Im Gastblog stellt Peter Reischer ein spirituelles Gebäude in Südamerika vor.

Die etwa fünf bis acht Millionen Anhänger der weltweit verbreiteten Religion der Bahai leben heute vor allem in Indien, Afrika, Nord- und Südamerika. Die ursprünglich aus dem persischen Babismus hervorgegangene Universalreligion hat in ihrem Mittelpunkt den Glauben an einen transzendenten Gott, die mystische Einheit der Religionen und an die Einheit der Menschheit. Für sie ist das Licht die fundamentale Verbindungskraft des Universums.

Der Bahai-Tempel von Südamerika wurde von Hariri Pontarini Architects entworfen und nach vielen Jahren der Entwicklungsarbeit 2016 fertiggestellt. Er verwendet einen durchscheinenden Stein und die neueste Glastechnologie, um sowohl ein physisches wie auch ein spirituelles Leuchten in der Architektur zu vereinen und sichtbar zu machen.

Bahai Tempel
Innenansicht des Tempels.
Foto: Hariri Pontarini Architects

Übergang von Tag zu Nacht

Mit dem Gebirgszug der Anden im Hintergrund wird der neue Tempel zu einer verschwindend kleinen Lichtskulptur: eine sich auflösende Struktur aus Alabaster und Glas – ein Ort der reinen Lumineszenz. Während des Tages bestimmen die sanft gewellte Alabasterhaut und das Glas den äußeren Eindruck. In der Nacht dreht sich das Bild um – das gesamte Volumen strahlt ein warmes sanftes Glühen aus, und das Innenleben ist durch das Glas sichtbar.

Bahai Tempel
Der Tempel bei Nacht.
Foto: Hariri Pontarini Architects

Der Innenraum des Tempels – von seiner kreisförmigen Hülle umschlossen – ist ein Volumen, das vom präzise ausgearbeiteten Holzmaßwerk bestimmt ist. Dieses bietet durch seine warme Oberfläche, reich an Texturen und feiner Ornamentik, auch die ideale akustische Oberfläche für die Kultur, die im Inneren geboten wird. Die neun Flügel des Tempels falten sich – organisch geformt – wie eine Schutzhülle um ein Nest. Man könnte sie als sanft wallenden Dom interpretieren, der um eine leicht erhöhte Basis angeordnet ist.

Bahai Tempel
Die neun Flügel des Tempels erwecken den Eindruck eines Nests.
Foto: Hariri Pontarini Architects

Der Tempel – inmitten eines Gartens gelegen –, der neun lilienförmige Teiche und neun Gebetsgärten umfasst, liegt nur leicht auf dem Erdboden auf. Seine Basis ist nahezu transparent, jeder seiner neun Flügel schwebt praktisch schon in den Himmel: Bewegung im Gegensatz zur Stille. (Peter Reischer, 8.6.2023)