Doskozil, Grubesa, Babler beim Parteitag am 3. Juni: Die rote Welt schien nach langen Querelen wieder in Ordnung zu sein. Zwei Tage später stand sie auf dem Kopf.
Doskozil, Grubesa, Babler beim Parteitag am 3. Juni: Die rote Welt schien nach langen Querelen wieder in Ordnung zu sein. Zwei Tage später stand sie auf dem Kopf.
Heribert Corn

Andreas Babler sitzt im Lokal sechs des Parlaments, es ist der Sitzungssaal des Bundesrats, neben ihm die Sozialdemokratin Korinna Schumann, vor ihm liegt sein Handy. Es leuchtet auf. Michaela Grubesa, die Leiterin der Wahlkommission, schreibt Babler, er möge sie bitte anrufen. Dringend. Es ist Montag, kurz vor 15 Uhr, im Bundesrat soll gleich über eine Petition zum Thema Lichtverschmutzung abgestimmt werden. Babler antwortet Grubesa, dass er gerade nicht könne. Er sei im Bundesrat beschäftigt.

Andreas Babler kann nicht ahnen, dass der Anruf sein Leben auf den Kopf stellen und für immer verändern wird.

Er müsse sie jetzt wirklich anrufen, habe Grubesa insistiert. Sofort. "Ich komm gleich wieder", sagt Babler zu Schumann. Er geht in die Säulenhalle des Parlaments und meldet sich bei Grubesa. Jener Frau, die zwei Tage zuvor auf der Bühne des Parteitags in Linz seine Niederlage im Kampf um den SPÖ-Vorsitz verkündet hat. Es sei "was Oages" passiert, habe sie erklärt. Ein Fehler. Die Delegierten hätten am Samstag nicht Hans Peter Doskozil zum SPÖ-Vorsitzenden gewählt, sondern ihn. Das Ergebnis sei falsch verkündet worden. Ernsthaft. Babler legt auf, wundert sich, geht zurück ins Lokal sechs und stimmt für die Petition gegen Lichtverschmutzung.

"Wos woa des jetzt?"
Bablers Gedanken, als er von den vertauschten Stimmen erfuhr

"Wos woa des jetz’?", habe er sich währenddessen gedacht. So schildert Babler selbst die Minuten, nachdem er still und leise zum Parteichef wurde. Recht geglaubt habe er die Nachricht zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Nach der Bundesratssitzung läuft er mit Schumann in die Klubräumlichkeiten der SPÖ, währenddessen erreichen Babler schon weitere SMS. Nachrichten von Landesvorsitzenden und hohen roten Funktionären; Glückwünsche, Freudenbekundungen. Um 15.33 Uhr gratuliert ihm Max Lercher, der Wahlkampfleiter seines Konkurrenten Hans Peter Doskozil – und der Lebensgefährte von Wahlkommissionsleiterin Grubesa.

Aufbruch nach Wien

Babler trommelt sein Team zusammen. Karin Blum, Bablers Frau und enge politische Beraterin, steigt in Traiskirchen in ein Taxi und macht sich auf den Weg Richtung Wien. Normalerweise fährt sie mit dem Zug in die Hauptstadt, wo sie auch arbeitet, doch dafür fehlt jetzt die Zeit. Zumindest wenn das alles tatsächlich wahr sein sollte.

Traiskirchen, wo Blum und Babler mit ihrer Tochter leben, ist eine niederösterreichische Kleinstadt im Speckgürtel von Wien. Babler ist dort seit fast zehn Jahren Bürgermeister, mit großem Erfolg: 71,53 Prozent der Stimmen bekam die SPÖ in Traiskirchen mit Babler bei der Gemeinderatswahl 2020 – obwohl dort das größte Flüchtlingsaufnahmezentrum Österreichs steht. Etwas mehr als eine halbe Stunde braucht man mit dem Taxi von Traiskirchen in die Wiener Innenstadt. Als Blum ankommt, fallen sie und ihr Mann einander in die Arme. Vielleicht ist es wirklich wahr?

Am Montag hält Michaela Grubesa die wohl schlimmste Pressekonferenz ihres Lebens: Sie verkündet, dass die Stimmen auf dem Parteitag falsch gezählt wurden.
Am Montag hält Michaela Grubesa die wohl schlimmste Pressekonferenz ihres Lebens: Sie verkündet, dass die Stimmen auf dem Parteitag falsch gezählt wurden.
APA/GEORG HOCHMUTH

Das Team von Hans Peter Doskozil ist zu diesem Zeitpunkt längst im Krisenmodus. Schon Montagvormittag ruft Grubesa Hans Peter Doskozil an, der zu diesem Zeitpunkt – so wie der Rest der Nation – davon überzeugt ist, SPÖ-Chef zu sein. Es gebe Ungereimtheiten, habe sie ihm gesagt. In der Löwelstraße, dem Sitz der roten Parteizentrale in Wien, seien die Stimmen noch einmal ausgezählt worden. Und womöglich habe doch Babler gewonnen, sagt Grubesa. Sie werden das nun prüfen, selbst noch einmal nachzählen und dann Bescheid geben.

Zuerst muss sie aber aus Bad Aussee anreisen, einer gut drei Stunden von Wien entfernten Kurstadt in der Steiermark. Sie sitze bereits im Auto, aber es werde alles noch etwas dauern.

Kurz darauf steht ein Team des ORF-Politikmagazins Report vor dem Landhaus in Eisenstadt, dem Sitz des burgenländischen Landeshauptmanns. Es ist ein Interview mit Doskozil vereinbart. Sein Sprecher vertröstet den Journalisten. Der Termin müsse verschoben werden. Um 11.30 Uhr hätte DER STANDARD einen Interviewslot mit dem neuen SPÖ-Chef – auch dieses Interview wird nie stattfinden. Doskozil sagt all seine Termine ab. Er wird erst um 16.30 Uhr vor die Medien treten und seinen Abtritt aus der Bundespolitik erklären.

Zittern beim Team Doskozil

Rückblende: Samstag, 3. Juni, 15.15 Uhr. Die Mitglieder der Wahlkommission stehen in einem Raum im Kellergeschoß des Designcenter Linz, wo der rote Sonderparteitag zur Klärung der Führungsfrage stattfindet. Ihre Handys haben sie abgegeben; 19 Kommissionsmitglieder, zwölf Wahlurnen, 602 auszuzählende Stimmen. Oben holen sich die Delegierten Sacherwürstel und Debrecziner; eine dreiköpfige Band, die als "Daniel, Benedikt und Alexander" angekündigt wurde, spielt Evergreens der vergangenen sechs Jahrzehnte. Den Piña-colada-Song. Sex on Fire. Hit the Road, Jack.

Zu Hey Ya grölen ein paar junge Gastdelegierte mit. Die sozialdemokratische Grande Dame Brigitte Ederer tänzelt. "Ich bin mir nicht sicher, dass es sich ausgeht", sagt jemand aus dem Team von Hans Peter Doskozil. "War ich nie."

Hans Peter Doskozils "Lebenstraum", die SPÖ zu führen, platzt nach rund 36 Stunden. Er wird am Montagvormittag über den folgenschweren Fehler bei der Auszählung informiert. Doskozil akzeptiert die Erkenntnis und sagt der Bundespolitik Lebewohl.
APA/HELMUT FOHRINGER

Im Keller werden zwei Urnen gemeinsam ausgezählt, alle anderen einzeln. Jedes Mitglied der Wahlkommission ist einer bestimmten Urne zugeordnet. Sind die Stimmen erfasst, gehen sie mit dem Ergebnis zur "Einmeldung" – zu einem IT-Mitarbeiter der SPÖ-Bundesgeschäftsstelle, der die Ergebnisse in eine Excel-Tabelle klopft. Den Gesamtüberblick über die Auszählung hat niemand.

Leiterin Michaela Grubesa steht neben dem IT-Mitarbeiter. Er soll ihr erzählt haben, dass er das Prozedere bereits kenne: von der Kampfabstimmung zwischen Michael Ludwig und Andreas Schieder um den Vorsitz der SPÖ Wien im Jahr 2018. Was er nicht dazusagt: Damals wurden die Teilergebnisse aus den Urnen auch händisch auf einem Zettel addiert.

"Das Bauchgefühl hat gesagt, es wird der Andi", beschreibt jemand, der im Raum war, die kollektive Stimmung während der Auszählung. "Aber die Erwartungshaltung war trotzdem klar", sagt ein anderes Kommissionsmitglied. "Fast jeder ist davon ausgegangen, dass Doskozil das gewinnt."

Zu rasch ausgezählt

Nur drei der elf Stapel mit Stimmzetteln gehen schließlich für den Burgenländer aus. Das muss nichts heißen: Wenn Babler bei neun Urnen knapp vorn liegt, Doskozil bei dreien aber deutlich, ist ein Sieg Doskozils möglich.

Es wäre aber ein Grund gewesen, noch einmal nachzuzählen, sagt ein Roter, der Erfahrung in Wahlkommissionen hat: "Die Leute würden ja nicht heimgehen, nur weil es länger dauert."

Nach 25 Minuten ist das Prozedere abgeschlossen: Excel spuckt Doskozil als Sieger aus. Manche im Raum seien überrascht gewesen, aber kein Kommissionsmitglied war ernsthaft verwundert. Eine Möglichkeit, schnell selbst nachzuzählen, haben sie nicht; alle elektronischen Geräte liegen gesammelt in einer Kiste, damit vorab keine Informationen nach außen dringen. Mit Papier und Stift wird die Addition nicht wiederholt. Wer rechnet schon händisch besser als ein PC?

Die Excel-Formel

Der IT-Mitarbeiter, der die Ergebnisse in der elektronischen Tabelle sammelt, hat die Macht über das Ergebnis. Und hat eines vergessen: Im Regelfall werden auf roten Parteitagen nicht Kreuzerln – also Stimmen – gezählt, sondern Streichungen. Normalerweise wird erfasst, wie viele Delegierte sich durch eine Streichung gegen einen Kandidaten aussprechen. Die dafür ausgelegte Einstellung der Excel-Kalkulation wird für die Kampfabstimmung nicht geändert. So wird jede einzelne Stimme fälschlich als Streichung gezählt – und wer bei zwei Kandidaten den einen streicht, der wählt den anderen. Bablers Stimmen werden zu Doskozils, Doskozils zu Bablers.

Von Anhängern beider Kandidaten werden derweil im Saal oben wüste Gerüchte gestreut: Es sei zu betrügerischen "Umdelegierungen" gekommen, heißt es von beiden Seiten – wobei das Fehlverhalten natürlich immer dem jeweils anderen Lager nachgesagt wird. Soll heißen: Funktionäre, deren Abstimmungsverhalten nicht im Sinne der eigenen Fraktionsspitze vermutet wurde, sollen ausgetauscht worden sein. Es wird gemutmaßt, dass es Absprachen gab, Versprechungen, Beeinflussung. Das Misstrauen ist groß.

Böse Gerüchte im Saal

Offiziell wird in den größten Landesorganisationen – von der SPÖ Wien wie auch der SPÖ Niederösterreich – beteuert, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Insgesamt seien von den Delegierten zum Parteitag 30 "umdelegiert" worden – ausschließlich aus nachvollziehbaren Gründen, wie etwa aufgrund personeller Veränderungen in den Ländern, heißt es offiziell.

Um 15.31 Uhr kommen Doskozil und Babler hinter der Bühne hervor. Sie haben gerade das Ergebnis erfahren. Vor allen anderen. Doskozil grinst. Babler lächelt verkrampft. Grubesa schreitet auf die Bühne, mit leerem Blick. Sie lässt sich ihre eigene Präferenz für Doskozil nicht anmerken. Mechanisch liest sie von einem Zettel, dass 601 Stimmen abgegeben wurden. Der erste Fehler, ein theoretisch unbedeutender. Es waren 602.

Andreas Babler im Wechselbad der Gefühle: Zweiter, womöglich Erster und dann doch fix SPÖ-Chef. In einer ersten Reaktion forderte er am Montag eine genaue Prüfung der Ergebnisse, am Dienstag akzeptiert Babler dann die Conclusio der Wahlkommission.
Andreas Babler im Wechselbad der Gefühle: Zweiter, womöglich Erster und dann doch fix SPÖ-Chef. In einer ersten Reaktion forderte er am Montag eine genaue Prüfung der Ergebnisse, am Dienstag akzeptiert Babler dann die Conclusio der Wahlkommission. Somit ist der Traiskirchner Bürgermeister ab sofort der dreizehnte Parteichef der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) – mitverantwortlich dafür dürfte auch seine packende Rede auf dem Parteitag in Linz gewesen sein.
REUTERS / Lisa Leutner

"Mit 279 Stimmen und 46,81 Prozent darf ich unseren Genossen Andreas Babler beglückwünschen", sagt Grubesa. Leiser Applaus brandet auf. Babler zuckt kurz, blinzelt, bemüht sich, die Fassung zu bewahren, drückt sich an seine Frau; Tränen stehen in seinen Augen. Er wurde gerade zum neuen Vorsitzenden der SPÖ gewählt. Bloß weiß das niemand.

Von Jubelchören begleitet, betritt Doskozil die Bühne – als Sieger. Mit dem Aufstieg zum obersten Sozialdemokraten Österreichs gehe für ihn ein "Lebenstraum" in Erfüllung, sagt er. Doskozil bittet Babler zu sich. Es soll eine erste Geste des "Aufeinanderzugehens" darstellen. In der SPÖ tobt nicht nur ein Machtkampf, zeitgleich wütet ein Richtungsstreit. Doskozil verkörpert die rechte, Babler die linke Seite des roten Spektrums.

Die fehlende Stimme

Die beiden Männer umarmen einander zaghaft. Babler beklatscht artig seinen Kontrahenten. Nach 30 langen Sekunden verlässt er die Bühne wieder. Bei seinem Abgang streckt er die rechte Faust empor, begleitet von frenetischem Jubel für beide Kandidaten. Für Babler ist der Traum geplatzt. Scheinbar.

Eine halbe Stunde später ist die Halle geräumt, zurück bleiben ein paar Journalisten – und die Frage, was mit "der einen Stimme" passiert ist. Denn: Addiert man die Stimmen Bablers und Doskozils, die eingeblendet wurden, ergibt das um eins weniger, als es gültige Stimmen gab. Wohl keine große Sache, aber Grubesa bittet Mitarbeiter der Parteizentrale, zu der die Stimmzettel gebracht werden, noch einmal nachzuzählen, um das Problem mit der fehlenden Stimme zu klären. Sie werden es sein, die Grubesa Montagvormittag über den gravierenden Fehler informieren.

"Ich muss berichten, dass mir ein weiterer außerordentlicher Fehler aufgefallen ist." 
Michaela Grubesa, ehemalige Leiterin der roten Wahlkommission

Nach dem Parteitag halten Hans Peter Doskozil und sein Team auf dem Weg von Linz nach Eisenstadt bei der Raststation Steinhäusl in Niederösterreich. Rund 40 Funktionärinnen und Funktionäre sollen sich dort noch getroffen, etwas gegessen und auf Doskozil angestoßen haben. Doskozil selbst trinkt selten Alkohol, er bestellt in der Raststätte bloß einen Apfelsaft. Sogar einige Wiener Delegierte sollen bei der Feier dabei gewesen sein – insofern berichtenswert, als Wiens Bürgermeister Michael Ludwig als mächtigster Kritiker Doskozils, sein parteiinterner Feind gilt. Auch in der Raststätte wird kurz über die fehlende Stimme gesprochen. Sorgen macht sich niemand, liegen zwischen Doskozil und Babler doch vermeintlich 37 Stimmen.

"Bist du wahnsinnig"

Babler und seine Fans feiern zu dieser Zeit in der Linzer Innenstadt. Im Gastgarten eines Lokals wird Babler mit Jubel und Applaus empfangen. Mit dabei ist auch die Sozialistische Jugend, der rote Parteinachwuchs, in dem Babler vor mittlerweile 34 Jahren seine ersten politischen Schritte unternahm. Gemeinsam werden in Linz zwei, drei Stunden lang Spritzer getrunken, es wird gegessen, getratscht.

Babler, seine Frau und ihre Anhängerschaft lassen Revue passieren, was sie in den vergangenen Wochen erreicht haben. Bablers höchste Funktion in der SPÖ ist bisher sein Bundesratsmandat – in der Länderkammer des Parlaments sitzt er seit April dieses Jahres. Dass ein Bürgermeister, der sich als Parteirebell einen Namen gemacht hatte, nun knapp davor war, die SPÖ zu übernehmen, wird trotzdem als Erfolg gefeiert.

Die Gefühlslage Bablers gleicht einer Achterbahnfahrt. "Bist du wahnsinnig", habe er einerseits gedacht. "47 Prozent ist schon stoak" für eine Bewegung, die weder über einen großen Parteiapparat noch über viel Geld und nur über eine Handvoll Mitarbeiter verfüge. Gleichzeitig breitet sich unter seinen Anhängerinnen und Anhängern Enttäuschung aus: Das Ergebnis ist knapp. Hätte Babler 19 Delegierte mehr überzeugt, ihn statt Doskozil zu wählen, wäre er der Sieger – das ist damals die Annahme. "Hat gutgetan", sagt Babler über das Treffen in Linz. Mit Alkohol stößt auch er nicht an. Babler ist selbst mit dem Auto angereist und muss auch bei der Heimfahrt hinters Steuer.

Ein kurzer Händedruck, eine distanzierte Umarmung: Beim Parteitag bat Doskozil Babler als vermeintlicher SPÖ-Chef für ein erstes
Ein kurzer Händedruck, eine distanzierte Umarmung: Beim Parteitag bat Doskozil Babler als vermeintlicher SPÖ-Chef für ein erstes "Aufeinanderzugehen" der Lager auf die Bühne.
Heribert Corn

Tags darauf, am Sonntag, plant das Team Doskozil bereits die Zukunft der Sozialdemokratie. Intensiv wird in Eisenstadt über Posten in der Bundespartei verhandelt, Doskozil fährt am Abend nach Wien und setzt sich in die ZiB 2.

Babler verbringt den Tag ganz anders. Er wird er als Bürgermeister einen neuen Spielplatz in Traiskirchen eröffnen. Auf die vielen Kinder habe er sich schon "total gefreut", erzählt er. Auch eine Zaubershow ist geplant. Kinderrechte sind eines von Bablers Kernthemen. "Auch Kinder sind keine Bittstellerinnen und Bittsteller", hat er bei seiner Parteitagsrede ins Mikrofon gerufen.

Es war ziemlich genau der Moment, als vielen im Raum bewusst wurde, dass Babler womöglich gerade die Stimmung dreht. Im Vorfeld hieß es: Doskozil werde schon gewinnen, vermutlich 60 zu 40 Prozent. Während Bablers Rede kamen immer größere Zweifel auf. Gewinnt doch noch der Underdog?

Verpatzter Start

Dienstag, 6. Juni, 15.21 Uhr. Andreas Babler betritt den Medienraum des roten Parlamentsklubs. Er ist Parteichef. Die neue Leiterin der SPÖ-Wahlkommission, Klaudia Frieben, die nach Grubesas Rücktritt übernahm, hat gerade bekanntgegeben, dass alle Zweifel ausgeräumt seien. Babler habe gewonnen, das Ergebnis war nur spiegelverkehrt dargestellt worden. Er habe, erzählt Babler, erst kurz bevor er zu diesem Rednerpult ging, realisiert, dass es wirklich stimmt. Dass es eine historische Panne gegeben hat. Dass er der Gewinner war, von Beginn an, auch wenn es noch keiner wusste.

Die Aufklärung ist einer eigentlich unbedeutenden "verlorenen" Stimme geschuldet, die bei der Übertragung in ein Excel-Sheet verlorenging. Weil eine Zahl falsch eingetippt wurde. Die Suche nach dieser Stimme hat einen Fehler verhindert, der nicht nur zwei Lebensgeschichten vertauscht, sondern womöglich die Zukunft der Republik verändert hätte.

"Ich habe als Vorsitzender kandidiert, um unserer Partei Einigkeit, Stolz und Würde zurückzugeben."
Andreas Babler, nachdem er als 13. Vorsitzender der SPÖ endgültig bestätigt wurde

Schlussendlich ist alles noch relativ gut ausgegangen. Was, wenn das alles erst in einem Jahr aufgefallen wäre? Oder nie?

Zurück bleiben trotzdem viele Verwundete: Hans Peter Doskozil, der nur einen kurzen Tag lang glauben durfte, SPÖ-Chef zu sein.

Die Mitglieder der Wahlkommission, die von der Kronen Zeitung mit Foto und Namen als "Kommission des Versagens" vorgeführt werden. Und nicht zuletzt Michaela Grubesa, über die sich viel persönliche Häme ergießt.

Aber auch Andreas Babler hat etwas verloren: den unbeschwerten Zauber des Neuanfangs, der frischen Parteichefs normalerweise einen satten Bonus in der öffentlichen Wahrnehmung beschert. Er übernimmt nun eine Partei, die nicht nur tief zerstritten, sondern Gegenstand heftigen Spotts ist. Seine erste Aufgabe, wie er selbst sagt: So eine Katastrophe dürfe sich nicht mehr wiederholen. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 10.6.2023)