Der Fall Lindemann reißt Abgründe auf: jene der alltäglichen Misogynie, die prinzipiell nicht dem mutmaßlichen Opfer Glauben schenkt, sondern dem gefeierten Idol. Alles Schlampen, die auf Konzerte gehen! Und auf diese Partys sowieso! Es kommt für manche vermutlich sehr überraschend: Auch eine Frau, die auf das harte lyrische Ich steht, steht womöglich nicht auf reale sexuelle oder psychische Gewalt.

Rammstein Konzert München
Rammstein auf Tour, unter anderem in München - hier vor dem Konzert am 8. Juni.
EPA / Anna Szilagyi

Rekrutierung junger Frauen

Wer zur Aftershow-Party eingeladen wird, muss auch nicht damit rechnen, dort einen Filmriss und Verletzungen zu erleiden. Nicht einmal, dass auf solchen Partys überhaupt jemand zwingend Sex erwartet. Auch wenn der Leadsänger eine noch so große Fixierung auf das beste Stück zeigt. Eine Frau, die zur besagten Afterparty kommt, ist aber offenbar prinzipiell eine, die musikalisch einen zu kurzen Rock getragen hat. Case closed. Aber nicht nur die Row-Zero-Besucherin ist per se schuldig: In weiterer Drehung des frauenverachtenden Ansatzes war im Fall Lindemann jene Alena Makeeva, die eine grausliche und gewichtige Rolle bei der Rekrutierung der jungen Frauen gespielt haben soll, zuerst von Till Lindemann öffentlichkeitswirksam verbannt und dann in Medien als böse Fee, quasi als Verantwortliche bezeichnet worden. Ohne sie wäre alles paletti gewesen und Lindemann hätte bestimmt mit Wollschäfchen hinter der Bühne gespielt, bevor er brav im Hotel schlafen gegangen wäre.

Aber überall lauert nun mal die böse Eva mit dem Apfel. (Julya Rabinowich, 11.6.2023)