Selbst bei einer sehr wohlwollenden Einschätzung der künftigen CO2-Emissionen könnte die Arktis ein ganzes Jahrzehnt früher im Sommer eisfrei sein als bisher angenommen. Eine Studie, die sich auf Satellitendaten aus über 40 Jahren stützt, kommt nun zu dem Schluss, dass vielleicht schon in den 2030er-Jahren das nordpolare Meereis gegen Sommerende verschwunden sein wird.

Diese aktualisierten Ergebnisse verdeutlichen die erheblichen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Arktis, schreibt das südkoreanische Team um Min Seung Ki von der Pohang-Universität im Fachjournal "Nature Communications". Und es empfiehlt, sich auf eine saisonal meereisfreie Arktis in naher Zukunft auch vorzubereiten.

Die Mitternachtssonne scheint über dem Meereis auf der Nordwestpassage im kanadisch-arktischen Archipel. Vielleicht früher als angenommen werden diese Regionen zum Sommerende eisfrei sein.
Foto: AP/David Goldman

Meereisfreie September

"Die Ergebnisse lassen erkennen, dass sich unabhängig von Emissionsszenarien der erste meereisfreie September schon in den 2030er- bis 2050er-Jahren einstellt", erklärten die Wissenschafter. Für ihre Prognose wertete die Gruppe Messdaten für jeden Kalendermonat zwischen 1979 und 2019 aus und verglichen sie zunächst mit simulierten Veränderungen.

In den Modellen erreichte die Ausdehnung des arktischen Meereises Mitte September ihr sommerliches Minimum. "Das arktische Meereisgebiet ging in den vergangenen Jahrzehnten rapide zurück, mit einer stärkeren Abnahme seit 2000", so das Team, darunter der Klimaforscher Dirk Notz von der Universität Hamburg. Aus der Untersuchung geht auch hervor, dass der menschliche Einfluss auf den Rückgang des Meereises in der Arktis das ganze Jahr über zu beobachten ist und größtenteils auf den Anstieg der Treibhausgasemissionen zurückgeführt werden kann. Die Beiträge von Aerosolen und natürlichen Faktoren sind dagegen deutlich geringer.

Später als der IPCC vermutet

Die Ergebnisse der Studie gehen über den jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) hinaus. Dem zufolge wäre die Arktis im September erst gegen Mitte des Jahrhunderts im Durchschnitt praktisch eisfrei – allerdings unter Szenarien mit mittleren und hohen Treibhausgasemissionen. Die nun veröffentlichten Daten gehen somit von einer deutlich dramatischeren Entwicklung aus.

Die Forscher um Min folgern aus ihrer auf Beobachtungen basierten Prognose, "dass wir in den nächsten ein oder zwei Jahrzehnten ein noch nie dagewesenes eisfreies arktisches Klima erleben könnten, unabhängig vom Emissionsszenario". Das würde sich auf menschliche Gesellschaften und auf Ökosysteme inner- und außerhalb der Arktis auswirken. Wichtig sei nun, sich in naher Zukunft auf eine saisonal eisfreie Arktis einzustellen und entsprechend zu planen. (tberg, red, 6.6.2023)