Um einen kleinen Hauch des Alls zu spüren, reicht manchmal schon der Besuch in einem Wiener Kaffeehaus. Zumindest dann, wenn man dort Carmen Possnig und Josef Aschbacher zum Gespräch trifft. Die beiden haben sich dem Weltraum verschrieben, auf unterschiedliche Weise: Possnig ist Österreichs erste Reserveastronautin bei der Weltraumorganisation Esa, forscht zu Weltraummedizin und hat ein Isolationsexperiment in der Antarktis hinter sich. Aschbacher ist Esa-Generaldirektor und in dieser Funktion für das europäische Weltraumprogramm verantwortlich, zu dessen Budget auch das österreichische Klimaministerium beiträgt. Dem STANDARD haben die beiden erzählt, warum die Rückkehr zum Mond neue Möglichkeiten eröffnet und was Raumfahrt der Menschheit bringt.

Josef Aschbacher Carmen Possnig
Der Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher und die Reserveaustronautin Carmen Possnig teilen ihre Passion für den Weltraum. Vergangene Woche trafen sie den STANDARD in Wien.
Regine Hendrich

STANDARD: Herr Aschbacher, Sie haben sich als junger Mann selbst als Astronaut beworben. Daraus ist zwar nichts geworden, aber Sie sind inzwischen Chef der Europäischen Weltraumorganisation (Esa). Vergangenes Jahr konnten Sie dann mitentscheiden, wer die künftigen europäischen Astronautinnen und Astronauten sein werden. Wie war das für Sie?

Aschbacher: Das war sehr aufregend. Der Auswahlprozess hat über eineinhalb Jahre gedauert, von 22.500 Kandidaten mussten wir 17 auswählen. Die letzte Stufe, bei der es darum geht, aus etwas mehr als 30 Bewerbern auszuwählen, nehme ich persönlich mit einem kleinen Komitee vor. Eine Frage, die ich den Kandidaten immer wieder gestellt habe, war: Wie kann man sich das Leben auf der Raumstation sechs Monate in Isolation vorstellen? Welche Extremsituationen kann man erwarten und wie würde man darauf reagieren? Da muss ich sagen, dass Carmen (Possnig, Anm.) eine ganz hervorragende Kandidatin gewesen ist, die einfach in die finale Auswahl musste.

STANDARD: Frau Possnig, Sie wurden von der Esa als Reserveastronautin ausgewählt. Wie geht es nun weiter für Sie?

Possnig: Es wurden fünf Karriereastronauten ausgewählt, die im April ihre Grundausbildung begonnen haben. Einer von ihnen wird nach der Grundausbildung bereits für die erste Mission ausgewählt. Die Reserveastronauten sind sozusagen in der Warteschlange. Wir bekommen regelmäßige Briefings von der Esa, sind bei Events mit dabei, und wir haben Meetings, auch um als Team zusammenzuwachsen. Sobald eine Mission ansteht, stehen wir zur Verfügung und beginnen unser Training.

STANDARD: Sie arbeiten auch an einer einschlägigen Dissertation zum Thema Weltraummedizin. Worum geht es dabei?

Possnig: Wir sehen uns an, wie sich der Körper verändert, wenn wir in der Schwerelosigkeit sind, und wie sich Astronauten über Monate hinweg an die Schwerelosigkeit gewöhnen können. Im Speziellen sehe ich mir an, was mit dem Herz-Kreislauf-System passiert, also wie sich der Blutfluss im Gehirn und in den Augen verändert. Wir wissen seit kurzem, dass Astronauten im All weitsichtig werden. Wir wollen verstehen, wieso das so ist, um Gegenmaßnahmen zu finden, damit Astronauten gesund zum Mars und wieder zurück fliegen können.

STANDARD: Sie beide sind anlässlich einer Konferenz zur Zukunft der Raumfahrt in Wien, wo es auch um den Mond ging. Was macht denn den Erdtrabanten mehr als 50 Jahre nach der letzten astronautischen Landung wieder interessant?

Aschbacher: Wenn wir jetzt zum Mond zurückgehen, ist das eine ganz andere Art von Mission als die Mondlandung von Neil Armstrong und den anderen Apollo-Astronauten. Es geht nun darum, Infrastruktur auf dem Mond aufzubauen, sich dort häuslich zu machen und dort auch kurzfristig zu leben und Experimente durchzuführen. Wir wollen den Mond natürlich auch erkunden, niemand weiß, was man dort alles finden wird. Wir wollen verstehen, wie der Mond aufgebaut ist, woraus er besteht und welche Bodenschätze dort vorhanden sind, die wir verwenden könnten, um dort Infrastruktur aufzubauen, Energie und eventuell Treibstoff zu gewinnen.

STANDARD: Frau Possnig, Sie fliegen möglicherweise selbst einmal ins All. Würden Sie zum Mond wollen?

Possnig: Ich würde selbstverständlich zum Mond fliegen, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Der Mond ist aus verschiedenen Gründen interessant. Er hat sich seit seiner Entstehung relativ wenig verändert. Das heißt, wir können wunderbar die Vergangenheit unseres Sonnensystems durch den Mond erforschen. Und natürlich ist es auch faszinierend, dass wir den Mond als Test für das Leben auf dem Mars verwenden können. Wir können Technologien mit weniger Risiko austesten, weil man viel einfacher wieder wegkann, als wenn wir das auf dem Mars versuchen würden. Wir können experimentieren, wie sich Sauerstoff herstellen lässt oder wie wir die Astronauten mit Wasser und Nahrung versorgen können. All das hilft uns einerseits für Marsmissionen, kann uns aber auch das Leben auf der Erde erleichtern.

Lunar Gateway
Der Mond steht nach Jahrzehnten wieder im Zentrum der Weltraumforschung. Mit Lunar Gateway soll auch eine Station um den Erdtrabanten aufgebaut werden.
NASA

STANDARD: Bei Investitionen in die Raumfahrt fragen manche Menschen, ob das nicht eine teure Spielerei sei, ob wir nicht dringendere Probleme auf der Erde zu lösen hätten. Was entgegnen Sie?

Aschbacher: Raumfahrt ist bestimmt keine Spielerei. Der Nutzen, den man aus der Raumfahrt gewinnen kann, ist enorm. Um ein paar Beispiele zu nennen: Wir haben in Europa eines der besten Erdüberwachungssysteme der Welt aufgebaut. Ohne Satelliten wäre die Klimaforschung heute nicht da, wo sie ist. Die meisten Daten für die Klimaforschung kommen von Satelliten, denn sie können globale Parameter messen. Ein anderes Beispiel ist die heute sehr präzise tägliche Wettervorhersage. Etwas mehr als 80 Prozent der Daten dafür kommen von Satelliten. Auch bei Navigation und Telekommunikation sind Satelliten im täglichen Leben so integriert und so notwendig, dass wir ohne sie unser Leben ganz anders gestalten müssten. Die Weltraumforschung hilft also jedem einzelnen Menschen auf der Erde.

Possnig: Weltraumforschung und die Probleme auf der Erde sind keine Entweder-oder-Angelegenheit: Es ist nicht so, dass wir zuerst sämtliche Probleme auf der Erde lösen müssen, damit wir dann in den Weltraum fliegen können. Wir können beides tun. Natürlich ist es wichtig, Probleme auf der Erde zu lösen, und die Raumfahrt unterstützt uns dabei extrem. Aber ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir uns auf die positiven Dinge konzentrieren. Die nächste Generation wächst mit so vielen Problemen und so vielen Krisen auf, die die Zukunft schwarz erscheinen lassen. Dagegen ist die Raumfahrt ein motivierendes Ziel, wofür die junge Generation auch Leidenschaft aufbauen kann, das sie auch inspiriert.

STANDARD: Bei der Inspiration spielt insbesondere die astronautische Raumfahrt eine wichtige Rolle. Herr Aschbacher, Sie plädieren schon seit längerem dafür, dass Europa selbst die Fähigkeit entwickeln sollte, Raumfahrerinnen und Raumfahrer ins All zu bringen. Was wäre dafür notwendig?

Aschbacher: Ja, es wäre schön, wenn Europäerinnen und Europäer auch im Kommandositz sitzen würden, in einer europäischen Kapsel oder mit einer europäischen Rakete in den Weltraum befördert und wieder sicher zurückgebracht werden können. Europa hat dafür starke und gute Technologien, ohne das European Service Module der Esa könnte die Nasa (US-Raumfahrtagentur, Anm.) ihre Astronauten nicht zum Mond bringen. Darauf sind wir sehr stolz. Was wir nun tun müssen, ist, die Architektur aufzustellen und zu definieren, was wir aufbauen wollen. Da sind wir gerade dabei, Szenarien zu entwickeln. Und dann müssen wir unsere Vorschläge zu den Entscheidungsträgern der 22 Esa-Mitgliedsländer bringen.

STANDARD: Frau Possnig, neben finanziellen und technischen Hürden gibt es auch große medizinische Herausforderungen, wenn es darum geht, Menschen auf längere Raumflüge zu schicken. Halten Sie es für realistisch, dass es in den kommenden Jahrzehnten gelingen wird, diese Probleme zu lösen?

Possnig: Für einen Flug zum Mars ist das größte Risiko die Strahlung. Sobald wir das schützende Magnetfeld unseres Planeten verlassen, gibt es nicht nur die Strahlung der Sonne, sondern auch die kosmische Hintergrundstrahlung, die uns gefährlich werden könnte. Was das für Effekte hat, wird im Moment stark erforscht. Ein zweites Problem, das wir im Moment sehen, sind diese Augenveränderungen, die ich schon erwähnt habe. Auch daran wird sehr viel geforscht, es ist beeindruckend, was da im Moment passiert. Ich glaube tatsächlich, dass wir es schaffen können, Lösungen für diese Probleme zu finden. (David Rennert, Tanja Traxler, 7.6.2023)