Eine Stimme der Zivilbevölkerung im Krieg: Antonia Rados, hier im Jahr 2014 für RTL in einem Flüchtlingscamp im Nordirak, feiert am 15. Juni ihren 70. Geburtstag.
Eine Stimme der Zivilbevölkerung im Krieg: Antonia Rados, hier im Jahr 2014 für RTL in einem Flüchtlingscamp im Nordirak, feiert am 15. Juni ihren 70. Geburtstag.
Foto: RTL

Wien/Paris/Berlin - Sie fuhr dorthin, wo keiner sein will, um der Öffentlichkeit zu zeigen, was keiner sehen will: 40 Jahre lang betätigte sich TV-Journalistin Antonia Rados als Kriegsberichterstatterin. Sie lieferte Reportagen aus Ländern wie dem Irak, Somalia, Afghanistan sowie zuletzt der Ukraine und erlangte mit ihren Fernsehschirmauftritten internationale Bekanntheit. Ihren 70. Geburtstag am Donnerstag, 15. Juni, begeht sie im Frieden, hat sie sich doch im Vorjahr zur Ruhe gesetzt.

Rados will Wirklichkeiten abbilden, alle Seiten hören, Abstand einhalten, nicht ihre Meinung sagen. So habe sie ihre Arbeit gelernt, klärte sie in einem von vielen Abschiedsinterviews im Vorjahr auf. "Wir sind Augenzeugen, keine Kämpfer", so die Journalistin über ihre Berufung. Wobei es nicht immer einfach sei, die Ansprüche an die eigene Arbeit einzuhalten. "In Krisen- und Kriegsgebieten muss man ständig gegen die eigenen Gefühle kämpfen. Weil man zuerst einmal ein Mensch ist und Dinge sieht, die einen sehr berühren. Leid, Tod, Gewalt."

Im Nachhinein sei es für sie schwer vorstellbar, dass alles gutgegangen ist. Dreimal täglich wundere sie sich über ihr Glück. Das Etikett als Heldin, die aus dem Krieg zurückkehrt, lehnt Rados völlig ab. "Ich habe eine kugelsichere Weste, einen Helm, eine Logistik, ein Fax. Ich schäme mich manchmal, wie privilegiert ich dort bin. Es gibt so viele Leute, die bleiben müssen, die nichts zum Essen haben, die leiden."

ORF, WDR, RTL, ZDF

Rados wurde am 15. Juni 1953 in Klagenfurt geboren. Nach einem Studium der Politikwissenschaft dockte sie 1978 beim ORF an und sollte dort bis 1991 tätig sein, wobei sie etwa aus Chile, dem Iran oder auch Rumänien berichtete. "Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was mich erwartete, aber ausprobieren wollte ich es schon. Es gab zu jener Zeit nicht nur keine Frauen in diesem Beruf, sondern auch kaum Möglichkeiten, aus diesen Ländern zu berichten", so Rados. Erfreulich blieb ihr aus ihrer Zeit beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen die professionelle Ausbildung in Erinnerung. Weniger toll fand sie, dass man es als Frau, die zudem parteilos war, es schwer in dem "extrem staatlich oder parteipolitisch organisierten Unternehmen" hatte. "Das habe ich in dieser Form in Deutschland nicht erlebt. Das Angebot, das ich 1991 bekommen habe, war eine Flucht", erinnerte sich die Kriegsreporterin.

Das Angebot kam vom Westdeutschen Rundfunk Köln (WDR). Lange Zeit hielt es sie dort aber nicht, wechselte sie doch 1995 zu RTL. Beim deutschen Medienhaus erlangte sie spätestens mit ihrem Einsatz im Irak-Krieg 2003 große Bekanntheit. Praktisch täglich war sie am Fernsehschirm präsent, verbrachte sie doch über vier Monate am Stück aus Bagdad und berichtete auch für n-tv. Über ihre Arbeit in dieser Zeit hielt sie fest: "Es ist ein permanentes Abtasten der Grenzen." Als sie das Land schließlich wieder verließ, fühlte sie sich "süchtig nach Luft und gutem Essen, einem heißen Bad und guter Musik".

2007 sorgte sie mit der Reportage "Feuertod" über afghanische Frauen, die sich selbst verbrennen, für Aufsehen. Ein Jahr später wechselte sie zum ZDF, wo sie das Team des "heute-journals" verstärken sollte. Doch mehrere Monate später gab RTL wieder ihre Rückkehr bekannt. Einen weiteren Ausritt zu anderen Arbeitgebern gab es für Rados nicht. Sie blieb RTL bis zu ihrer Pensionierung 2022 treu. Bis dahin lieferte sie aber noch zahlreiche Reportagen und Dokumentationen ab - etwa "Unter Piraten", für die sie als erste TV-Journalistin in einer somalischen Piratenhochburg recherchierte oder "Das Doppelleben des Diktators - Antonia Rados auf den Spuren des Vergewaltigers Muammar al-Gaddafi". Letzteren traf sie 2011 zu einem seiner letzten Interviews vor dessen Tod.

Tägliche Grauzonen

Im Frühjahr 2022 war sie noch in der Ukraine im Einsatz. Weiterzumachen reizte sie aber nicht. "Ich glaube, es ist ein Konflikt, der leider nicht in zwei Monaten zu Ende ist. Das hieße noch einige Jahre meine Pension verschieben." Was sie in all den Jahren gelernt hat? "Die Welt ist grau, die Welt des Krieges ist grauer, als wir es uns vorstellen. In allen Konflikten gab es täglich Grauzonen." Und: "Man kann alles daheim vergessen, außer das Geld. Mit Geld kriegen Sie im Krieg alles."

Für ihre Arbeit wurde Rados vielfach ausgezeichnet. Bereits 1991 wurde sie für ihre Berichte über den Umsturz in Rumänien vom Dezember 1989 zur "Frau des Jahres" gewählt. 2003 erhielt sie den Deutschen Fernsehpreis für ihre Irak-Berichterstattung. Im selben Jahr wurde sie zudem mit einer Romy für ihre Dokumentation "Unser Freund Saddam" geehrt. Auch den Robert-Geisendörfer-Preis, den Bayerischen Fernsehpreis, die Rainer Hildebrandt-Medaille, den Hans-Oelschläger-Preis und die Goldene Medienlöwin kann sie ihr Eigen nennen.

Abseits ihrer TV-Tätigkeit verfasste sie mehrere Bücher. In "Die Bauchtänzerin und die Salafistin" gab sie Einblick in den Alltag einer zutiefst religiösen Muslima in Kairo, deren Schwester als Bauchtänzerin arbeitet, womit sie letztlich die komplexe ägyptische Gesellschaft nachzeichnete. Im Vorjahr erschien ihr jüngstes Buch "Afghanistan von innen: Wie der Frieden verspielt wurde".

Über ihr Privatleben hält sich Rados weitgehend bedeckt. Sie betont jedoch, dass es ihr wichtiger als der Krieg sei. "Ich habe zu viele Kriegsberichterstatter getroffen, deren Privatleben Opfer ihres Berufes wurde. Das wollte ich nie", so die Journalistin mit Wohnsitz in Wien und Paris. (APA, 9.6.2023)