing is here, where digital content blends seamlessly with your physical space. So you can do the things you love in ways never before possible. This is Apple Vision Pro. 00:00 Introduction 01:35 Photos and videos 02:41 Entertainment 0
Apple

Bisher sieht es allerdings so aus, als würde das User Interface kaum über jenes eines herkömmlichen Computers hinausgehen. Setzt man das Headset auf, soll man mit einer App-Übersicht begrüßt werden. Für die Arbeit kann man mehrere Fenster mit Word-Files, einem Internetbrowser oder anderen Programmen vor sich platzieren und diese per Gestensteuerung kontrollieren. Es ist ein nettes Gimmick und erinnert an Science-Fiction-Filme, dass die Elemente frei im Raum schweben und nach Belieben vergrößert oder verkleinert werden können. Es erschließt sich allerdings nicht wirklich, warum man gerade diese Inhalte in einem Augmented-Reality-Setting konsumieren sollte. Vor allem deshalb, weil Apple das ganze Konzept primär im Arbeitskontext bewirbt.

Keine sinnvolle Alternative

Die gezeigte Gestensteuerung – man muss angeblich nur die Fingerspitzen zusammenführen, um eine Aktion zu starten – kann noch so präzise sein. Im Alltag wird die Bedienung kaum so effizient sein wie mit Maus und Tastatur. Gerade von Apple hätte man sich eigentlich erwartet, dass man neue Anwendungsfälle zu Gesicht bekommt; dass der Konzern eine Idee hat, wie man die theoretisch neuartigen Steuerungsmöglichkeiten ausnutzen kann, die eine Virtual-Reality-Brille mit sich bringt. Stattdessen verbarg sich hinter der mühevoll kuratierten Präsentation nicht mehr als ein Mangel an Inspiration.

Auch im Entertainmentbereich sieht es nicht viel besser aus. Auf den ersten Blick mutet der Gedanke zwar beeindruckend an, einen Film auf einer scheinbar riesigen Leinwand anschauen zu können. Wirklich neu ist dieses Konzept allerdings nicht, schon die Konkurrenz ist daran gescheitert.

Gruseliger Einsatz

Ganz im Gegenteil muten die im Werbevideo vorgeschlagenen Anwendungsfälle für die Freizeit fast schon gruselig an. Zu sehen ist zum Beispiel ein Vater, der mit einer Vision Pro auf der Nase mit seinen Kindern spielt und Fotos von ihnen macht. Das Szenario wirkt so realitätsfern, dass man sich fragt, wer in Apples Marketingteam diese Idee hatte. In einem weiteren Clip sieht man eine Frau im Flugzeug. Auch sie trägt die Mixed-Reality-Brille, in diesem Fall, um die Umgebung auszublenden und einen Film zu schauen. Bei Betrachtung fragt man jedoch nur eine Sache: warum? Ist es wirklich einfacher, eine klobige Brille statt eines Laptops samt Noise-Cancelling-Kopfhörern mit sich herumzutragen? Abgesehen davon, dass man ziemlich albern damit aussieht, ist es dank der Akkulaufzeit von zwei Stunden nicht einmal garantiert, dass man einen Film zu Ende schauen kann.

Apple-CEO Tim Cook mit der Mixed-Reality-Brille Vision Pro.
Apple-Chef Tim Cook präsentierte die neue Hardware am Montag höchstpersönlich.
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Nicht umsonst konnte man am Montagabend nach der Keynote immer wieder lesen, dass sich Apple mit der Vision Pro auf die Suche nach einem nicht vorhandenen Problem gemacht hat, um im Anschluss eine teure Lösung zu verkaufen. In seiner aktuellen Form ist das Headset viel mehr eine Tech-Demo, die primär das Interesse von Entwicklerinnen und Entwicklern und den treuesten Apple-Fans wecken dürfte. Damit die leistungsstarke Hardware auch für normalsterbliche Konsumentinnen und Konsumenten interessant wird, braucht es mehr. Auch deshalb, weil es sich bei Virtual Reality nicht um die Weiterentwicklung einer bekannten Produktkategorien handelt, wie es noch beim iPhone und dem Mac der Fall war.

Etwas Zeit verbleibt

Dass die Vision Pro erst Anfang 2024 erscheinen wird, ist deshalb kein Zufall. Ebenso wenig wie die Präsentation im Rahmen der Entwicklerkonferenz WWDC. Sollten die hauseigenen Entwicklerinnen und Entwickler in den nächsten Monaten keine zündende Idee haben, warum sich Apple-Fans das Headset eigentlich kaufen sollen, ist der Konzern auf externen Input angewiesen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich auf diesem Wege etwas auftut. Für Apple-Chef Tim Cook steht immerhin nicht weniger als sein Vermächtnis auf dem Spiel. (Mickey Manakas, 6.6.2024)