In ihrem Gastkommentar kritisieren die Ökonomen Michael Soder und Christian Berger, dass die Bundesregierung im Gegensatz zu anderen EU-Ländern es bisher nicht fertiggebracht hat, eine tragfähige, pragmatische Industriestrategie vorzulegen.

Der industrielle Sektor ist für Österreichs wirtschaftliche Beziehungen und Position entscheidend. Ohne ihn würde Österreich heute gänzlich anders aussehen, und der materielle Wohlstand wäre deutlich geringer. In Zeiten großer Unsicherheit und struktureller Veränderungen durch Pandemie, Krieg, Energie- und Klimakrise stellt sich daher immer drängender die Frage, wie Wertschöpfung und Beschäftigung nachhaltig organisiert werden. Zu dieser strategischen Herausforderung hört man bisher leider wenig aus der österreichischen Politik – eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort.

Zeichen der Zeit

Die Europäische Kommission hat die Zeichen der Zeit erkannt. Getrieben durch den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) und dem Aufstieg Chinas in strategisch wichtigen Technologien muss Europa rasch reagieren. Mit dem Green Deal Industrial Plan und der daraus abgeleiteten Verordnung für eine klimaneutrale Industrie soll die EU wirtschaftspolitisch unabhängiger zu werden, eigene Produktionskapazitäten für den Umbau hin zu einer digitalen und grünen europäischen Wirtschaft aufzubauen. In acht bedeutenden Technologien – Batterien, Photovoltaik, Windkraft, Wärmepumpen, Wasserstoff, erneuerbare Gase, CO2-Abscheidungs- und Speichertechnologien sowie Netzinfrastrukturtechnik – soll in Zukunft bis zu vierzig Prozent in Europa selbst hergestellt werden.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Windenergie ist eine davon, kommt nur schleppend voran.
Foto: APA / Robert Jäger

Die Ziele sind dabei klar: Versorgungssicherheit gewährleisten sowie nachhaltige Wertschöpfung und Beschäftigung absichern und weiter ausbauen. Eine explizite Verpflichtung zur Produktion in der EU beziehungsweise zum Kauf europäischer Produkte ist nicht vorgesehen. Die Stoßrichtung ist, Anreize über üppige staatliche Subventionsprogramme und flexiblere Beihilfevorschriften zu schaffen sowie eine gezielte Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, um die vorgesehenen Produktionskapazitäten bis 2030 zu erreichen. Die Kommission will damit erreichen, dass der Struktur- und Technologiewandel in Europa deutlich an Fahrt gewinnt und die EU gegenüber den USA und China nicht noch weiter ins Hintertreffen gerät. Mit dem Vertrauen auf reine Anreizmechanismen hängt es an der Qualität von Koordination, Kooperation und Zielkontrolle, ob diese greifen oder ob die Kommission mit ihren Vorschlägen Gefahr läuft, einen schädlichen innereuropäischen Subventions- und Beihilfenwettbewerb auszulösen.

"Nur keine Hektik aufkommen lassen – 'schau ma' mal'."

Im "Autoland Österreich" hingegen möchte man am liebsten, dass alles bleibt, wie es ist. Nur keine Hektik aufkommen lassen – "schau ma' mal". Anstelle sich die Frage zu stellen, welche Weichenstellungen und Kooperationsformen es braucht, um diese Technologien zumindest in Teilen der Wertschöpfungskette in Österreich zu produzieren und, wie wirtschaftspolitisch auf diese Dynamiken reagiert werden könnte, führt man lieber Schein- und Symboldebatten über E-Fuels. Die gemeinsame Erarbeitung einer umfassenden Standortstrategie durch Regierung, Sozialpartner, Wirtschaft und Wissenschaft, die die ehemalige Ministerin Margarete Schramböck unter dem Titel "Chancenreich Österreich" schon Ende 2021 vorlegen wollte, ist wohl als teurer, gescheiterter Versuch zu bezeichnen.

Politikversagen hierzulande

So gibt es derzeit keine Strategie, wie Österreich mit diesen strukturellen Veränderungen mittelfristig oder gar langfristig umgehen soll. Ein Politikversagen und perspektivisch eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort. Denn gerade für Unternehmen und ihre Beschäftigten braucht es in Zeiten der großen Umbrüche und Unsicherheiten Technologieklarheit, Transparenz und Planungssicherheit. Kurz, es braucht eine wirtschaftspolitische Ausrichtung auf die Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Klimakrise, demografischer Wandel, Digitalisierung und (De-)Globalisierung. Die britische Innovationsökonomin Mariana Mazzucato spricht daher von gesellschaftlichen "Missionen", für deren Lösung Staat, öffentlicher Sektor und private Unternehmen dynamisch und partnerschaftlich zusammenarbeiten müssen.

Neben industriepolitischen Scheindebatten geht man in Österreich einen anderen Weg, indem man nun versucht, den Strukturwandel mit öffentlichem Geld zu erschlagen. Das ist durchaus berechtigt, da der industrielle Umbau durch hohe anfängliche Kosten und Pfadunsicherheiten gekennzeichnet ist. Es braucht daher eine Strategie zur Entwicklung des Standorts und Konditionalitäten für die Vergabe von Fördergeldern, damit gesetzte Maßnahmen sinnvoll ineinandergreifen und effizient ihre Wirkung entfalten können.

Keine Strategie

Die österreichische Regierung hat es im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedsstaaten bisher nicht fertiggebracht, eine tragfähige, pragmatische Industriestrategie vorzulegen, die auf die Probleme unserer Zeit Bezug nimmt. Es wird weiter anlassbezogen und wenig ambitioniert Einzelmaßnahme um Einzelmaßnahme beschlossen, und wichtige Rahmengesetze, wie ein Klimaschutzgesetz, werden immer weiter aufgeschoben. Das Resultat ist ein wirtschaftspolitisches Flickwerk aus Maßnahmen und Einzelzielen ohne Strategie und Regulierungssicherheit. Ein Cocktail, der nicht nur ineffizient und damit eine Gefährdung der österreichischen Unternehmen und ihrer Beschäftigten darstellt, sondern auch diametral im Gegensatz zu den Diskussionen und Ansprüchen der Kommission und anderer Mitgliedsstaaten steht. Österreichs Wirtschaftspolitik mangelt es offenbar an Voraussicht und Standortvision. (Michael Soder, Christian Berger, 9.6.2023)