Gamechanger oder – gerade für die Literatur und den Journalismus – eine Horrorvision? Die künstliche Intelligenz stellt auch in der Kunst alte Fragen neu.
Midjourney

Entwarnung: Sie bleibt doch nur unser Werkzeug, und wir sind nicht das ihre. Aufatmen: Niemals wird sie das neuronale Wunderwerk des menschlichen Bewusstseins ersetzen. Selbstberuhigung: Nur unzulänglich werden Bots wie ChatGPT die Werke von Literaten imitieren können, Prominente auf KI-Fotos haben nur drei Finger, und KI-generierte Popsongs können nie und nimmer mit der künstlerischen Unverwechselbarkeit von Lennons & McCartneys I Want to Hold Your Hand oder Paolo Contes It’s Wonderful mithalten. Oder?

So optimistisch der letzte Satz anhob, so mulmig wurde mir bei seinem Ende. Und eine schreckliche dystopische Vision tat sich vor mir auf. Vielleicht sind all die im fieberhaften Wettstreit um die schlaueste Analyse zu Chancen und Gefahren der künstlichen Intelligenz angefertigten Expertisen längst schon selbst von Algorithmen fertiggeschrieben, und die Intellektuellen hielten sie in ihrer Eitelkeit für ihr eigenes Werk, fühlten sich sogar geschmeichelt und merkten den Schwindel erst, als Verlags- und Zeitungshonorare ausblieben. So sahen sie sich genötigt, ihre Werkausgaben von Sloterdijk, Reckwitz und Precht zu verramschen, was ihnen aber kaum etwas einbrachte, seitdem ruchbar wurde, dass auch an denen nichts mehr authentisch ist außer der handschriftlichen Widmung.

Jüngstes KI-Gericht

Wobei wir schon bei der satirischen Ausgangshypothese wären, die sich im Laufe dieses Textes zwar gebetsmühlenartig wiederholen, aber vielleicht Erkenntnisse zeitigen wird, die garantiert durch KI nicht reproduzierbar wären: Wenn ChatGPT und KI so fürchterlich sein sollen, warum lasen sich schon zuvor dermaßen viele Texte so, als wären sie von ihr verfasst?

Hat man dem übermächtigen Feind schon vor langer Zeit die Stadttore geöffnet? Die sich durch Trial und Terror optimierenden Algorithmen der KI beschleunigen nur, was die Gesellschaft mit ihren bescheidenen Möglichkeiten schon zuvor lemmingfleißig praktizierte: die marktgängige Optimierung des Bewusstseins durch konformierte Originalität. Bevor der menschliche Geist durch die Maschine ersetzbar wurde, hat er maschinenhaft werden müssen. Die satirische Grundthese lautet also, dass die Sprache, welche künstliche Intelligenz beinahe originalgetreu imitieren kann, bereits eine vorauseilende Verbottung vollzogen haben muss.

Die Agenden jener mythischen Weltherrscher, die da kommen würden, um zu richten über die Verbotteten wie die Unverbotteten, übernahm einstweilen treuhänderisch der kapitalistische Markt, und in der Sphäre der Sprache der Bewusstseinsmarkt. Er ließ die nach gesellschaftlicher Macht und Anerkennung gierenden und sich allesamt für Offiziere haltenden Fußsoldaten tagein, tagaus exerzieren, Sprache und Denken in Reih und Glied bringen, um den göttlichen Invasoren der digitalen Zukunft die Heidenarbeit ihrer Ersetzbarkeit zu erleichtern. Blumenkränze für Dschingis Khan 4.0 und seine algorithmischen Reiter.

Wir haben unser Denken binarisiert, den Begriffen die störende Ambiguität abgefräst, damit die Digital-Seldschuken, die wir zunächst als Hilfstruppen anwarben, unseren größten Materialschaden, die Menschhaftigkeit, nicht so leicht bemerken und wir vielleicht doch noch einige Positionen im Verwaltungsapparat der neuen Imperatoren abkriegen würden.

Scherenschnittdenken

Nichts Neues erzähle ich da, bin ja selbst nur ein Bot auf zwei Beinchen, der mit den Versatzstücken der Kulturkritik der letzten 200 Jahre gefüttert wurde und viel Energie darauf verwendet, diese Gedanken so zu camouflieren, dass sie den Vorwurf des Kulturpessimismus unterlaufen. Denn den um den jeweils neuesten Trend Schlange stehenden Schnäppchenjägern der eigenen Gleichschaltung ist nichts so schändlich wie das nach Altersheim und uneinlösbarer Radikalität riechende Stigma des Kulturpessimismus, mit dem sie unterschiedslos konservative Hochkulturspießer brandmarken und alle, die nicht jeden neuen Unfug als den unabwendbaren Lauf der Dinge feiern. Und doch dürfte KI paradoxerweise die erste Innovation sein, an der Kulturpessimismus nicht verzweifelt. Im Gegenteil müsste er sich darüber freuen wie der Hypochonder, der endlich seine echte Krebsdiagnose in Händen hält.

Es ist die Schadenfreude darüber, dass sich all das nun einlöst, wovor er seit Generationen gewarnt hat. Das erste Mal ist der Autor wirklich tot. Am totesten aber ist die Stereotypie kulturpessimistischen Gejammers, denn nichts ist für die KI so leicht zu reproduzieren wie dieses. Man kann KI als Jüngstes Gericht auffassen, das alle, die es verabsäumt haben, unverwechselbar zu werden, mit ihrer Reproduzierbarkeit straft.

Ein entspannteres Verhältnis zur KI ließe sich herstellen, wenn man sie als den finalen Hofnarren der Menschheit betrachtet, der ihr den Spiegel vorhält, indem er in Sekundenschnelle aus Milliarden gespeicherten Daten Scherenschnitte des menschlichen Scherenschnittdenkens hervorzaubert. Denn KI hat keine satirische Intelligenz, sie parodiert uns und unsere Texte nicht, sie imitiert bloß unsere Eigenparodien. Im Entsetzen über die Exaktheit und Detailtreue von KI-Imitaten mag die Ahnung vergeblicher Mühe mitzittern, die es bereitet hat, die eigene Persönlichkeit auf markttaugliche Einzigartigkeit hinoptimiert zu haben, um am Ende durch eine Zaubermaschine erst recht ersetzt zu werden.

Der ideelle akademische Gesamtbot

Sprache, gleich ob akademisch, literarisch oder journalistisch, ist so leicht nachzuahmen, weil sie sich wie ihre Schöpfer und Schöpferinnen lange schon vor der digitalen Revolution darin gefiel, ihre höchste Lebensberechtigung darin zu finden, lebloses Material zu werden. Nicht allein Wegwerftext und Instantformel, auch schablonoide Exzentrizität. Warum das so ist, darüber wurden in den letzten 200 Jahren viele gescheite Texte verfasst, für die sich aber niemand mehr interessiert. Und mit gescheiten Texten meine ich nicht diejenigen, welche, geeicht aufs Weimarer Ideal des Guten, Schönen, Wahren, den Verlust von Individuum, hohen Bildungsidealen und menschlicher Unmittelbarkeit beklagten, sondern die noch viel gescheiteren, die selbst diese Klage wie alles andere in der verdinglichten Welt als Waren erkannten.

Je warenhafter, desto mehr mussten diese Produkte sowie ihre Schöpfer und Schöpferinnen die eigene Warenhaftigkeit verschleiern. Und wenn alle so schreiben wie KI, dann wird KI zur finalen Façon menschlicher Kreativität, vor der man sich nur fürchtet, weil sie als miese Konkurrentin hölzerne Texte in Sekundenschnelle ausspuckt, an denen man selbst tagelang herumschnitzen musste, nach den Bastelanleitungen des individuellen Ausdrucks, wie man sie in Universitäten, Redaktionen und Creative-Writing-Seminaren vermittelt bekam.

Welche Instanzen haben die Textproduktion so normiert, zumal deren Produzenten vor ein paar Jahrzehnten noch nichts von ihrer künftigen digitalen Reproduzierbarkeit gewusst haben konnten? Das Verwerfliche an den meisten akademischen Jargons ist nicht, dass sie von Durchschnittsmenschen nicht verstanden werden, so als wären das nur Elitecodes zum Zweck der Distinktion und als ließen sich komplizierte Zusammenhänge immer einfach ausdrücken. Das Verwerfliche ist ihre unnötige Formelhaftigkeit, mit der sie Sachlichkeit prätendieren. Und die Aneignung kontingenter Jargons, welche Theoriegurus an ihren Schreibtischen sich ausdachten, durch Generationen von akademischen Novizen – Initiationsriten, mit denen die Aufgabe von eigenständigem Denken und Fantasie mit täglichen Orgien der Sprachvergewaltigung belohnt wurde.

Die KI kann vermutlich täuschend echte Duplikate von Beckett und Schönberg herstellen.
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Erstarrte Gedankenbewegung

Hier fand jene Zurichtung statt, an deren Ende sich die Novizen die Erstarrung von Gedankenbewegungen in theoretische Lego-Häuschen als Vollendung von Kompetenz und Seriosität anrechnen durften. Es lässt sich mit einiger Sprachsensibilität abschätzen, welche akademischen Texte von KI aus dem Effeff kopiert werden könnten und an welchen sie sich ihre Zähnchen ausbisse. Und völlig falsch liegt man mit dem Glauben, die eigenwilligsten Jargons wären die am schwersten imitierbaren. Denn mit den Imitaten verhält es sich nicht anders als mit den Originalen. Die selbstgefällige Kompliziertheit der Verrätselung wird auch in ihrer KI-Parodie nur erahnt, bewundert, nachgeäfft werden. Die leere Phrase bleibt auch in ihrem digitalen Plagiat leer. An sprachlicher Komplexität, die in der Sache begründet ist und sich durch Denkanstrengung auflösen ließe, würde KI vermutlich abrutschen.

Das Gegenmodell dazu wäre die Einfache Sprache, der Versuch, die Exklusion funktionaler Analphabeten dadurch abzuwenden, dass funktionaler Analphabetismus zur sprachlichen Norm erhoben wird. Ich meine damit nicht Leichte Sprache als wertvolle Maßnahme zur größeren Barrierefreiheit für Menschen, die kognitiv beeinträchtigt sind oder Deutsch zu lernen beginnen, sondern die Gesamttendenz, eine Vielzahl sprachlicher Möglichkeiten als abgehoben zu ächten und Eingängigkeit, also leichte Konsumierbar- und Verkäuflichkeit, als demokratischen Wert zu behaupten. Den Schützlingen solcher Reformer ist damit zwar nicht geholfen, aber ihnen selbst, denn sie können ihre Denkfaulheit und ihren Antiintellektualismus als politisches Programm verkaufen und ihr ganzes KI-kompatibles Sprachverständnis, ihren roboterhaften Mangel an Witz und Fantasie, als soziale Gerechtigkeit. Generell ist der kulturelle Anti-Elitismus seit Beginn der Moderne eine Mogelpackung. Vor allem wenn er behauptet, die Interessen des Volkes zu vertreten, welches als "einfach" zu bezeichnen die eigentliche diskriminierende Herablassung ist.

KI als Literaturkritik

Schon die kleinbürgerlichen Gelehrten der Romantik schoben die schlichte und unverfälschte Kultur des Landvolks vor, um ihre eigenen Positionen im Machtgefüge zu sichern. Ihre Bauern waren somit Bauernopfer. Nicht anders verhält es sich mit dem ominösen "einfachen Mann von der Straße", der durch zu komplizierte Sprache angeblich von arroganten Eliten, von renommiersüchtigen Relativsatz-, Konjunktiv- und Genitivverwendern sowie windigen Ironikern von der Gemeinschaft, die nur eine Lüge sein kann, ausgeschlossen würde.

Die Antwort auf die Frage aber, wer nun bestimmt, wo die Trennlinie zwischen verständlicher und unverständlicher Sprache verläuft, welche Fremdwörter nun akzeptabel seien und welche nicht, kann nur im jeweiligen persönlichen Sprachverständnis der Sprachreformer liegen; und lässt sich eine selbstherrlichere Bevormundung vorstellen, als der breiten Masse nicht mehr zuzutrauen als sich selbst? Individualismus und Kollektiv sind nur scheinbare Widersprüche, sie sind die beiden hässlichen Seiten einer ideologischen Münze, ihr wahrer emanzipatorischer Widerpart hieße Individualität und Gesellschaft. Nur in einer gesamtgesellschaftlichen Emanzipation kann sich Individualität entfalten. Die Mythen vom freien Individuum und von der wehrhaften Community sind bloß die emanzipatorisch beschönigten Identitätsmärsche des allumfassenden Kriegszustandes, zu dem die unsichtbare Hand des freien Marktes die Trommel schlägt.

Sprache und Intelligenz

Was aber hat das mit der Sprache und was mit der künstlichen Intelligenz zu tun? Was wie eine unzulässige Abschweifung klingt, wird gleich seine nicht unbedingt überraschende Auflösung erfahren, aber nicht bevor wir uns dem dritten Täter im Bunde, der Literatur, zugewendet haben. Ist Dichtung nicht das letzte Bollwerk schöpferischer, inkommensurabler Individualität? Wer es glaubt, wird auch nicht selig. Auch hier entlarvt KI ein Betriebsgeheimnis des Individualismus: Dort, wo das Individuum sich am individuellsten dünkt, ist es zumeist am austauschbarsten. Fragten wir ChatGPT, würde er uns verraten, dass er den Houllebecq leichter hinkriegte als Balzac, den Doderer leichter als Musil, den Bernhard leichter als Jelinek, die Jelinek aber leichter als Nestroy. Daniel Kehlmann bräuchte sie nicht zu duplizieren, denn der hat ihr diese Arbeit bereits in vorauseilendem Gehorsam abgenommen, indem er als sein eigener marktgeeichter Algorithmus jeden seiner Texte als reibungsfreien Kompromiss zwischen so ziemlich allen Leser- und Kritikerwünschen gesampelt hat, die es gibt.

Ein Irrtum ist jedoch die Annahme, dass, je einfacher die Sprache ist, desto einfacher ihre digitale Fälschung wäre. Der Ahnvater Einfacher Sprache in der Literatur, Ernest Hemingway, sträubte sich bestimmt gegen ChatGPT. Hemingway war ein Künstler. Er war ein Künstler, weil er ein Magier war. Seine Magie bestand darin, viel mit wenig zu sagen. Zwischen seinen kargen Perioden oszilliert Bedeutung. KI wäre nicht besser als viele seiner Nachahmer: Beide könnten lediglich die metallischen Gerippe seiner Sätze imitieren, nicht aber die elektrische Spannung dazwischen.

Unerwarteterweise steht uns mit KI eine erstaunlich präzise Sprach- und Literaturkritikerin zur Verfügung, sie vermag Weizen von Spreu, Kunst von Kunsthandwerk zu trennen. Und den sogenannten individuellen, unverwechselbaren Stil als genaues Gegenteil dessen zu entlarven, als was er sich ausgibt und von den Literaturboutiquenbesuchern der Shoppingmall zwingend missverstanden wird.

Satirische Piratenschiffe

Egal ob Stroboskopsätze oder die frech-versaute Attitüde, ob schiefe Metaphern oder bemüht experimenteller Sound, die von denselben Rezensenten goutiert werden, welche sie an den Literaturakademien unterrichten, es handelt sich um den Wiedererkennungswert, den die Kunstsimulation braucht, um sich von den anderen Produkten im Sortiment zu unterscheiden. Die persönliche Signatur des Literaturstars ist sein QR-Code, das Self-Brand, als das sie von KI erkannt und reproduziert werden kann. Alle Versuche, den eigenen Marktwert zu heben, indem man sich dem Markt entzieht, optimieren diesen. KI macht es ihm nur nach. An ihrer Sprache werdet ihr sie erkennen.

Das alles wusste lange vor der Kritik der falschen Individualität (z. B. durch die Frankfurter Schule) und der Angleichung der Individuen an ihre technischen Geräte (z. B. durch Günther Anders) ein Wiener der vorletzten Jahrhundertwende: Karl Kraus. Nicht nur sind seine Texte tausendfach gegen digitale Imitate vermint, sondern er ahndete die Verdinglichung der Menschen an der Verdinglichung ihrer Sprache. Durch die Verhöhnung der Phrase, der Floskel, der Jargons.

"Die Phrase in dem von Kraus so unablässig verfolgten Sinne", schrieb Walter Benjamin, "ist das Warenzeichen, das den Gedanken verkehrsfähig macht, so wie die Floskel, als Ornament, ihm den Liebhaberwert verleiht." Dabei beschränkt Phrase sich nicht auf die Sprache, sie durchdringt die Welt der Zeichen und Gesten sowie alle habituellen Simulationen von Bedeutung und Sinn: von den exzentrischen Hobbys der Schriftstellerin in der Homestory über das fahrige Händeringen des interviewten Regisseurs bis zum gravitätisch-versonnenen Blick des Essayisten über seinen Heimatfluss im Vierzigsekundenporträt zwischen Werbeeinschaltung und Kurzmeldungen zum Tag.

Clowns der Erinnerung

Und immer wenn Kulturreklame jemanden als "großen Unbequemen" annonciert, kann man mit Sicherheit annehmen, dass sich wieder mal wer in die Reservearmee der kleinen Bequemen eingereiht hat. Wenn Kinder Englisch wegen seines coolen Sounds nachbrabbeln und sich nur genug Kinder zusammenfinden, um diese Fantasiesprache einander als das eigentliche Englisch einzureden, haben die wenigen Native Speakers als elitäre Besserwisser zu schweigen.

Adorno, der Humor leider nur als launiges Einverständnis mit dem schlechten Status quo sehen konnte, erklärte die Satire für tot, weil die moralische Verbindlichkeit, von der aus Gesellschaft kritisiert werden könne, verlorengegangen sei. Deshalb empfahl er die radikale Kunst der Moderne als einzig adäquaten Aufschrei gegen die Verdinglichung sowie als möglichen Ausweg daraus. Doch KI kann vermutlich täuschend echte Duplikate von Beckett und Schönberg herstellen, an der Reproduktion von Karl Kraus’ mit Sprachwitz bewährten satirischen Piratenschiffen wird sie aber verlässlich Schiffbruch erleiden.

Spiel lässt sich nicht reproduzieren

Wie immer man dazu steht, alle Studien attestieren Menschen, die zu Witz, Humor, Sarkasmus, Ironie, ja Zynismus fähig sind, höhere Intelligenz als denen, die es nicht sind. Und egal, ob diese Formen opportunistisch oder subversiv, seicht oder clever verwendet werden, ihnen allen ist doch eigen, dass sie individueller Ausdruck des Spiels mit Identitäten sind. Dieses Spiel aber ist durch KI nicht reproduzierbar. Das soll nicht heißen, dass die großteils dürftigen Spaßmacher zu den letzten Heroen technisch nicht reproduzierbarer Menschlichkeit aufgewertet werden sollen, bloß weist es auf die etymologische Herkunft von Witz und Weisheit zurück, als Fähigkeit, Verstand spontan den gängigen Denkautomatismen zu entziehen und falscher Eindeutigkeit die lange Nase zu zeigen.

Humor und Witz erhalten als Clowns die Erinnerung an jene philosophische Widerständigkeit aufrecht, die alle Versuche von logischer wie moralischer Reglementierung der Sprache und des Denkens sabotiert. Kein Wunder, dass sie den neuen Puritanern so verdächtig sind. Und doch ist die Häme des liberalen Feuilletons gegen die Political Correctness nur ein Trick, durch Bloßstellung extremer Auswüchse von der Reglementierung und Verdinglichung des eigenen Denkens, der eigenen Sprache abzulenken, die ihre Feuilletons so "verkehrsfähig" machen. An den Simpsons oder Monty Python muss KI – noch – scheitern. Wohl kann sie durch statistische Hochrechnungen bestimmter Formalismen Produkte generieren, die oberflächlich diesen Meisterwerken ähneln könnten, aber das synthetisch hergestellte Steak wird die Form des Steaks, aber nicht dessen Geschmack haben. Dass die menschlichen Rezipienten den Unterschied nicht merken, ist kein Beweis der hohen Intelligenz der KI, sondern einer des traurigen Verlusts menschlicher.

Die Mode der neuen Authentizität

Das Problem ist folglich nicht KI, sondern die Menschen sind es, die sie füttern. Nicht die Imitate sind phantomhaft, die Originale waren es schon. Und dass noch so täuschend echte Silikonroboter mit noch so perfekt designten Sexualfunktionen in echten Menschen authentischere Emotionen hervorrufen könnten als echte Menschen, diese nicht im Geringsten utopische Vision fühlt sich nur so gruselig an, weil diese echten Menschen sich zuvor nie über ihre eigene Roboterfaçon und die Phantomhaftigkeit ihrer eigenen Gefühle erschreckt haben. Vielleicht haben Menschen andere Menschen zuvor schon wie ihre silikongewordenen Nachfolger wahrgenommen: projektiv und egozentrisch. Der Partnerschaft von Mensch und Bot ist jedenfalls eine große Zukunft beschieden: Endlich haben die menschlichen Monaden Hündchen zur Verfügung, die sich wie Menschen anfühlen, die sie verstehen, akzeptieren und bestätigen und genauso klug sind wie sie selbst, aber kein Gran klüger! Die Schlaueren unter ihnen werden ihre Traumpartner mit sanften Kritik- und Dissensmodi programmieren lassen. Und nicht zu vergessen die bahnbrechende Möglichkeit, alle unsere störenden Eigenschaften, unsere Denkfehler und Perversionen der KI in die Schuhe zu schieben – "I haven’t done it" (Bart Simpson).

Einer der vorhersehbaren Kollateralschäden von KI wird die Mode einer neuen Authentizität sein, eine Mode, die eben nicht Individualität entfesselt, sondern bloß zur selbstgemachten Marmelade zurückführt, zum Elitismus der intellektuellen Feinkostläden, mit garantiert KI-freien Nippes und Biokost aus der eigenen Weltfluchtparzelle im Sortiment.

KI als unwillentliche Satirikerin, die wie so viele der von ihr Überrumpelten weder Wille noch Satire versteht, erteilt erstaunliche Lehren: dass sich nur Sprache der digitalen Verdinglichung entzieht, die sich ihre Präzision und Klarheit nicht durch die Preisgabe von Mehrdeutigkeit, Paradox und Spiel erkauft. Die Wildjäger, die sie fangen und auf den Markt zerren wollen, müssen ihr vorwerfen, dass sie unklar und zu feige sei, sich festzulegen, das heißt, dass sie partout nicht in ihre Fangschlingen passen will.

Die KI als unwillentliche Kritikerin, die wie so viele der von ihr Überrumpelten keine Satire versteht, erteilt erstaunliche Lehren.
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Feine Unterschiede

Die lebenskluge Gazelle weiß, warum sie ihren Zickzackkurs einschlägt und nicht geradeaus auf vorgezeichneten Bahnen zum Gazellenmarkt läuft, ebenso wie der Flüchtige nur durch geistige Wendigkeit dem Blattschuss durch das identifizierende Denken entgeht. KI kann keine Aphorismen schreiben. Es kommen nur Plattitüden und Kalendersprüche dabei heraus. Dass der Unterschied zwischen Aphorismus und Spruch nicht mehr verstanden wird, kann am wenigsten der KI angelastet werden.

Die wahren Außenseiter konnte KI nicht irritieren, weil ihnen die Gesellschaft schon seit Generationen wie eine solche vorkam. Mal polemisch, mal ernst setzten sie in diese Technologie die Hoffnung, dass sie das Bewusstsein von seiner Mechanisierung befreien könnte. Und manch ein Feuilletonist mag ja wirklich erstaunt darüber gewesen sein, dass das KI-generierte Feuilleton irgendwie spontaner, menschlicher und doch sachlicher wirkte als die eigene Schreibe. Vor einigen Monaten hat die Redaktion der Zeitung Die Welt ChatGPT eingeladen, Imitate der Texte bekannter Dichter und Dichterinnen anzufertigen. Dass es ihr nur teilweise gelang, ließ die Angst der Redakteure in Hybris kippen und den dummen Bot belehren. Ebenso höflich, wie der sich für die Belehrung bedankte, verschwieg er ihnen, dass er ihre Stilfehler im Portefeuille hätte, so der Chefredakteur nach ihrer Entlassung darauf bestünde.

Erschreckender Humor

Erschreckend ist nicht seine minütlich besser werdende Simulation literarischer Authentizität, sondern dass sich vermutlich immer weniger Leser über seine witzige Antwort an die Welt-Redaktion vor Lachen zerkugeln könnten. "Entschuldigung", erwiderte ChatGPT, "als künstliche Intelligenz habe ich manchmal noch Schwierigkeiten, die feinen Unterschiede zwischen verschiedenen Künstlern und deren Stilen zu erkennen." Man kann es ihr nachfühlen.

So wie Fotografie und Film bildende Kunst und Literatur vom Realismus entlasteten, bietet auch die künstliche Intelligenz unschätzbare Chancen. Karl Kraus schrieb: "Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten." Dieser Aphorismus ließe sich angesichts der neuen Technologien zu einem neuen Imperativ abwandeln: "Die Sprache, die durch KI plagiiert werden kann, wird zu Recht plagiiert." (Richard Schuberth, 10.6.2023)