Wie verkauft man 25.000 Schafe? Diese Frage kann sich stellen, wenn man eine große Farm in Patagonien im südlichen Chile kauft, um sie in ein Naturreservat zu verwandeln. Die Antwort lautet: ganz langsam. Der Tierbestand wird zuerst mehr, bevor er weniger wird. Ein paar Monate nach dem Kauf der damals drittgrößten Farm Chiles waren es bereits 50.000 Schafe, erzählt Carolina Morgado, die Leiterin der Naturschutzorganisation Rewilding Chile, die mit ihrem Team vor etwa 20 Jahren vor dieser Aufgabe stand. Würde man versuchen, die Tiere schnell loszuwerden, würde man nicht nur lokalen Märkten schaden, sondern auch die Bevölkerung, die Viehzucht als Teil ihrer Tradition sieht, gegen sich aufbringen.

Über viele Jahre hinweg wurden also die Farmtiere reduziert. Hunderte Kilometer an Zäunen bauten die Naturschützer ab. Den kahlen Boden, der von 100 Jahren notorischer Überweidung geprägt war, bevölkerte man mit heimischen Pflanzenspezies. Eingeschleppte Tierarten wurden der aufkeimenden Wildnis entnommen. Die Kamelart der Guanakos, die rar gewordenen Andenhirsche der Huemuls, Pumas, die als Gefahr für die Tierzucht vielerorts nahezu ausgerottet wurden, und selbst der Condor kamen wieder zurück oder wurden im Park erneut angesiedelt. Heute ist die Steppe des Chacabuco Valley, wo nahezu ein Jahrhundert lang die Schafe weideten, Teil des Patagonia-Nationalparks. 2018 wurde das Gebiet von Rewilding Chile dem chilenischen Staat als Schenkung übergeben.

Das Jaguarweibchen Malú wuchs im Zoo auf und lebt im Auswilderungszentrum des Nationalparks Iberá. Malús Junge werden, einmal ausgewildert, Teil einer ersten Generation von freien Jaguaren in Iberá sein.
Rolex/Sofia Lopez Mañan

Rewilding Chile geht wie die Schwesterorganisation Rewilding Argentina im Nachbarland auf die Initiative von Kristine und Douglas Tompkins zurück. Als der mittlerweile verstorbene Douglas Tompkins, der als Gründer der Sportartikelmarke The North Face und der Kleidermarke Esprit bekannt ist, Anfang der 1990er-Jahre die erste Farm in Chile gekauft hat, geschah das bereits mit dem Ziel, ein Schutzgebiet zu schaffen. Gemeinsam mit seiner Frau Kristine Tompkins, der früheren Leiterin der Outdoor-Marke Patagonia, die er 1993 heiratete, machte er die Idee zum Prinzip. Das Paar setzte große Teile seines Vermögens dafür ein, tausende Quadratkilometer Land in Chile und Argentinien zu kaufen, um es systematisch zu renaturieren und an die öffentliche Hand zu überführen.

Naturjuwele

Aus den involvierten Stiftungen und NGOs ging schließlich die heutige Tompkins Foundation und die beiden mit ihr kooperierenden Rewilding-Organisationen hervor. Kristine Tompkins ist es wichtig, die lokalen Naturschutzcommunitys, die sich durch die Initiativen gebildet haben, hervorzuheben: "Das sind einheimische Menschen, die sich um die Naturjuwele ihrer Länder kümmern", sagt sie. "In einer Generation wird man den Namen Tompkins nicht mehr hören."

Die Gegenden, in denen die Umweltschützer dabei helfen, Landstriche wieder in einen Naturzustand zu überführen, reichen von der Südspitze Patagoniens bis in den Norden Argentiniens, nahe der Grenze zu Brasilien und Paraguay. Steppen, Regenwälder und Meeresgebiete sind darunter, genauso wie Küsten- und Flussgebiete, Fjorde oder Gebirge und Gletscher. Insgesamt wurden 15 Nationalparks und zwei Meeresschutzgebiete durch die Aktivitäten geschaffen oder erweitert. In den Parks gibt es laufende Monitoringmaßnahmen, Forschungsprojekte und eine starke Unterstützung von touristischen Aktivitäten.

Einer der Ankäufe von Tompkins in den 1990ern bildete den Ausgangspunkt für die Entstehung des Iberá-Nationalparks, eines Gebiets im nördlichen Argentinien. Das von einer Vielzahl von Lagunen und Flüssen geprägte Feuchtgebiet beherbergt etwa tropisches Grasland und schwimmende Vegetation. "Es ist ein Ökosystem, das in Südamerika beinahe verschwunden ist", sagt Sebastián Di Martino, Conservation Director bei Rewilding Argentina. "Der Grund dafür liegt zumeist in der Rinderzucht. 100 Jahre lang wurde der Boden hier über die Maßen ausgebeutet." Mit der Wildnis verschwanden die Tiere. Jaguar, Nabelschwein, Ozelot und viele andere Spezies starben hier aus.

Bei rar gewordenen Tieren wie dem Kaiman erholten sich die Bestände von selbst wieder, berichtet Di Martino. Andere wurden aktiv wieder angesiedelt. Der Naturschützer hebt den Jaguar hervor, der zum Feindbild der Rinderzüchter wurde. Nachdem Tiere in Gefangenschaft nicht ausgewildert werden können, weil sie daran gewohnt sind, dass Menschen ihnen die Nahrung verabreichen, werden diese Exemplare in großen Gehegen gehalten. Ihr Nachwuchs wird zwar überwacht, bekommt die Menschen aber nie zu sehen, erklärt Di Martino. Sie werden schließlich ausgewildert und zu einer neueren Generation wilder Jaguare in Iberá.

Polit-Frust

Aktivitäten wie diese sind nur möglich, wenn die Politik und die lokale Bevölkerung mit an Bord ist. Die großen Landkäufe und die Einstellung der Landwirtschaftsbetriebe stießen auch auf einigen Widerstand. Der Umgang mit der Politik kann "frustrierend" sein, lässt Carolina Morgado von Rewilding Chile durchblicken. "Politische Institutionen haben einen anderen Rhythmus als kleinere Organisationen wie wir, die etwas bewegen wollen." Naturschutz habe man hier bisher vor allem mit der Abwesenheit von menschlichen Interventionen assoziiert, sodass sich die Natur von selbst erholen kann – nach dem Motto "konservieren, was übrig ist", sagt Di Martino. "Das Schwierigste war, für unsere neue Art des Schutzes mit aktivem Management und der Auswilderung von Tieren Akzeptanz zu finden."

Im Zuge der Errichtung des Patagonia-Nationalparks wurde die damals drittgrößte Farm Chiles angekauft. Zäune wurden abgerissen und das Land langsam renaturiert.
Rolex/Sofia Lopez Mañan

An die regionalen Bewohner richtet man sich in den Rewilding-Organisationen nicht nur mit Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen vom Radiosender bis zu Murals, großformatigen Wandbildern in den Dörfern. Die Arbeitsplätze in der Viehwirtschaft sollen auch durch neue Chancen im Naturparktourismus ersetzt werden. Es braucht Unterkunftgeber, Ranger, Guides, Produzenten lokaler Produkte und Mitbringsel für die Touristen. Zur wiederhergestellten Natur kommt auch ein wirtschaftliches Ökosystem. "Wir wollen, dass die Menschen ihren Nationalpark lieben und seine größten Verteidiger werden", sagt Morgado.

In den Medien hört man vorwiegend schlechte Nachrichten über die globale Umwelt und den Klimaschutz. Im Alltag der Naturschützer ist das Gegenteil der Fall, sagt Di Martino. "Es ist wichtig, Hoffnung zu haben, und bei uns gibt es jeden Tag gute Nachrichten." Er erinnert sich beispielsweise daran, als die ersten Jaguare, ein Weibchen mit zwei Jungen, das Gehege Richtung Wildnis verließen; oder an das erste Mal, als er Jaguarspuren im Schlamm von Iberá entdeckte. Auch Morgado hat Geschichten wie diese parat: "Es ist schwer, die scheuen Pumas tatsächlich im Park anzutreffen. Einmal sah ich aber mehrere auf einmal – und das gerade dort, wo Nationalparkgründer Doug Tompkins begraben ist." (Alois Pumhösel, 9.6.2023)