Der Wandel ist erst im Gange. Der Wahlspruch "Milo. Wer sonst?" ist noch immer auf Plakaten in ganz Montenegro zu sehen, obwohl Milo Ðukanović, der Mann, der die Geschicke des Landes für mehr als 30 Jahre prägte, bereits Anfang April als Präsident abgewählt wurde. Sein Nachfolger, der 36-jährige Jakov Milatović von der Partei "Europa jetzt", ist bereits in das weiße Präsidentenpalais in Podgorica eingezogen.

Sein Parteikollege Milojko Spajić will nun Regierungschef werden, und die Umfragen für die Parlamentswahl am Sonntag sehen für "Europa jetzt" gut aus, obwohl eigentlich keiner so genau weiß, wofür die Partei, die erst im Vorjahr gegründet wurde, eigentlich steht. Die jungen Männer, die die Führung übernommen haben, kommen aus dem Finanz- und Wirtschaftssektor, und sie denken auch ähnlich wie Banker. Spajić selbst hat zudem eine serbische Staatsbürgerschaft. Er kann nicht Premier werden, solange diese von den serbischen Behörden nicht zurückgenommen wird. Insofern ist er auch von Serbien abhängig.

Die Partei "Europa jetzt" will künftig regieren.
REUTERS/Stevo Vasiljevic

Von den USA unterstützt

Sicher ist, dass "Europa jetzt" von US-Vertretern unterstützt wird und dass eine Regierung ohne Ðukanovićs Partei DPS gebildet werden soll, wie sie bereits in den vergangenen Jahren ab 2020 an der Macht war. Bisher hat diese Koalition auch mit Unterstützung der proserbischen und Pro-Kreml-Parteien in Montenegro regiert. Die haben nun den Namen ihrer Partei geändert, aber nicht ihr Programm oder ihre Ideologie. Möglicherweise wird die neue Regierung unter Führung von Spajić wieder mit diesen Kräften zusammenarbeiten, was angesichts des Krieges des Kreml gegen die Ukraine auch geopolitische Implikationen für den Nato-Staat Montenegro hat.

Wahlplakate dominieren das Straßenbild in Podgorica.
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Der proserbische Block hatte bei der Parlamentswahl im August 2020 sogar 32 Prozent der Stimmen erhalten und besetzt nun viele Bürgermeisterämter. Das hat schwerwiegende Auswirkungen. Der Bürgermeister von Pljevlja etwa, Dario Vraneš, forderte jüngst alle Direktoren kommunaler Einrichtungen und Unternehmen auf, die serbische Trikolore auf den Gebäuden anzubringen. Jeder tugendhafte Mensch in Montenegro sei dafür, dass "die Trikolore für immer auf dem Gemeindegebäude von Pljevlja hängen wird", sagte der Bürgermeister.

Revisionismus und Retraditionalisierung

"Wir waren für einen Wechsel in der Politik", meint Daliborka Uljarević vom Zentrum für zivile Bildung in Podgorica. "Aber jetzt haben wir Revisionismus und eine Retraditionalisierung der Gesellschaft." Der nun betriebene serbische Nationalismus dringe in die Tiefenschichten der Gesellschaft ein. Das bringt neue Hasssprache zum Vorschein.

Ende Mai skandierten Anhänger eines Fußballvereins "Messer, Draht, Podgorica". Der Slogan ist eine Abwandlung von "Messer, Draht, Srebrenica", mit dem der Völkermord an bosnischen Muslimen (Bosniaken) rund um die bosnische Stadt Srebrenica im Jahr 1995 verherrlicht wird. Die Fans des Fußballvereins kamen aus Nikšić, einer Stadt unter der Führung eines prorussischen Bürgermeisters. Übrigens wurde genau dieser Bürgermeister 2021 verhört, weil ihm vorgeworfen wurde, den Völkermord in Srebrenica zu leugnen.

Auf Serbien ausgerichtet

Die Politiker von "Europa jetzt" gehen jedenfalls vermehrt auf die Wünsche des Regimes des Nachbarstaats Serbien unter Aleksandar Vučić ein und orientieren ihre Erinnerungspolitik an dem Narrativ, das Belgrad wünscht.

Und auch Dritan Abazović, der die vergangenen Monate als Premier fungierte, kam offensichtlich stark unter den Einfluss von Vučić. Die familiären Verbindungen sind ebenso eng. Der Bruder von Dritan Abazović, Džihan Abazović, ist mit der Partnerin der serbischen Premierministerin Ana Brnabić, Milica Đurđić, am Belgrader Biocell-Spital tätig. Dritan Abazović setzte sich auch dafür ein, dass Montenegro dem Vučić-Projekt Open Balkans beitritt, obwohl das ein Konkurrenzprojekt zum deutschen Berlin-Prozess ist.

Geheimdienstchef entlassen

Seit Abazović den Geheimdienstchef Savo Kentera vergangenen Oktober ohne Angabe von Gründen entlassen hat, fragen sich viele, für wen Abazović eigentlich arbeitet. Der Geheimdienst hatte nämlich zuvor ein russisches Spionagenetzwerk in Montenegro mit 35 Agenten aufgedeckt. "Lassen Sie niemanden denken, dass Russland, Serbien oder irgendjemand sonst, der nicht viel von diesem Land hält und es nicht als Teil der westlichen Welt sehen möchte, in der Lage sein wird, in Montenegro seine Tentakel wachsen zu lassen, und dass wir das erlauben werden. Wir werden es nicht tun", sagte Kentera nach seiner Entlassung.

Obwohl Abazović offiziell auf Korruptionsbekämpfung setzte und auch einige hochrangige Vertreter der organisierten Kriminalität sowie Polizisten und Politiker verhaftet wurden, sind die Reformen, die für einen EU-Beitritt notwendig wären, nur spärlich erfolgt. Insbesondere bei der Reform der Justiz wurden kaum Fortschritte erzielt. Vielmehr hat der Premier einen Vertrag mit der serbisch-orthodoxen Kirche abgeschlossen. Abazović wird wahrscheinlich auch Teil der neuen Regierung sein.

Serbische Orthodoxie gewinnt Einfluss

Die Kreml-orientierte nationalistische serbisch-orthodoxe Kirche hat in Montenegro seit dem Machtwechsel 2020 an Einfluss gewonnen. Die serbische Orthodoxie unterstützt in Montenegro antiwestliche Kräfte, die gegen die Nato auftreten. Gleichzeitig werden jene Kräfte geschwächt, die eher für ein Montenegro sind, das von Serbien ganz unabhängig agiert.

Aber auch die Oppositionsparteien versuchen sich nun zu reformieren und jüngere Leute ins Rennen zu schicken. Die DPS von Ðukanović hat bei allen vergangenen Wahlen sukzessive verloren. Zahlreichen Vertretern der DPS wurde Korruption vorgeworfen, die DPS steht aber auch für ein von Serbien unabhängiges und selbständig agierendes Montenegro. (Adelheid Wölfl, 11.6.2023)