Johannes Dieterich aus Johannesburg

Nach dem siebten gescheiterten Waffenstillstand im Sudan wird die Lage in der Hauptstadt Khartum und den Darfur-Provinzen immer katastrophaler. Berichten aus Khartum zufolge nehmen die Kämpfe zwischen den Streitkräften und der Miliz Rapid Support Forces (RSF) wenige Tage nach dem Abbruch der Gespräche über eine Waffenruhe durch Streitkräftechef Abdelfattah al-Burhan derzeit an Intensität erheblich zu.

Ein Mann in einem zerstörten Haus Khartums.
APA/AFP/-

Erstmals werden aus Khartums Zwillingsstadt Omdurman auch Straßenkämpfe zwischen Soldaten und Milizionären gemeldet. Bei der Bombardierung des Campus der Afrika-Universität in Khartum durch die Luftwaffe wurden zehn kongolesische Flüchtlinge getötet. Und beim Panzerbeschuss eines Marktes im ärmlichen Süden der Hauptstadt kamen 28 Menschen ums Leben, mehr als 100 wurden verletzt.

Hemeti kontrolliert das Gros Khartums

Noch immer werden rund 90 Prozent Khartums von den Kämpfern des RSF-Generals Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti) kontrolliert: Sie werden von den Streitkräften unter General Abdel Fattah al-Burhan meist aus der Luft angegriffen. Inzwischen zeichnet sich Berichten aus Khartum zufolge ein großangelegter Angriff der Armee auf die Hauptstadt ab: Dafür hätten die Streitkräfte an der Peripherie der Stadt zahlreiche Truppen zusammengezogen, heißt es.

Sudan-Kenner Eric Reeves hält es für möglich, dass sich die RSF-Milizionäre im Fall eines Großangriffs aus Khartum in ihre Hochburg, die Darfur-Provinzen, zurückzuziehen. Die Milizionäre hätten in der Bevölkerung der Hauptstadt zu wenig Unterstützung, um sich auf Dauer in Khartum behaupten zu können. Die RSF-Kämpfer sind berüchtigt für ihre Übergriffe: Sie plündern Geschäfte und vertreiben Familien aus ihren Wohnungen, auch von Vergewaltigungen wird berichtet.

Probleme bei humanitärer Versorgung

Angesichts der Kämpfe gelingt es Hilfsorganisationen noch immer nicht, die Bevölkerung mit dringend nötigen Nahrungsmitteln zu versorgen. Vor allem im Zentrum und Norden Khartums werden die Lebensbedingungen immer katastrophaler: Dort sind ganze Stadtteile sind seit Wochen ohne Wasser und Strom, Lebensmittel und Medikamente sind nur noch mit Mühe zu finden. Im Alban Jadeed Hospital werden Babys im Schein von Handys zur Welt gebracht, berichtet die BBC: Die Zahl der Mütter, die bei der Geburt ums Leben kommen, nimmt weiter zu.

Für Aufsehen sorgte auch die Plünderung des Nationalmuseums durch RSF-Milizionäre, von der Videos im Internet kursierten. Darin sind Kämpfer zu sehen, die mit Mumien gefüllte Kisten öffnen: Es handele sich um Opfer der Regierungstruppen, behaupten die Milizionäre, offensichtlich ohne einen Schimmer von der Herkunft und dem Alter (bis zu 4.500 Jahre) der einbalsamierten Leichname zu haben.

Unterdessen wird aus dem National History Museums Khartums der Tod zahlreicher Tiere gemeldet, die seit Anfang der Gefechte vor mehr als acht Wochen nicht mehr gefüttert wurden. Weiteren Berichten zufolge brannte in der vergangenen Woche die Bibliothek der Al-Ahlia-Universität in Omdurman nieder: Tausende auch alter Folianten und Dokumenten seien dabei verloren gegangen, heißt es.

Lage in Darfur-Provinzen

Noch schlimmere Zustände werden aus den drei Darfur-Provinzen gemeldet: Dort soll es derzeit noch schlimmer wie während des Völkermords vor zwei Jahrzehnten zugehen. Täglich kommt es zu Überfällen der RSF-Milizionäre auf Städte und Dörfer – auf Satellitenbildern sind zahlreiche ausgebrannte Siedlungen zu erkennen. Fast 100.000 Menschen sind bereits ins Nachbarland Tschad geflohen, täglich kommen Tausende weitere dazu. Aus el Geneina, der Hauptstadt West-Darfurs, wurden allein in den vergangenen Tagen 280 Tote und Hunderte von Verletzten gemeldet.

Das von der Hilfsorganisation Ärzten ohne Grenzen betriebene Krankenhaus ist verwaist, die noch verbliebenen Bewohner zogen Gräben durch die Stadt, um die RSF-Pick-ups zu stoppen. Hilfsorganisationen warten im benachbarten Tschad auf ein Abflauen der Kämpfe, um die Bevölkerung im Darfur versorgen zu können. "Für uns ist der Darfur ein schwarzes Loch", sagt der humanitäre UN-Beauftragte, Martin Griffiths: "Wir fürchten, dass sich dort eine humanitäre Katastrophe abspielt."

Hungersnöte befürchtet

Der Sudan sende "Schockwellen" in die gesamte Region aus, meldet das UN-Welternährungsprogramm (WFP): Der Konflikt werde 2,5 Millionen zusätzliche Menschen in den Hunger treiben – über die fast 17 Millionen Sudanesen und Sudanesinnen hinaus, die schon vor dem Krieg der Generäle auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren. Derzeit erreicht das WFP weniger als eine Million Menschen im Sudan.

Unterdessen gehen die Bemühungen der Regierungen der USA und Saudi-Arabiens weiter, die beiden Konfliktparteien in der saudischen Hafenstadt Dschidda zu einem neuen Waffenstillstand zu bewegen – trotz zunehmender Kritik ziviler Organisationen des Landes. Sie verweisen auf die fehlende Legitimation der Generäle als Repräsentanten des Staates: Von Gesprächen über die Zukunft des Sudans sollten sie ausgeschlossen werden, heißt es. Der Direktor der New Yorker Weltfriedensstiftung, Alex de Waal, rief Washington dazu auf, auf die Bildung einer zivilen Regierung im Sudan hinzuwirken und die Generäle zu isolieren. "Der Sudan droht zu Tode zu bluten", warnt der Sudan-Kenner: "Die Frage ist, ob dort in den kommenden Jahrzehnten überhaupt noch ein Leben möglich sein wird." (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 7.6.2023)