Im Gastblog berichtet der Historiker Petr Maťa über eine verpatzte Amtsträgerwahl im niederösterreichischen Herrenstand und über Schwierigkeiten, denen sich die ständische Gesellschaft beim Wählen gegenübersah.

Am 18. Mai 1656 schritten 38 Mitglieder des Herrenstandes – also des hohen Adels – im Niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herrengasse zur Nachbesetzung einer der Verordnetenstellen. Die geheime Wahl wurde zur Blamage. Wie kam es dazu?

Ständische Verordnete im Land unter der Enns, dem Herzland der Habsburgermonarchie, gab es damals sechs, je zwei aus dem Prälaten-, dem Herren- und dem Ritterstand. Mitglieder des Vierten Standes, der landesfürstlichen Städte und Märkte, waren in diesem Gremium nicht vertreten. Den drei sogenannten oberen Ständen verpflichtet, besorgten die Verordneten kollektiv die vielfältigen laufenden Geschäfte der "Landschaft" (so die zeitgenössische Bezeichnung der Landstände) – von der Signierung von Zahlungsanweisungen über die Steuerexekution bis zur Verteilung kleiner Geldgeschenke an Bittsteller. Die Verordneten wurden für eine mehrjährige Amtszeit gewählt. Die Stellen waren gut dotiert und mit viel Einfluss verbunden. Es waren landesweit verlangte Durchgangsstationen in adeligen Karrierewegen. Daher waren die Verordnetenwahlen oft Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen.

Gedruckte Beschreibung des niederösterreichischen Herrenstandes zur einer Verordnetenwahl am 24. April 1616.
Gedruckte Beschreibung des niederösterreichischen Herrenstandes zur einer Verordnetenwahl am 24. April 1616.
Foto: Petr Maťa. Niederösterreichisches Landesachiv, St. Pölten, Ständische Akten, A.2.3–5.2.

Katholische Verordnete durch lutherische Wahlstimmen

Im 16. Jahrhundert hatten die Protestanten im Verordnetenkollegium die Mehrheit. Mit der Gegenreformation wurde das Gremium zum umkämpften Terrain. Zunächst errangen die Katholiken eine konfessionelle Parität, dann gerieten die protestantischen Verordneten in die Minderheit. Im Gegensatz zu anderen österreichischen Ländern wurde zwar der protestantische Adel aus Niederösterreich nicht ausgewiesen, seine Spielräume wurden jedoch graduell beschränkt. Kaiser Ferdinand III. ordnete 1652 und 1654 an, die letzten beiden protestantischen Verordnetenstellen mit Katholiken zu besetzen.

Doch die immer noch zahlreichen Protestanten im niederösterreichischen Landtag konnten nach wie vor wahlentscheidend wirken. Das musste 1654 der Hofkriegsrat Johann Georg Adam von Kuefstein zur Kenntnis nehmen, der glaubte, sich vor der damals anstehenden Verordnetenwahl einige Dutzend Stimmen gesichert zu haben, darunter die Unterstützung zahlreicher Lutheraner. Als jedoch Erasmus Graf von Starhemberg, der Doyen unter den Protestanten, in der Wahlversammlung seine Hoffnung äußerte, der Kaiser werde in zwei Jahren wieder einen protestantischen Verordneten zulassen, entzogen die Protestanten Kuefstein einmütig ihre Unterstützung und verlängerten lieber die Dienstzeit des derzeitigen katholischen Verordneten, Albrecht Freiherrn von Zinzendorf, um zwei weitere Jahre. Von den 59 anwesenden Standesgenossen, aus denen Kuefstein vor dem Wahlgang noch 38 zu seinen Unterstützern gezählt hatte, sprachen sich schließlich nur 17 für ihn aus.

Eine geheime Wahl als Konfliktlösung

Die Wahl wurde, wie damals in ständischen Versammlungen üblich, in der Form der sogenannten Umfrage durchgeführt: Ein Adeliger nach dem anderen, beginnend mit den Ältesten und Prominentesten, führte seine Argumente für den aus seiner Sicht bestgeeigneten Kandidaten vor dem Plenum aus. Das Verfahren war transparent, doch Wählende gerieten unter Rechtfertigungsdruck. Um die freie Wahlentscheidung zu fördern und dadurch Konflikten und Manipulationen bei den Wahlen künftig vorzubeugen, beschlossen die Stände nunmehr, dieses Verfahren durch eine geheime Wahl zu ersetzen.

So wählten im Mai 1656 die 38 versammelten Herren zum ersten Mal mit Stimmzetteln, und der vorsitzende Landmarschall erklärte diesmal Graf Kuefstein mit der relativen Mehrheit von 14 Stimmen zum Wahlsieger. Sein Gegenkandidat, Johann Franz von Lamberg, kaiserlicher Kämmerer und niederösterreichischer Regimentsrat, soll mit 13 Stimmen knapp unterlegen sein. Doch drei Tage später legte Lamberg eine Erklärung von 15 am Wahlgang beteiligten, eigenhändig unterschriebenen Herren vor, die alle beteuerten, ihm die Stimme gegeben zu haben. Dem Landmarschall wurde vorgeworfen, die Ergebnisse der Wahl vertauscht und Kuefstein eine Stimme zu viel zugerechnet zu haben. Außerdem sei eine ominöse Stimme verloren gegangen.

Erklärung von 15 niederösterreichischen Herren, sowohl Katholiken als auch Protestanten, dass sie in der geheimen Verordnetenwahl ihre Stimmen für Johann Franz von Lamberg abgaben: "Daß wür zu endt unterschribene bey jüngster den 18. Maii 1656 vorgenombener verordnetenwahl unßere schrifftliche vota auf herrn Hannß Franzen von Lamberg freyh(errn) gegeben, bezeügt unßer hierunter gestelte handtschrifft. Wienn, den 21. Maii 1656igsten jahrs."
Foto: Petr Maťa. Niederösterreichisches Landesachiv, St. Pölten, Herrenstandsarchiv, XIII, Verordnetenwahl 1656, fol. 1r.

Rückkehr zur mündlichen Wahl

Als Nachspiel fand wenige Wochen später in der Herrenstube des Landhauses ein heftiger Wortwechsel der beiden Parteien statt. Landmarschall Ernst Graf von Traun, die einzige Person, die Überblick über das Wahlergebnis hatte, rechtfertigte sich, er habe die Stimmen richtig gezählt. "Technische Fehler" gestand er indes zu. Eine oder zwei Stimmen dürften neben den Hut des Sekretärs (der als Wahlurne diente) gefallen sein. Unter dem Tisch wurden hinuntergeworfene oder -gefallene Stimmzettel gesichtet. Gegen eine Wahlwiederholung sperrte sich Traun jedoch mit seiner vollen Autorität und drohte mit einem Rekurs an den Hof. Eine Einmischung des Landesfürsten in interne Angelegenheiten des Herrenstandes schien jenen, die gegen die Wahl protestiert hatten, gefährlich. Sie fanden sich damit ab, dass Lamberg eine Genugtuung erhielt. Mutmaßlich erhielt er die Zusicherung, bei der nächsten Gelegenheit zum Verordneten gewählt zu werden.

Die Spannung löste sich schließlich von selbst, als Kuefstein wenige Wochen nach seinem Amtsantritt plötzlich starb. Im Jänner 1657 wurde Lamberg tatsächlich von 69 anwesenden Herren fast einstimmig zum Nachfolger gewählt – allerdings nicht mehr in einer geheimen Wahl. Der skandalöse Vorfall hatte die neue Wahlpraktik diskreditiert, und beide Adelsstände einigten sich bereits im Dezember 1656 darauf, von der Wahl mit Stimmzetteln, die "mehr schädlich als nützlich" und in keinem der österreichischen Länder gebräuchlich sei, Abstand zu nehmen. Künftig wurde sie daher nur mehr im (wenig zahlreichen) Prälatenstand praktiziert.

Die Wahlordnung, die die drei oberen Stände des Landes Niederösterreich am 9. Dezember 1656, nach der Blamage mit der geheimen Wahl, verabschiedeten und im Druck vervielfältigen ließen, sah vor, dass die Amtsträgerwahlen im Herren- und Ritterstand künftig "nicht mit Zettlen / sondern Mündtlich fürgehen" sollen.
Foto: Petr Maťa. Niederösterreichisches Landesachiv, St. Pölten, Herrenstandsarchiv, V/1.

Wahlmänner, Dreiervorschlag und Kugelwahl

Die Rückkehr zur öffentlichen Wahl durch Umfrage verhinderte aber mitnichten "schädliche factionen", wie man unerwünschte Parteienbildungen zeitgenössisch nannte. Infolge weiterer Wahlskandale erprobte zunächst der Ritterstand am 11. Mai 1662 einen ausgeklügelten Wahlvorgang: Zunächst bestimmte die Wahlversammlung 24 Mitglieder, die aus ihrer Mitte 15 Standesgenossen selektierten. Diese stellten daraufhin einen Dreiervorschlag zusammen und reduzierten die Zahl der Wahlmänner weiter auf sieben, die dann aus dem Dreiervorschlag den künftigen Verordneten wählten.

Eintrag im Protokoll des niederösterreichischen Ritterstandes über die Selektierung von 24 Wahlmännern anlässlich der Verordnetenwahl am 11. Mai 1662.
Foto: Petr Maťa. Niederösterreichisches Landesachiv, St. Pölten, Ritterstandsarchiv, Handschriften 4, pag. 170–171.

Praktiziert wurde dieses Wahlverfahren ebenfalls nur einmal. Im September 1662 adaptierte es der Herrenstand, sodass nunmehr sofort 15 Wahlmänner bestimmt wurden, die einen Dreiervorschlag erarbeiteten und anschließend daraus durch Kugelung ("Ballotage"), also eine geheime Wahl mithilfe verschiedenfarbiger Kugeln, den nächsten Verordneten wählten. Dieses Wahlverfahren blieb dann jahrzehntelang in Verwendung, trug zur Beruhigung bei und brachte einige Dutzend Adelige auf die Verordnetenstellen. Aus anderen österreichischen Ländern, in denen ständische Verordnete nach wie vor öffentlich per Umfrage gewählt wurden, gelangten nach Wien wiederholt Nachrichten über Parteienbildungen, Kampfabstimmungen, Wahlanfechtungen, das als verboten geltende, aber häufig praktizierte Sammeln von Stimmen und andere Missbräuche.

Der Umgang mit Amtsträgerwahlen ist vielfach aufschlussreich für ein Verständnis sozialer Machtverhältnisse und politischer Kultur (nicht nur) vormoderner Gesellschaften. Wie die angeführten Beispiele aus den niederösterreichischen Verordnetenwahlen um die Mitte des 17. Jahrhunderts zeigen, waren vormoderne Wahlpraktiken im landständischen Bereich, aber auch in der Kirche, in Städten ­und in Universitäten, vielfältig, sie sind aber gerade in Österreich wenig erforscht. Deren genauere Untersuchung im regionalen Vergleich und quer durch die Jahrhunderte wäre, gerade was die Geschichte Österreichs betrifft, sicher lohnend. (Petr Maťa, 9.6.2023)