Wir leben in Zeiten, in denen die russische Armee mutmaßlich einen gewaltigen Staudamm in der Ukraine sprengt und damit erneut ihre kriegsverbrecherische Ruchlosigkeit unter Beweis stellt. Das spielt sich rund 1300 Kilometer östlich von Wien ab, in unmittelbarer Umgebung des größten Atomkraftwerks Europas, Saporischschja. Vor diesem Hintergrund – und anderen bedrohlichen Entwicklungen wie etwa der versuchten Umwandlung des EU-Mitglieds Polen in eine Autokratie nach dem Vorbild Ungarns – mag es läppisch erscheinen, was sich da rund um die vernudelte Obmannwahl in der SPÖ abspielt.

Unter Andreas Babler wird die SPÖ ziemlich links stehen.
APA/Helmut Fohringer

Aber das ist die falsche Betrachtungsweise. Eine funktionierende SPÖ wird nämlich gebraucht, auch in Zeiten wie diesen. Es handelt sich immer noch um eine staatstragende Partei, die seit gut 100 Jahren ein wesentliches, tragendes Element unserer Demokratie darstellt.

Zu den Gründervätern dieser Zweiten Republik gehörten Sozialdemokraten, gemeinsam mit Christlich-Sozialen, die sich entschlossen hatten, lieber doch zusammenzuarbeiten. Die Modernisierung Österreichs, sozialpolitisch wie gesellschaftspolitisch, ist zu einem Großteil das Verdienst der SPÖ. Es hat auf dem Höhepunkt der Macht in den 80er-Jahren Skandale gegeben, quasi institutionalisierte Korruption, und in der Umwelt- und Klimapolitik ist man immer noch ein bisserl hintennach. Die Arbeiter (weniger die Arbeiterinnen) sind zu den Rechtspopulisten abgewandert, unter anderem, weil die SPÖ bis heute nicht zu einer gleichzeitig humanen wie realistischen Migrationspolitik gefunden hat.

Splittergruppen

Anderswo in Europa sind die einst mächtigen sozialdemokratischen Parteien zu Splittergruppen geworden. In Frankreich und Italien ist es besonders dramatisch. Aber auch im einstigen sozialdemokratischen Vorzeigeland Schweden regiert heute ein konservatives Bündnis (mit Duldung von Rechtsextremen). In Frankreich ist die stärkste Kraft auf der Linken eine radikale Abspaltung.

Wenn sich die herkömmliche Klientel sozialdemokratischer Parteien einerseits zu den Rechtspopulisten, andererseits nach links außen wendet, leidet auf Sicht die Qualität sowohl der Demokratie wie des Regierens an sich. Prononcierte Links- und Rechtsparteien sind gut im Krawallschlagen, weniger oder gar nicht gut beim vernünftigen Arbeiten.

Die SPÖ unter dem neuen Vorsitzenden Andreas Babler wird ziemlich links sein, viel wird davon abhängen, ob er sein Team weltanschaulich und kompetenzmäßig breiter aufstellen kann. Die Gefahr einer Verengung und/oder Marginalisierung der SPÖ unter ihm ist aber nicht zu leugnen. Vor allem steht noch die Probe aus, ob Babler genug abgewanderte Wähler zurückholen kann. Die SPÖ-Linke Julia Herr hat gesagt, dass die SPÖ mehr Wähler ans Nichtwählen als an die FPÖ verloren habe. Da stellt sich die Frage nach dem Wie. Grundsätzlich wird eine funktionierende, starke SPÖ auch gebraucht, um einen schwarz-blauen oder, Gott behüte, blau-schwarzen Rechtsblock zu verhindern. Aber nicht nur: Eine neue, erstarkte SPÖ muss der gefährlichen Situation in Europa gewachsen sein. Das bedeutet auch, gegenüber EU, Nato, USA einerseits und dem russischen Imperialismus andererseits eine realistische Haltung einzunehmen. (Hans Rauscher, 6.6.2023)