Andreas Babler, SPÖ, ZiB2, ORF
Andreas Babler war am Dienstagabend in der "ZiB 2" zu Gast.
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Ich habe jetzt ein Wort gelernt, Streichwahlsystem. Die SPÖ ist bekanntlich an der Aufgabe gescheitert, eine Abstimmung von Delegierten zufriedenstellend zu organisieren. Es gab elf Urnen, 602 Delegiertenabschnittskartenwahlzettel, eine 19-köpfige Wahlkommission und am Ende ein debakulöses Gwirks mit Excel.

Zu verstehen, wie es dazu kam, ist ungefähr so schwierig, wie überhaupt eine Formel in Excel zu kapieren, zumindest aus der Perspektive Ihrer Autorin, die in Mathe einen Fensterplatz hatte. Jedenfalls wurden vergangenen Samstag beim roten Parteitag im verblüffend designfreien Linzer Designzentrum versehentlich Stimmen statt Streichungen in Excel eingegeben, nachgezählt hat auch keiner, fertig war das Wahldebakel.

Wenn überhaupt ein Mensch erklären kann, was es jetzt mit diesen ominösen Streichungen – also dem offenbar versehentlich angewandten Streichwahlsystem – und den wundersam verlorenen, wiedergefundenen und vermehrten Stimmen ganz konkret auf sich hatte, dann ist das "ZiB 2"-Moderator Martin "Excel-Gott" Thür, wie er seit jenem epochalen Samstag auf Twitter auch gerne apostrophiert wird.

Thür nämlich hatte die Wahlpanne der SPÖ als einer der Ersten bemerkt, zumindest als Erster öffentlich den Finger auf die Excel gelegt – und er war nun auch der Erste, der Andreas Babler in seiner Funktion als frisch ausgezählter SPÖ-Vorsitzender länger interviewen konnte. Nach den Offenbarungserlebnissen post Linz und der Twitter-Heiligsprechung könnte man sagen: An Tag vier traf Babler auf seinen Schöpfer.

Martin Thür, ORF, Andreas Babler, SPÖ
ORF-Moderator Martin Thür und der neue SPÖ-Chef Andreas Babler.
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Routine

Von übermäßiger Ehrfurcht war dann wenig zu merken. Thür klopfte Bablers Positionen routiniert ab – der antwortete so routiniert wie jemand, der seit 28 Jahren in einer Partei sozialisiert ist und einen Lehrgang für Politische Kommunikation abgeschlossen hat.

Zusammengefasst: In einem vor drei Jahren veröffentlichten und vor wenigen Tagen neu aufgetauchten zweistündigen Video-Interview hatte Babler die EU als das "aggressivste außenpolitisch-militärische Bündnis, das es je gab", bezeichnet. Das sei überzogen gewesen, bekräftigte er nun erneut in der "ZiB 2". Im Gegenteil. Er betrachte die EU als großen Schalthebel, mit dem man Verbesserungen tätigen könne, bei Lieferkettengesetzen, bei Lohntransparenz. Nur Festung solle es keine werden, von denen blieben – historisch betrachtet – oft Ruinen.

Auch das Positionspapier "Flucht – Asyl – Migration – Integration" der SPÖ-Arbeitgruppe rund um Hans Peter Doskozil und Peter Kaiser müsse vertieft und auf Praxistauglichkeit abgeklopft werden. Die SPÖ wolle "klare Asylverfahren". Und wichtiger als die Frage nach dem Ort von Asylzentren sei überhaupt: "Wer bekommt Asyl – und wer nicht?"

Tatsächlich leidet das Gespräch letztlich am scheinbaren Zeitdruck. Babler spricht in Bildern, das aber schnell, Fragen und Antworten bleiben weitgehend an der Oberfläche von Schlagworten und Positionierung, für Vorstellungen zu konkreten Umsetzungen reicht es nicht mehr.

Mit drei Tagen Verspätung ist Andreas Babler zum Vorsitzenden der SPÖ gekürt worden. Am Dienstagabend war er in der "ZiB2" zu Gast.
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Ein paar Fixpunkte: Am Mittwoch wird in der SPÖ-Bundesgeschäftsführung in der Löwelstraße eine interimistische Leitung eingesetzt – wer es wird: stay tuned. Der Parteitag soll vorverlegt werden. Hans Peter Doskozil hat trotz mehrmaliger Anrufe nicht zurückgerufen, mit Pamela Rendi-Wagner hingegen gab es einen Austausch.

Für die Twitteria die aufregendste Nachricht: Andreas Babler ist für eine Legalisierung von Cannabis. Auch hier spalten sich die Geister der Poster: Gottseibeiuns oder Personal Jesus. Die Agnostiker schweigen. Wie so oft.

Und wie leider auch der Excel-Gott, weil das mit dem Streichwahlsystem, das blieb leider unerklärt … Nun gut. Vielleicht gibt’s bald ja noch eine SPÖ-Pressekonferenz zur Klärung der Erklärung. Darum bete ich aber nicht. (Nana Siebert, 6.6.2023)