Was ist gutes Design? Eine Frage, die der legendäre deutsche Produktdesigner Dieter Rams bereits Mitte der 1970er-Jahre mit zehn Thesen beantwortet hat. Innovativ muss es sein, hübsch aussehen sollte es ebenfalls, vor allem aber muss es ein Produkt einfach brauchbar machen. Nun dürften diese Thesen auch den Entwicklern aktueller Smartphones durchaus bekannt sein, und doch haben sich in diesem Bereich über die Jahre einige mehr als zweifelhafte Design-Trends etabliert.

Curved Displays

Einer davon sind jene seitlich abgerundeten Displays, die viele aktuelle Smartphones nutzen. Falls wer jetzt nicht gleich weiß, was damit gemeint ist: Dabei geht das Display quasi in die Seite des Geräts über. Eine Art Trendsetter in dieser Hinsicht war Samsung, das diesen Aufbau sogar mit zusätzlichen Softwarefeatures kombinierte, und dort ein verstecktes Panel zum Schnellaufruf von Apps oder diversen Funktionen platzierte. Das erste Samsung-Smartphone mit "Edge Display", wie es damals hieß, wurde übrigens bereits 2014 vorgestellt – das Galaxy Note Edge.

Das Pixel 7 Pro von Google (links) verwendet einen seitlich gebogenen Bildschirm. Das kleiner Pixel 7 ist hingegen flach, hat dafür aber einen größeren Rahmen um das Display.
Proschofsky / STANDARD

Dass schon damals Zweifel an der Usability solcher Lösungen laut wurden, hielt andere Hersteller nicht davon ab, all das mit sogenannten "Waterfall Displays", die fast komplett an die Unterseite des Geräts reichten, auf die Spitze zu treiben.

Nicht totzukriegen

Während die "Waterfall Displays" sich dankenswerterweise (größtenteils) als kurzfristige Modeerscheinung herausstellen sollten, halten sich die zumindest etwas dezenteren "Curved Displays" weiterhin hartnäckig. Googles Pixel 7 Pro oder auch das Motorola Edge 40 Pro und das Vivo X90 Pro sind nur einige aktuelle Vertreter dieser Gattung. Insofern ist es Zeit, an dieser Stelle mal einen ungewohnten Appell an die Smartphone-Hersteller zu richten: Bitte hört mit diesem Unsinn endlich auf!

The First Quad-curved Waterfall Display Concept Smartphone
Ein Konzept wie aus einem Smartphone-Horrorfilm: Das "Quad-Curved Waterfall Display" von Xiaomi aus dem Jahr 2021.
Xiaomi

Eine sehr einseitige Bilanz

Die Realität ist nämlich, dass die Nachteile solcher Displays ihre Vorteile klar überwiegen. Die von den Herstellern verkauften Zusatz-Features sind im besten Fall Gimmicks und stehen noch dazu meist dem Gestensystem von Android im Weg. Das ebenfalls gern genannte Argument, dass durch abgerundete Displays seitliche Wischbewegungen, wie sie bei Android eine wichtige Rolle spielen, leichter werden, ist nicht minder zweifelhaft. Ein angenehmes Swipen geht nämlich auch mit einem nur an den Rändern abgerundeten 2,5D-Display.

Kaputt ist kaputt

Was hingegen unbestritten ist: "Curved Displays" sind erheblich anfälliger für Beschädigungen. Einerseits weil solch eine Biegung generell das Deckglas schwächt, andererseits, weil natürlich die Chance größer ist, dass beim Herunterfallen des Smartphones auch das Display getroffen und somit beschädigt wird.

Apropos "Chance": Solche stark abgerundeten Geräte sind nicht nur deutlich rutschiger, sie halten sich auch sonst weniger stabil in der Hand. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es einem überhaupt auskommt, und das Gerät den von aufsteigender Panik begleitenden Weg in Richtung Boden antritt.

Verzerrungen

Doch das war es noch nicht mit den Nachteilen. Solche Displays erzeugen nämlich – logischerweise – eine Verzerrung der Darstellung am Rand, was manchmal weniger, aber manchmal eben auch mehr nervt. Zudem bleibt das Problem von unabsichtlichen Touch-Berührungen an dieser Stelle, was recht mühsam sein kann, wenn man gerade Fotos oder Videos im Breitformat aufnehmen will, und wieder mal der Auslöseknopf nicht geht.

Verzerrungen, Reflexionen und mehr: Hübsch sind die "Curved Display" maximal auf den ersten Blick.
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Wer meint, dass die Hersteller solche Fehl-Touches mittlerweile im Griff haben sollten, der hat zwar prinzipiell nicht ganz unrecht. Leider gibt es aber auch jetzt noch einige, bei denen das nicht der Fall ist. Bei Vivo lernt man wiederum, dass es selbst bei aktuellen Geräten noch das umgekehrte Problem geben kann. Nämlich, dass es ziemlich mühsam ist, wenn User-Interface-Elemente dermaßen weit am Rand platziert sind, dass sie durch die Rundung nur unzuverlässig anwählbar sind.

Wozu das alles dann überhaupt?

Bei einer dermaßen einseitigen Bilanz stellt sich natürlich die Frage: Warum gibt es diese "Curved Displays" dann überhaupt noch? Die Antwort darauf ist ebenso simpel wie ernüchternd: Weil es vielen gefällt. So ermöglicht die Abrundung (oder macht es zumindest leichter), dass das Display weiter an den Rand geht. Der den Bildschirm umgebende Rahmen ("Bezel") wirkt so kleiner. Zudem fühlt sich die Abrundung für viele schlicht "edler" an.

Was in der Branche generell niemand gerne offen ausspricht: In Wirklichkeit geht es bei solchen Design-Entscheidungen fast zur Gänze um den Ersteindruck. Also jenen Moment, in dem sich wer online Fotos im Detail ansieht oder gar im Geschäft mehrere Smartphones in die Hand nimmt, um sie zu vergleichen. Und ja, die Zahlen sagen, dass das noch immer viele tun. Seit Jahren werden ziemlich stabil rund die Hälfte aller Smartphones in Österreich über Mobilfunker verkauft, bei denen das Ausprobieren in den Shops eine wichtige Rolle im Entscheidungsprozess spielt.

Oberflächlichkeiten der absurden Art

Es gilt also, dafür zu sorgen, dass so ein Smartphone in diesem ersten Moment möglichst modern und eben "edel" wirkt. Dass der allergrößte Teil der Kaufenden das Gerät anschließend in eine Hülle von mehr oder weniger begrenzter Attraktivität steckt, mag all dem zwar eine leicht absurde Note verpassen, ändert aber nichts daran, dass es so ist.

Auch aktuelle Smartphones von Vivo können nicht auf ein "Curved Display" verzichten und stehen damit sogar der grundlegenden Funktionalität im Weg.
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Dieselbe Realität ist es übrigens, die uns auch andere begrenzt sinnvolle Trends bei Smartphones eingebracht hat. Allen voran die Verwendung von fragilen Materialien wie Glas statt als weniger "edel" wahrgenommenen aber deutlich robusteren Kunststoffen. Aber das nur am Rande.

Es zeichnet sich Besserung ab

Zum Glück geht der Trend derzeit bereits in die richtige Richtung. Der einstige Vorreiter Samsung hat sich mittlerweile (fast) vollständig von seinen Edge-Displays verabschiedet. Apple hat sich dankenswerterweise ohnehin nie auf diesen Unsinn eingelassen. Und selbst Google scheint langsam dazuzulernen, das kommende Pixel 8 Pro soll nämlich ein flaches Display haben. Nicht zuletzt ist das auch Fortschritten bei der Integration solcher Panels zu verdanken, womit auch bei flachem Frontglas kleinere Bezels möglich werden.

Jetzt gilt es nur mehr all die anderen Hersteller – und dabei vor allem die generell zu Gimmicks aller Art neigenden Anbieter aus China – dazu zu bringen, sich der Realität zu stellen. Der Realität, dass seitlich gebogene Displays schlicht eine Fehlentwicklung waren. Eine Art schlechter Witz, der sich viel zu lange gehalten hat. Zeit, damit Schluss zu machen, damit wir uns dann in ein paar Jahren wundern können, wie das je wer für eine gute Idee halten konnte. (Andreas Proschofsky, 8.6.2023)