Wer immer das Neueste vom Neuen haben will, der ist bei Debian an der falschen Stelle. Der Klassiker unter den Linux-Distributionen setzt stattdessen auf ganz andere Werte. Stabilität wäre so einer. Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit sind andere. Entsprechend langsam mahlen die Mühlen im Vergleich zu den Ubuntus und Fedoras dieser Welt. Jedes Stück Software will ausführlich getestet werden, bevor es bei den Nutzerinnen und Nutzern landet.

Debian 12

Nun ist es aber wieder einmal an der Zeit für einen Generationswechsel: Knapp zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Debian 11 gibt es nun mit Debian 12 "Bookworm" den nächsten großen Versionssprung. Und wie es sich für so einen langen Releasezyklus gehört, sind dafür natürlich jede Menge Neuerungen zusammengekommen.

Der Default-Desktop von Debian 12 ist GNOME 43, hier in der Aktivitätsübersicht zu sehen
Proschofsky / STANDARD

Die wichtigste ist fast schon ein philosophischer Wandel: Im Default-Installationsmedium wird erstmals auch nicht-freie Software mitgeliefert. Damit stellt man sich der Realität, dass viele aktuelle Systeme ohne proprietäre Firmware oder entsprechende Grafiktreiber nur begrenzt gut – oder manchmal auch gar nicht richtig – laufen. Ein Schritt, der die Installation eines Debian-Systems auf aktueller Hardware erheblich erleichtert. Wer damit ein grundlegendes Problem hat, kann auf diese Komponenten natürlich leicht verzichten.

Strukturelle Änderungen

Zu den weiteren strukturellen Änderungen gehört, dass der Bootloader Grub nun nicht mehr automatisch Einträge für andere Betriebssysteme anlegt. Das mag für manche betrüblich sein, Realität ist aber auch, dass das zu Problemen geführt hat. Zudem wird das eigenständige Logging-Tool Rsyslog nicht mehr von Haus aus genutzt, kann etwa nach Upgrades auch problemlos entfernt werden. Stattdessen verweist man auf die Möglichkeiten von Journalctl, das als Teil von Systemd ohnehin mitgeliefert wird. All diese Änderungen sind im Detail in den Release Notes nachzulesen.

Der zentrale Teil jeder neuen Debian-Release sind aber natürlich die Aktualisierungen der enthaltenen Softwarekomponenten. Und derer gibt es jede Menge. So wird jetzt der aktuelle Long-Term-Support-Kernel – also Linux 6.1 – genutzt. Bei Debian 11 ist es noch 5.10, was übrigens älter ist, als das, was selbst bei manch aktuellen Android-Smartphones verwendet wird.

Desktop

Bei einer Distribution, die dermaßen viele Optionen bietet, ist es natürlich immer schwer, von einem Default-Desktop zu reden. Aber wer sich bei der Installation durch die Voreinstellungen klickt, der bekommt GNOME auf den Rechner. Das mit Debian 12 sogar in einer fast aktuellen Version.

Ein bisschen viel wird vorinstalliert bei einem Default-Desktop
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GNOME 43 wird geboten, was ein massives Update zum GNOME 3.38 in Debian 11 darstellt. Seitdem sind viele neue Features hinzugekommen, der Desktop hat zahlreiche Performance-Verbesserungen erfahren und einige der Kernprogramme wurden grundlegend umgestaltet. Damit einhergeht auch der Wechsel auf Pipewire als Audio-Server. Aktuell ist übrigens GNOME 44, das im März veröffentlicht wurde, was für die ausführlichen Tests von Debian aber schon zu spät war.

Alternativ stehen auch das aktuelle KDE Plasma 5.27 sowie Mate 1.26 oder Xfce 4.18 zur Verfügung – um nur ein paar der vielen Optionen zu nennen. Weitere signifikante Updates aus Softwareperspektive sind die Aufnahme von LibreOffice 7.4 (statt 7.0) sowie des Bittorrent-Clients Transmission in Version 3.0.

Basis

Für viele Debian-User wohl noch wichtiger sind die Neuerungen jenseits des Desktops. Da wäre etwa das Update auf die GCC 12 (statt GCC 10) sowie die Glibc 2.36. Nginx gibt es in der Version 1.22, Python 3.11.2 und Samba 4.17 sind ebenfalls mit dabei.

Laut der offiziellen Ankündigung sind seit Debian 11 mehr als 11.000 neue Pakete in die Quellen der Distribution aufgenommen worden. Damit stehen derzeit exakt 64.419 einzelne Pakete zur Verfügung. Das Wachstum im Vergleich zum Vorgänger ist dabei übrigens nicht gar so groß, wie es diese Zahlen nahelegen. Wurden doch parallel dazu rund 10 Prozent aller zuvor gebotenen Pakete als obsolet markiert und somit gestrichen.

Installation

Wer Debian 12 installieren will, dem steht auf der Webseite eine rund 700 MByte große Datei zum Download, die dann etwa auf einem bootbaren USB-Stick eingerichtet werden kann. Diese enthält einen grafischen Installer, der zwar nicht ganz so einfach zu benutzen ist, wie die entsprechenden Tools von Ubuntu und Co., eine allzu große Hürde sollte er trotzdem nicht darstellen. Mit ein bisschen Basiswissen kann man sich auch hier recht schnell durchklicken.

Die Installation ist nicht sonderlich schwer, aber doch ein bisschen komplizierter als bei Ubuntu oder Fedora.
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Auf diesem Image ist natürlich nicht alles enthalten, was es so im Debian-Universum gibt. Fehlende Pakete für die Installation werden einfach bei Bedarf nachgeladen.

Was etwas verwundert ist, wie viel Software Debian noch immer auf einem Default-Desktop installiert. So landen etwa bei der GNOME-Wahl jede Menge – zum Teil auch gar nicht mehr gewartete – Spiele auf dem Datenspeicher. Gerade für eine solch konservativ gewartete Distribution wäre wohl eine etwas schlankere Programmliste passender. Andererseits lässt sich all das natürlich problemlos nachträglich entfernen, stellt also jetzt auch nicht das ganz große Problem dar.

Upgrade

Bestehende Debian-Systeme können wie gewohnt direkt aus dem System auf die neue Softwaregeneration aktualisiert werden. Wie immer sei dabei dringend ein Backup im Vorfeld angeraten, um bei etwaigen Problemen das System wiederherstellen zu können.

Wer will kann sich die Software schon bei der Installation bis ins Detail individuell zusammenstellen.
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Wessen System ursprünglich bereits vor längerem angelegt wurde (vor Debian 10), der muss sich beim Upgrade auf eine größere Reorganisation einstellen. Mit Debian wird nun nur mehr jene Dateisystemhierarchie unterstützt, bei der Verzeichnisse wie /bin, /sbin und /lib unter /usr zu finden sind. Das wird beim Upgrade automatisch angepasst, an den alten Orten stehen künftig nur mehr Symlinks.

Und noch ein Hinweis: Wer ein Upgrade durchführt, der sollte auch gleich die Quelle für "non-free-firmware" hinzufügen – so das gewünscht ist, versteht sich. Diese fehlt sonst im Vergleich zu einer frischen Installation von Debian 12.

Auswahl

Debian zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass es in einer Vielzahl an unterschiedlichen Varianten verfügbar ist. So werden neun unterschiedliche Prozessorarchitekturen unterstützt von 32- und 64-Bit x86 über ARM bis zu MIPS und PowerPC. Auch eigene Versionen für diverse Cloud-Umgebungen gibt es.

Debian 12 soll mindestens fünf Jahre lang unterstützt werden, frühestens im Juni 2028 enden also die Updates. Das heißt auch: Wer derzeit Debian 11 nutzt, muss noch keinen allzu großen Stress haben. Selbst der Mainstream-Support für die nun nicht mehr ganz aktuelle Version sollte noch bis Juli 2024 laufen, der Long-Term-Support dann noch mindestens zwei Jahre länger. (Andreas Proschofsky, 11.6.2023)