Pro
Gibt es etwas Schöneres, als ausgeschlafen aufzuwachen? Natürlich: nach einem schönen Nickerchen aufzuwachen. Wer den Verlockungen des Powernaps widersteht, hat seine Ambrosia nicht oft genug gekostet – oder von der falschen genascht. Der Wecker sollte nie in eine Tiefschlafphase hineinscheppern, Schlaftrunkenheit ist nur halb so lustig wie gewöhnliche Trunkenheit. Deshalb sollten Nickerchen entweder unter 30 oder gleich etwa 80 Minuten dauern. Wer das berücksichtigt, profitiert tausendfach.
Wir drehen an jeder Schraube, um nicht unter den Mühlsteinen der Leistungsgesellschaft zu zerbröseln. Yogameditationsworkout um fünf Uhr, danach Eisbad mit Reclam-Buch, Matcha und zu Vollmond angerührten Overnight-Oats, dann Skincare-Routine mit sieben Cremes, zwei Masken und einer Blaulichtlampe. Aber ein Nachmittagsviertelstunderl mit geschlossenen Augen sollen wir uns nicht gönnen? Pff. Ein gepflegtes Nickerchen ist Microdosing für Minderbetuchte. Wer darauf verzichtet, ist selber schuld. (Martin Schauhuber, 10.6.2023)
Kontra
Verstehen Sie mich nicht falsch: Den Reiz eines kurzen Nickerchens kann ich immer sehr gut nachvollziehen, wenn die Nachmittagsmüdigkeit kickt. Aber Hand aufs Herz: Sind Sie schon jemals von einem Nickerchen aufgewacht und haben sich tatsächlich erholt gefühlt? Ich weiß, es gibt Tricks, die angeblich verhindern sollen, dass man sich im Tiefschlaf verliert, etwa indem man sich streng den Wecker stellt. Nur fühlt man sich trotzdem wie gerädert. Noch ein Argument gegen den Powernap: Er wird in hippen Büros mit Schlafkojen richtiggehend zelebriert. Eh lustig, aber geht es da um das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – oder soll damit nicht eher fehlende Work-Life-Balance übertüncht und noch ein kleines bisschen mehr Produktivität herausgepresst werden?
Danke, ich verzichte – und gehe bei Nachmittagsmüdigkeit lieber eine Runde spazieren. Bewegungsmangel ist nämlich in unserem Alltag das weitaus größere gesundheitliche Problem als ein kleines Nachmittagstief. (Franziska Zoidl, 10.6.2023)