Ziel sei ein "Wiener Appell für Frieden" in der Ukraine. So steht es im Einladungstext zum "International Summit for Peace in Ukraine", der kommendes Wochenende in Wien hätte stattfinden sollen. Manche angekündigte Teilnehmende haben keine aktuellen Berührungsängste mit den Medien des Aggressors.

Der international prominente US-amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs etwa sowie Anuradha Chenoy, Ex-Dekanin der indischen Jawarharlal Nehru University und wichtige Vertreterin einer globalen zivilgesellschaftlichen Vernetzung, haben dem TV-Sender Russia Today (RT) Interviews gegeben. Der Sender ist im Zuge der EU-Sanktionen unionsweit wegen russischer Kriegspropaganda blockiert. Sachs stand darüber hinaus im Dezember 2022 dem russischen Fernsehmoderator und Kriegsbefürworter Wladimir Solowjow Rede und Antwort. Solowjow hat öfter dazu aufgerufen, auch Deutschland und Großbritannien anzugreifen.

Deshalb zog nun der ÖGB die Reißleine. "Wir haben uns entschlossen dem Wunsch der Ukraine und ihrer in Österreich tätigen Botschaft zu entsprechen und haben die Anmietung aller Räume im ÖGB-Catamaran für die Veranstaltung 'International Summit for Peace in Ukraine' am kommenden Wochenende storniert", erklärte ein ÖGB-Sprecher am Mittwochnachmittag. Mittlerweile haben die Initiatoren einen alternativen Veranstaltungsort gefunden.

Veranstalter "entsetzt"

"Wir sind entsetzt und gerade damit beschäftigt, ein alternatives Lokal für die Veranstaltung zu finden", kommentierte Leo Gabriel, einer Sprecher der Veranstaltung, die ÖGB-Entscheidung am Mittwochnachmittag. Als "ungeheuerlich" bezeichnete der Gewerkschafter Wilfried Leisch die Absage. "Wer nicht nach Frieden sucht oder nicht einmal Friedenssuche auf einer Konferenz im neutralen Österreich zulässt und einen seit langem zugesagten Saal 2 Tage vor Veranstaltungsbeginn absagt, tritt alle demokratischen Spielregeln und die eigenen Statuten mit Füßen", empörte sich der Vertreter der "Gewerkschafter:innen gegen Atomenergie und Krieg" in einem E-Mail an den ÖGB.

Auch die Mitinitiatoren Gerhard Kofler vom "Aktionsbündnis für Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit" in Wien und Reiner Braun vom International Peace Bureau in Berlin kritisierten am Montag die Absage des ÖGB. Diese nehme man "mit Enttäuschung, Frustration und Unverständnis zur Kenntnis". Die kurzfristige Absage "grenzt an ein Sprechverbot", teilten Kofler und Braun in einem Statement am Donnerstag mit: "Aber wir, als Teil der weltweiten zivilen Friedensbewegung, lassen uns nicht am Reden hindern, selbst wenn wir die Konferenz in einen öffentlichen Park verlegen müssten."

Im Freien wird das Treffen nicht stattfinden: Bereits am Donnerstagabend kündigten die Veranstalter an, das Event in den Lorely-Saal im Wiener Gemeindebezirk Penzing zu verlegen. Der Veranstaltungsort wird privat betrieben.

Am Mittwoch lehnte es auch der Presseclub Concordia ab, seine Räumlichkeiten in zentraler Lage in der Wiener Innenstadt für eine Pressekonferenz des "Gipfels" zur Verfügung zu stellen. "Es geht um die bei dieser Konferenz angekündigten Leute und wo sie sonst auftreten, nämlich nach dem 24. Februar 2022 in Kreml-Propagandamedien, wo zum Massenmord an der ukrainischen Zivilbevölkerung aufgerufen wird", begründete Concordia-Generalsekretärin Daniela Kraus die Entscheidung, keine Pressekonferenz der Veranstaltungen in ihren Räumlichkeiten haben zu wollen. Kraus bezog sich damit konkret auf den US-Ökonomen Sachs. Ob er persönlich nach Wien kommen oder per Videoschaltung teilnehmen würde, stand nach Angaben "Gipfel"-Sprecher Gabriel am Mittwoch noch nicht definitiv fest. Allerdings wurde für Montag eine weitere Veranstaltung mit Sachs in Wien-Favoriten angekündigt, ein vom Politikwissenschafter Heinz Gärtner moderierter Vortrag mit dem Titel "Path to Peace in Ukraine".

Chomsky sieht Schuld bei Nato

Sachs, Chenoy und andere Geladene hätten von der russischen Desinformationspolitik instrumentalisieren lassen, sagt Dietmar Pichler, Direktor des Zentrums für Social-Media-Kompetenz in Wien, im Vorfeld. Und zwar auch inhaltlich: Der prominente linke Sprachwissenschafter Noam Chomsky, der per Video am Summit sprechen wird, etwa meine, die Nato habe Russland zu lang "an den Rand gedrängt".

Physisch in Wien anwesend sein sollte laut Programm auch Clare Daly, Irin und Mitglied des EU-Parlaments und der Fraktion Die Linke. Daly sprach ebenfalls wiederholt mit RT über die "Mitschuld des Westens" am Krieg in der Ukraine. Sie hält die Sanktionen für falsch: Sie würden Russland nicht schaden und der Ukraine nicht helfen. Im EU-Parlament Anfang 2023 gegen eine Resolution gestimmt, die Russland rechtlich für den Krieg zur Verantwortung zieht. Daly erklärte, sie unterstütze zwar jene Teile des Textes, in denen Russland verurteilt für die Invasion und in denen die Regierung in Moskau dazu aufgerufen wird, sofort alle militärischen Aktionen einzustellen und sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Allerdings stemme sie sich dagegen, der Ukraine Waffen zu liefern und die Präsenz der Nato in der Region zu erweitern. Die Ukraine ist nicht Nato-Mitglied, das Verteidigungsbündnis hat allerdings seit dem russischen Angriff auf die Ukraine seine militärische Präsenz in Osteuropa verstärkt.

Kritik von ukrainischen NGOs

Laut dem Einladungstext sieht sich der Friedensgipfel als "Katalysator für mehr und stärkere Friedensaktionen auf der ganzen Welt". Diese zu schaffen sei nicht nur "Aufgabe von Staaten und Diplomaten, sondern heutzutage immer mehr auch der globalen Zivilgesellschaft". Unter anderem sollen ukrainische und russische Friedensaktivistinnen und -aktivisten ins Gespräch kommen. Das kritisierten am Dienstag Vertreter und Vertreterinnen ukrainischer und österreichischer linker NGOs: Der Summit sei "einfach prorussische Propaganda, die hier unter dem Deckmantel der Friedensförderung verbreitet wird", sagte die ehemalige Skiläuferin Nicola Werdenigg bei einer Pressekonferenz.

Diskutiert werden sollte am Summit auch "der weitere Kontext des russisch-ukrainischen Konflikts". Im Konferenzprogramm wird Russland zwar als "Aggressor" in der Ukraine genannt. Allerdings fehlen Forderungen, die die Ukraine und etliche westliche Länder stellen, allen voran der Rückzug Russlands aus der völkerrechtswidrig attackierten Ukraine.

Russischer Raketenangriff in Woltschansk in der Region Charkiw im Osten der Ukraine: Der russische Angriffskrieg wird im Einladungstext des Summit verurteilt. Dass sich Russland zurückziehen soll, wird nicht gefordert.
Imago/Vyacheslav Madiyevskyy

Stattdessen werden beide Seiten aufgefordert, die Kämpfe einzustellen. Dem westlichen Verteidigungsbündnis Nato wird eine "Mitverantwortung" an dem russischen Angriffskrieg gegeben. Die Verbrechen hingegen, die die russischen Soldaten in der Ukraine verüben, die Luftangriffe auf Zivilisten, Vergewaltigungen und die Entführung zehntausender Kinder, bleiben gänzlich unerwähnt.

ÖGB-Sprecher: "Das ist sehr unangenehm" 

Wien sei als Veranstaltungsort gewählt worden, weil Österreich ein neutraler Staat sowie Sitz von Uno und OSZE ist, heißt es in dem Einladungstext. Konkret findet der Summit in den Räumen des Catamaran, des Veranstaltungszentrums des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) im zweiten Bezirk, statt. Marcus Strohmeier vom internationalen Referat des ÖGB war davon nicht begeistert. Die Russland-Connections von Organisation und Auftretenden seien "sehr unangenehm", sagt er noch vor der Ausladung dem STANDARD. Doch: "Der ÖGB ist seit Jahrzehnten Teil der Friedensbewegung. Als das International Peace Bureau bei uns angefragt hat, ob wir ihnen die Veranstaltungsräume gratis zur Verfügung stellen, war klar, dass wir zusagen."

Aus der Friedensbewegung stammen auch die Summit-Teilnehmenden aus Österreich. Mitorganisiert hat etwa die Women's International League for Peace and Freedom (Wilpf) Österreich. Deren Gründungsmitglied Rosa Logar ist am Samstag eine der Begrüßungsrednerinnen.

Auch Ex-Bundespräsident Heinz Fischer hatte zur Begrüßung eine Videobotschaft zugesagt. Auf STANDARD-Anfrage erklärte er am Donnerstag, diese zurückzuziehen. Er habe sich lediglich bereit erklärt, weil das Event in den Räumlichkeiten des ÖGB hätte stattfinden sollen. Fischer habe in seiner Grußbotschaft den Angriff durch Russland klar verurteilen wollen, finde aber, "Friedensbemühungen muss es immer geben, wenn ein Krieg ausbricht". Vor der Absage der ÖGB hatte er erklärt, "bewusst jede Friedensinitiative" zu unterstützen. Hier stehe er in der Tradition Ex-Bundeskanzlers Bruno Kreiskys und des ehemaligen deutschen Kanzlers Willy Brandt.

Protest und Rückzüge

Anders sieht das der ukrainische Botschafter in Österreich, Wasyl Chymynez. Nicht nur, dass die Veranstaltung "große Zweifel aufkommen lässt, ob die beteiligten Akteure wirklich an einem für die Ukraine gerechten und dauerhaften Frieden arbeiten", wie er in einem Statement festhielt. Auch Fischer verstehe hoffentlich, "dass der Weg zum Frieden nur mit einen vollständigen russischen Truppenabzug und nicht nur mit der Befriedigung des Aggressors möglich sein wird".

Ihren Rückzug vom Summit kündigte am Montag die NGO Attac an. "Wir setzen uns auch weiter für Räume ein, in denen Friedenslösungen diskutiert werden", sagt Sprecher David Walch. Attac hatte in einem Statement "die Leugnung des Existenzrechts der Ukraine als einen Akt imperialer Politik" und jeden Angriff auf ein Land "unter welchem Vorwand auch immer" verurteilt sowie das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt. Diese Position würden sich in dieser Klarheit nicht in dem Entwurf der Abschlusserklärung finden, erklärte Walch am Dienstag im Gespräch mit dem STANDARD.

Es war nicht der erste Absage. Die Grünen-Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic hatte "ein Video-Statement zugesagt, lange bevor die Liste der Gäste und inhaltliche Ausrichtung feststand, und es dann zurückgenommen/abgesagt", teilte sie Anfang Juni auf Twitter mit. Auch das Herbert-Kelman-Institut hatte Ende Mai um die Streichung aus der Liste der lokalen Partner gebeten. Grund dafür: die Summit-Sponsor-Gruppe Code Pink, die den Euromaidan 2013 und 2014 in der Ukraine als "Putsch" bezeichnete und 2014 an einer den Holocaust leugnenden Konferenz in Teheran teilnahm. (Irene Brickner, Anna Giulia Fink, Muzayen Al-Youssef, 7.6.2023)