Festwochen
Doris Uhlichs Variation über die Melancholie
Pelekanos

Sie alle tragen silbrige, enganliegende Ganzkörperanzüge, wie sie oft in Science-Fiction-Filmen von Leuten getragen werden, die andere Planeten besuchen. Die sechzehn Mitwirkenden in Doris Uhlichs neuer Choreografie "Melancholic Ground" landen auf einem weitläufigen Kinderspielplatz – und dort tatsächlich als Fremde, einfach weil sie erwachsen sind. Uraufführung im Rahmen der Wiener Festwochen war am Mittwochabend bei verhangenem Abendhimmel, der gnädig einige späte Sonnenstrahlen durchließ. Uhlichs Freiluftperformance nahe der Alten Donau ist, man kann’s nicht anders sagen, ein zeitatmosphärischer Volltreffer. Melancholiefördernd wirkt allein der Name des Ortes. Auf einem "Sparefroh-Spielplatz" wird nur unbeschwert spielen, wer den damit verbundenen Kontext noch nicht kennt. Nachdenklich macht auch das Ausschwärmen der Erwachsenen, ob als Darstellende oder Publikum, auf dem normativ "kindergerecht" gestalteten Platz.

Melancholie ist kein beliebter Begriff in einer von Geldideologie und Technikreligion zertrümmerten Gesellschaft, die ihren Kindern zwar die Zukunft verbaut, sie dafür aber frühestmöglich mediensüchtig macht. Angesichts dieses weltanschaulichen Befunds wendet sich "Melancholic Ground" gegen den Zwangsoptimismus unserer posthumanen Disruptionsrealität.

Divers zusammengestellt

Dabei entsteht ein Stimmungsbild, das schlicht mit ein paar Figuren einsetzt, die freudlos die Spielplatzrutschen und eine Sandkiste nutzen. Im weiteren Verlauf bespielen diese Figuren das gesamte Spielplatz-Mobilar. Uhlich hat ihre Gruppe sehr divers zusammengestellt, aus Tänzerinnen und Performern unterschiedlichen Alters, verschiedener Herkünfte und Identitäten, mit und ohne Behinderungen. Manche verkleiden sich als Spielplatzmöbel, andere als ramponierte Tiere. Ein Mann im Rollstuhl wird zur mechanischen Spielzeugspinne, eine Frau schleift eine Märchenburg hinter sich her, eine andere stapft mit einem Fuß im Körper eines Teddybären umher.

Boris Kopeinig flutet diese zuehmend akkumulierenden Szenen mit Sounds, in denen Zweifel mitschwingen und Enttäuschung, vielleicht auch Trauer. Doris Uhlich gelingt es durchgehend, undidaktisch zu bleiben und den richtigen Abstand zur naheliegenden Untergangsromantik zu halten. Ihre Gruppe ist perfekt in der Darstellung vergeblicher Mühen, ohne diese zum nihilistischen Fetisch hochzustilisieren. Am Ende ist die alte, technikgläubige Science-Fiction zertreten und abgeschüttelt. Was Elon Musk und Jeff Bezos sowie die aktuellen KI-Fantasien antreibt, entmystifiziert sich auf diesem "Melancholic Ground" von selbst.(Helmut Ploebst,8.6,2023)