Zum derzeitigen Asylsystem in der EU besteht in einem Punkt politische Einigkeit, von links bis extrem rechts: So wie es ist, funktioniert es nicht. Nach wie vor werden die Ankunftsländer an den Außengrenzen von den meisten anderen Mitgliedsstaaten alleingelassen: Eine Verteilung von Asylsuchenden innerhalb der Union gibt es nicht.

Auch umgekehrt läuft es schlecht. Das Dublin-System, laut dem der Ersteintrittsstaat für die Abwicklung eines Asylverfahrens zuständig ist, wirkte zuletzt so leblos wie der nämliche Papagei in Monthy Python’s Flying Circus.

Insofern ist die Einigung der EU-Innenminister am Donnerstag in Luxemburg ein sinnvoller, weil überfälliger Schritt. Ohne ein einigermaßen funktionierendes, unionsweites Asylmanagement setzen sich die gefährlichen Zustände für Flüchtende auf den Menschenhändler- und Schlepperrouten ungebremst fort. Und verunsicherte Bürgerinnen und Bürger laufen weiter in Scharen den Rechten zu.

Haben auf eine gemeinsame Lösung gedrängt: die deutsche Innenministerin Nancy Faeser und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson (rechts).
AP/Virgina Mayo

Besagte Luxemburger Übereinkunft nun, die am Freitag noch nicht in voller Länge schriftlich vorlag, skizziert ein sehr ungleichgewichtiges Asylsystem. Eines, das viel neuen Druck auf die Flüchtenden ausübt, aber weit weniger Verbindlichkeit für Staatskanzleien vorsieht, die sich unionsweiten Verteilungsregeln weiter verweigern; den ersten Theaterdonner aus Ungarn gab es diesbezüglich noch am Einigungsabend.

Geflüchtete sollen künftig an den Außengrenzen aufgehalten werden. Dazu wird es viele neue Zäune und andere Verstärkungen brauchen. Das prinzipielle Okay dafür wurde bereits beim Migrationsgipfel im heurigen Februar erteilt. Wer aus Ländern mit EU-weit hoher Asylgewährungswahrscheinlichkeit stammt, kommt sofort ins Asylverfahren. Menschen aus anderen Staaten werden in Aufnahmelager "mit haftähnlichen Bedingungen" transferiert.

Das ist der erste Pferdefuß. "Haftähnliche Bedingungen" laufen auf Freiheitsentzug hinaus. Für den braucht es klar definierte Gründe, und er muss so kurz wie möglich sein. Ob die insgesamt sechs Monate, die ein Außengrenzschnellverfahren mit anschließender Abschiebehaft laut der Innenminister-Einigung dauern darf, diesen Kriterien entsprechen, ist äußerst hinterfragenswert. Höchst problematisch erscheint auch, dass Familien mit Kindern von den Einsperrplänen nicht ausgenommen wurden. Beides wird die europäischen Höchstgerichte beschäftigen, so solche Regelungen wirklich kommen.

Das ist die zweite Unabwägbarkeit in Zusammenhang mit dem Innenministerpapier. Auf dem Weg durch die EU-Entscheidungsgremien ist es lediglich der erste Schritt, sodass eine Umsetzung vor Mitte 2024 unwahrscheinlich ist. Als Nächstes wird sich das Europaparlament damit beschäftigen, das in Asylfragen bis dato meist menschenrechtlich strenger und progressiver als der EU-Rat war.

Das alles prägt auch die Relevanz der Einigung für das Asylwesen in Österreich. Bis auf weiteres wird sich dadurch hierzulande überhaupt nichts ändern. Und zwar auch atmosphärisch nicht, was angesichts des Emotionalisierungspotenzials des Flüchtlingsthemas kein Nebenschauplatz ist. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) kann sich noch so bemüht als harter EU-Asylverhandler darstellen. Die rechtsextremen "Festungs"-Slogans der FPÖ werden – wohl erfolgreich – weiterklingen. (Irene Brickner, 9.6.2023)