Die Tour beginnt am Südturm des Stephansdoms. Statt jedoch über Geschichte und Bau von Wiens Wahrzeichen zu sprechen, zeigt Stadtführerin Cristina-Estera Klein eine Schwarz-Weiß-Aufnahme aus den 1960er-Jahren: unzählige VW-Käfer, die sich direkt vor dem Dom drängen. "Städte wirken statisch", sagt sie, "dabei sind sie ständig im Wandel." Was angesichts steigender Bevölkerungszahlen und Temperaturen auch dringend nötig sei: Bis 2050, so die Prognose, soll es in der Stadt durchschnittlich sieben Grad wärmer sein.

Klein ist Mitglied der Austria Guides For Future. Seit 2020 organisiert der Verein Touren zu den Themen Umwelt- und Klimaschutz und zeigt, wie "das Wien der Zukunft" aussehen kann. Manchmal hilft dabei auch der Blick zurück. Klein führt die Gruppe durch den kleinen Durchgang, der sich am östlichen Ende des Domplatzes versteckt, hinein in das historische Blutgassenviertel mit seinen engen Gassen und weiten Innenhöfen. Einer davon gehört zum Deutschordenshaus. "Die Geschichte des Ordens interessiert uns jetzt aber nicht", sagt Klein. "Was uns interessiert, ist die Architektur der Anlage. Die Höfe als kühlende, grüne Orte."

"Grüne Route"

An den Wänden ranken Jungfernreben, am Boden stehen Töpfe mit Grünpflanzen und Blumen. Würde nicht der Turm des Doms hinter dem krummen Dach hervorragen, man könnte fast vergessen, dass man sich mitten in der Stadt befindet. Der Hof des Deutschordens ist Teil der "grünen Route", die sich durch das Stadtzentrum schlängelt. Erstellt wurde sie von der "Agendagruppe Sommerfrische". Deren Ziel: nachhaltige Stadtentwicklung von unten. "In der Rotenturmstraße haben sie sogar einen Privateigentümer überzeugt, Teile seiner Fassade zu begrünen."

Innenhof des Deutschordenshauses in Wien
Innenhof des Deutschordenshauses in der Wiener Singerstraße.
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Auch kleinste Maßnahmen tragen zu Stadtkühlung und damit Lebensqualität bei, sagt Klein und zeigt nach unten. "Hallo Unkraut!" Obwohl staubig und platt getreten, sprießt es unbeirrbar zwischen den Pflastersteinen. Hier Breitwegerich, ein Stück weiter Einjähriges Rispengras, die "erfolgreichste Pflanze der Welt", die sogar in der Antarktis wächst. "Diese Pflanzen, die sich an unseren Lebensstil angepasst haben und trotz aller Widrigkeiten wachsen, müssen wir mehr nutzen."

Ein Stadtplaner aus Santiago de Compostela hat kürzlich entdeckt, dass das in den Ritzen wachsende Grün die Bodentemperatur um bis zu 30 Grad senken kann. In Wien, erklärt die Stadtführerin, gebe es bereits Plätze, wo die Steine bewusst weiter auseinandergesetzt werden.

Bäume in der City

Auch begrünte Fassaden fungieren als nachhaltige Klimaanlage. In der Innenstadt steht dem oft der Denkmalschutz entgegen. Am Umspannwerk in der Cobdengasse aber rankt seit einigen Jahren eine Glyzinie empor. Sie kühlt die Luft – und isoliert das Gebäude. "Fassadengrün spart Heizkosten im Winter", erklärt Klein. Der nächste Stopp liegt nur wenige Meter entfernt. Vor knapp zehn Jahren wurde der Platz vor dem Gymnasium Stubenbastei zur verkehrsberuhigten Zone umgestaltet. Hölzerne Sitzinseln, Bäume, Freiflächen. Aus einem "Nicht-Ort wurde ein Ort".

Verschwundenes Glacis

Bei Klimaschutz und Lebensqualität gehe es immer wieder um eine Frage: Wem geben wir Raum? Das war früher nicht anders. Vor den Resten der Stadtmauer zeigt Klein eine alte Karte der Stadt: Das von einer zackigen Befestigungsanlage umgebene Zentrum, außen herum ein breiter Grünstreifen. Die Stadtmauer wurde abgerissen, die Ringstraße mit ihren Prachtbauten entstand. So laute die traditionelle Erzählung, sagt Klein.

Was oft vergessen werde: Im Zuge des Ringstraßenbaus verschwand auch das Wiener Glacis, eine rund zwei Quadratkilometer große, teils 500 Meter breite Freifläche, die das Stadtzentrum wie ein grüner Gürtel umgab. Trotz Protesten einiger Ärzte, die schon damals vor negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden warnten.

Heißes Zentrum

Nicht alles wurde bebaut. Auf der Fläche des Glacis entstand der Stadtpark, eine von Wiens ersten öffentlichen Parkanlagen, in der sich heute Leute zum Yoga und Picknicken treffen. Wien rühme sich oft mit seinem vielen Grün, das 50 Prozent der Stadtfläche ausmache. Das meiste jedoch finde sich am Stadtrand: Wienerwald, Donauinsel, Weinberge.

Klein zeigt eine Hitzekarte der Stadt: Kritische Bereiche sind rot eingefärbt. Im Zentrum gibt es ziemlich viele davon. Daher seien vor allem dort Bäume so wichtig. "Tolle Lebewesen", schwärmt Klein und bleibt vor einem Ginkgo stehen. Sehr resistent, jedoch "langsamwüchsig", weshalb er nur noch selten gepflanzt werde.

Wienfluss im Korsett

Im Idealfall treffen Grün und Gewässer zusammen. Schon lange wird über die Renaturierung des Wienflusses diskutiert, der derzeit noch in seinem massiven Betonkorsett fließt. An der Urania, wo die Wien in den Donaukanal mündet, endet die Tour. Leute sitzen zusammen, am gegenüberliegenden Ufer wird Salsa getanzt. Auch hier könnte man noch einiges machen, findet Klein. Etwa Bademöglichkeiten einrichten. "Das Schwimmern am urbanen Wasser hat eine lange Tradition." Und, davon ist sie überzeugt, auch eine Zukunft. (Verena Carola Mayer, 17.6.2023)