Sebastian Borger aus London

Eine knappe Stunde hat seine Königliche Hoheit an diesem Dienstag bereits im Zeugenstand verbracht, als die Rede auf seinen Klageschriftsatz gegen den Mirror-Konzern kommt. Darin spricht Prinz Harry von der Londoner Boulevardpresse, die Menschen in die Verzweiflung, ja sogar in den Suizid treibe. "Wollen Sie diesem Wahnsinn ein Ende setzen?", fragt kühl Kronanwalt Andrew Green. In die atemlose Stille in Saal 15 des britischen High Court antwortet der 38-Jährige mit leiser Stimme: "Das ist meine Hoffnung."

Mit mehreren deutlich weniger Prominenten hat der jüngere Sohn von König Charles das Verlagshaus MGN („The Mirror“, "The People“) verklagt, wie zuvor bereits die Betreiber anderer prominenter Revolverblätter wie „Daily Mail" oder "The Sun". Offiziell geht es um 33 von insgesamt 140 Artikeln der MGN-Zeitungen aus den Jahren 1996 bis 2010. Die darin enthaltenen Informationen seien durch höchst dubiose oder illegale Methoden beschafft worden.

VIDEO: Prinz Harry sagt in Prozess gegen Zeitungsverlag aus
AFP

Dem in Kalifornien lebenden Prinzen geht es aber um deutlich mehr als eine jener sechsstelligen Zahlungen, mit denen sich die Verlagshäuser das Schweigen Dutzender von Prominenten, darunter auch Harrys Bruder William, erkauft haben. Nichts weniger als "die Rettung des Journalismus als Beruf" gibt Harry in seiner Klageschrift als Ziel an: "Unser Land wird weltweit anhand seiner Regierung und seiner Presse beurteilt. Beide befinden sich auf niedrigstem Niveau."

Rechtsgeschichte geschrieben

Der Auftritt des mit seiner Familie zerstrittenen Herzogs schreibt auf jeden Fall englische Rechtsgeschichte: Noch nie war ein Royal einem Kreuzverhör ausgesetzt. Wer Harrys detaillierte Selbstanalysen im Fernsehen gesehen oder seinen Memoirenband "Reserve" gelesen hat, kannte viele der nun ausgebreiteten Details schon vorab. Seiner Darstellung zufolge war der Prinz von klein auf, aber besonders nach dem Unfalltod seiner Mutter Diana 1997, dauernden Nachstellungen der Medien ausgesetzt. Besonders für Boulevardzeitungen hat der heute 38-Jährige nichts als Verachtung – das Trauma seiner Kindheit und der anhaltende Zorn über die Behandlung seiner Ehefrau Meghan sprechen aus jeder Zeile seines 55-seitigen Klagedokuments.

Prinz Harry auf einer Gerichtszeichnung.
Prinz Harry auf einer Gerichtszeichnung.
AP / ELizabeth Cook

Zum Vorschein kam im Gerichtssaal aber auch ein fast rührender Glaube an die Quellentreue der bekanntermaßen robusten Londoner Blätter. Einer der beanstandeten Artikel teilte der "Mirror"-Leserschaft 1996 mit, der damals elfjährige Prinz leide "dem Vernehmen nach" an der Scheidung seiner Eltern Diana und des heutigen Königs Charles. Harry führte diese unschuldige Formulierung ebenso auf illegale Aktivitäten zurück wie den Satz in einem anderen Artikel, Ärzte hätten dem 16-Jährigen nach dem Bruch seines Daumens "für einige Wochen von Fußball abgeraten". Ist nicht aber viel wahrscheinlicher, dass die Autoren aus allgemein bekannten Fakten nachvollziehbare Schlussfolgerungen zogen – sich also nachlässiger Spekulation hingaben, nicht aber Straftaten begingen?

Genau diese Interpretation legte MGN-Vertreter Green dem Einzelrichter Timothy Fancourt, auf dessen Meinungsbildung es ausschließlich ankommt, immer wieder nahe. Greens Strategie zielt erkennbar darauf ab, den Prinzen nicht etwa als "Deppen und Betrüger" hinzustellen, wie Harry den Zeitungen unterstellt, sondern als naiven und obsessiven Medienkonsumenten. Der Kummer sowie die Paranoia des "beschädigten jungen Mannes" (Harrys Selbstbeschreibung) entstünden nur dann, "wenn man Artikel liest". Damit spielte Green auf den König an, der angeblich Zeitungen kaum zur Hand nimmt. Hingegen hat Harry bei früherer Gelegenheit berichtet, er lese sogar die Leserkommentare unter Online-Artikeln.

"Das ist nicht korrekt"

Erfahrenen Gerichtsreportern zufolge machte der Prinz während seiner mehrstündigen Aussage einen entspannten, höflichen Eindruck. "Das ist nicht korrekt, Herr Green", erwiderte er stereotyp auf Provokationen durch den Anwalt der Gegenseite. Und immer wieder begegnet er Greens Zweifeln an seiner Interpretation der besprochenen Artikel mit dem Satz: "Das müssten Sie die Journalisten fragen." Damit weist Harry auf eine Schwäche der MGN-Gruppe hin: Kein einziger Chefredakteur, nicht einmal ein Ressortleiter steht auf der Zeugenliste. Geladen sind lediglich drei untergeordnete Redaktionsmitglieder.

Zu Beginn des Verfahrens im vergangenen Monat entschuldigte sich MGN in einem einzigen Fall für die Beschäftigung eines Privatdetektivs, der Informationen über den jungen Prinzen beschaffen sollte. Dies "hätte nicht passieren sollen". Bei anderen Artikeln verneint das Verlagshaus illegale Aktivitäten oder räumt diese jedenfalls nicht ein. Zudem wird argumentiert, Harry und seine deutlich weniger prominenten Co-Kläger seien viel zu spät dran.

Das Kreuzverhör wird am Mittwoch fortgesetzt. (Sebastian Borger aus London, 6.6.2023)