Nun wirklich neuer SPÖ-Chef: Nachdem die Panne bei der Auszählung am Parteitag aufgeflogen ist, kann Babler nun zeigen, ob sich seine Erfolge in der Stadtpolitik zwei Ebenen höher wiederholen lassen.
Heribert Corn

Die Bewegung, auf die sich Andreas Babler beruft, kam rasch in die Gänge. Kaum hatte die Kunde vom späten Sieg die Runde gemacht, wurde auch schon zur Party geladen. Im Roten Bogen, einem Quartier der SPÖ Ottakring unter der Wiener U6-Trasse, fanden sich hauptsächlich junge Fans ein, um Dosenbier zu trinken, Arbeiterlieder zu singen und ihren Helden in Sprechchören hochleben zu lassen.

VIDEO: Babler meldet sich nach Bestätigung seiner Wahl bei Pressekonferenz zu Wort.
APA

Von Anfang an habe sie das Ergebnis am Parteitag zweifeln lassen, erzählen viele am Montagabend hier: Zu laut für eine Niederlage sei der Applaus nach Bablers Rede aufgebrandet. In seinen furiosen 45 Minuten vor den Delegierten habe der Außenseiter offenbar die Stimmung zu seinen Gunsten gedreht.

Damit ist über das Phänomen Babler schon viel gesagt. Kein anderer Genosse bringt rote Herzen derart zum Hüpfen wie der 50-Jährige, wenn er Stolz und Würde der Sozialdemokratie beschwört. Doch für eine große Zukunft muss er mehr bieten können, also bloß die Parteimitglieder bei der Stange zu halten. Was verspricht die Wahl Bablers der SPÖ?

Geht es nach der Vorgeschichte, dann kündigt sich – zumindest atmosphärisch – ein Linksruck an. Schon in jungen Jahren hat der Arbeitersohn beim Niedergang des Traiskirchener Semperit-Reifenwerks die dunkle Seite des Kapitalismus entdeckt, theoretisches Unterfutter eignete er sich bei der Sozialistischen Jugend an. Als Vertreter der marxistisch-leninistisch grundierten Stamokap-Theorie zählte Babler selbst dort zu den Linksauslegern – klassische Feindbilder inbegriffen: Gegen den Nato-Einsatz im Kosovo agitierte er ebenso wie gegen den Beitritt zur angeblich von Konzernen gegängelten EU.

Marx und das Militärbündnis EU

Das ist viele Jahre her. Doch im Gegensatz zu den vielen von Pragmatismus beseelten Genossen erweckt Babler nicht den Eindruck, mit zunehmender Prominenz alle alten Überzeugungen abgelegt zu haben. Bis heute nützt Babler den Marxismus als Brille, um auf die Welt zu schauen. Nur das auf Puls 24 getätigte Bekenntnis – "Ich bin Marxist" – kam ihm nach einigen Schreckstunden dann doch zu deutlich vor. Im nächsten Interview, diesmal in der ZiB 2 des ORF, widerrief er den Satz. Dem roten Bürgermeister von Ebenfurth, Alfredo Rosenmaier, genügte das offenkundig nicht: Er erklärte am Dienstag via Kurier, er trete aufgrund der marxistischen Haltung des neuen Vositzenden aus der Partei aus.

Als "semantische Spitzfindigkeit" tat Babler hingegen die Kritik an seinem berüchtigten Auftritt von vor drei Jahren ab. In einem Video-Podcast hatte er einen ressentimentgeladenen Sermon gegen die EU abgelassen, der im Satz vom "aggressivsten militärischen Bündnis" aller Zeiten gipfelte. Der Ärger über Europas Flüchtlingspolitik habe ihn, der als Traiskirchener Bürgermeister in der Asylfrage stets für eine menschenfreundliche Haltung warb, derart in Rage gebracht, so die nachträgliche Erklärung – was auch immer die beiden Themen miteinander zu tun haben.

Bei den roten Funktionären hat ihm diese selbst von Unterstützern kritisierte Aussage nicht oder zumindest nicht entscheidend geschadet. Aber wie sieht das bei jenen aus, die er nach einem etwaigen Wahlerfolg für den Sprung an die Macht braucht? Die FPÖ fällt als Regierungspartnerin von vornherein aus. Auch der ÖVP signalisierte Babler Ablehnung, wobei die Wortwahl aber einen Rückzieher zumindest noch denkbar erscheinen lässt. Es wäre nicht die erste Koalitionsabsage, die nach einem Wahltag Makulatur wird. Doch selbst wenn: Die konservative ÖVP wird sich schwertun, einen SPÖ-Chef mit einem prononciert linken, EU-feindlichen Image zum Partner, geschweige denn Kanzler zu machen.

Andreas Babler in seinem Element: An der roten Basis erweckt er - so wie hier im Wahlkampf - große Hoffnungen. Doch sind diese realpolitisch einlösbar?
Heribert Corn

Aus den vertretenen Inhalten hingegen lässt sich der Linksruck gar nicht so deutlich herauslesen. Soweit sich Babler konkret deklariert, verheißt er vieles, was ohnehin schon offizielle Parteilinie ist: eine Vermögenssteuer, Preiseingriffe, eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden pro Woche, eine bessere öffentliche Gesundheitsversorgung. Nur tut das wortgewandte Tribünentalent dies dank einer vom Politjargon halbwegs verschonten Sprache glaubwürdiger als andere – und vor allem kämpferischer: Sozialdemokraten seien keine "Bittsteller", lässt er seine Anhänger bei jeder Gelegenheit wissen.

Apodiktische Ansagen

Das macht eine etwaige Regierungsbildung umso schwieriger. Mühevolle Kompromisse, wie sie schon zu Zeiten rot-schwarzer Koalitionen unbeliebt waren, werden geweckte Erwartungen kaum befriedigen. Läuft die kühn als Koalitionsbedingung angekündigte Vermögensbesteuerung auf sanftes Drehen kleinerer Steuerschräubchen hinaus, droht sich die Fangemeinde enttäuscht abzuwenden.

Selbst für eine Ampelkoalition, Bablers Wunschprojekt, sind derart apodiktische Ansagen eine große Hürde. Schließlich stehen die Neos, neben den Grünen die dritten im hypothetischen Bund, steuerpolitisch auf der wirtschaftsliberalen Seite.

Außerdem stellt sich dabei die Frage nach der Mehrheit. Seit der Nationalratswahl 1983 hatten ÖVP und FPÖ (inklusive BZÖ) stets Stimmenüberhang. Um dieses Muster mit einer Ampel-Mehrheit zu durchbrechen, muss ein SPÖ-Chef aller Logik nach auch Mitte-rechts-Wähler ködern – so wie es in den 1970er-Jahren Bruno Kreisky gelangt. Bei einem links punzierten Politiker wie Babler setzt das einen weitreichenden Imagewandel voraus.

Zeit für die Metamorphose dürfte der nunmehrige Oppositionsführer bekommen. Denn die Regierungsparteien werden die chaotischen Zustände in der SPÖ, die sich in einem Popularitätstief niederzuschlagen drohen, voraussichtlich nicht für ein strategisches Manöver in eigener Sache nützen.

Die ÖVP hat sich, so ist zu vernehmen, bereits festgelegt: keine Neuwahlen. Am Montagabend diskutierten die türkisen Regierungsmitglieder mit anderen Entscheidungsträgern der Partei die Vorgänge in der SPÖ. Zwar gebe es gute strategische Gründe, jetzt Wahlen anzusetzen, so die Einschätzung, mehr aber spreche dagegen: Die Stimmung könnte sich gegen jene drehen, die Neuwahlen provozieren. Außerdem ist fraglich, ob die ÖVP überhaupt profitieren könnte, liegt sie in Umfragen derzeit doch mit 21 bis 24 Prozent in etwa gleichauf mit der SPÖ, jedenfalls aber deutlich hinter der FPÖ. Gewählt werde, erklärte Parteichef Karl Nehammer in der Runde, somit am 22. September 2024.

Nehammer freut sich über Babler

Für die ÖVP sei die Ausgangslage gar nicht schlecht, so die Conclusio – und Babler jedenfalls besser als Hans Peter Doskozil. Die Grundaufstellung sei nun klarer: Im anlaufenden Lagerwahlkampf werde Babler vor allem im linken Spektrum umrühren, aber keine Stimmen von rechts holen. Diese Angst habe man bei Doskozil sehr wohl gehabt.

Während FPÖ-Chef Herbert Kickl auf der anderen Seite ganz klar rechts stehe, biete sich für Nehammer die Chance, sich in der Mitte als "gemäßigter und zuverlässiger Kandidat" auszubreiten. Botschaft: Der Kanzler stehe für Stabilität und Kontinuität – gerade im Vergleich mit dem unerfahrenen und von seiner Vergangenheit belasteten Babler.

Die Grünen winken in Sachen Neuwahlen ebenfalls ab. In Umfragen steht der kleine Koalitionspartner derzeit bei zehn Prozent, also deutlich unter den 14 Prozent von 2019.

Babler wird durchaus als Bedrohung angesehen, zumal er im links-grünen Spektrum Stimmen lukrieren könnte. Allerdings sei die SPÖ durch die jüngsten Ereignisse nachhaltig angeschlagen, so die grüne Hoffnung. Das Debakel von Linz werde ähnlich nachhaltig in Erinnerung bleiben wie die blauen Skandale von Knittelfeld und Ibiza, glauben Parteistrategen: Davon werde sich die SPÖ bis zur Nationalratswahl nicht erholen. (Gerald John, 6.6.2023)