Silvio Berlusconi
Eine Aufnahme von Silvio Berlusconi aus dem Jahr 2019.
APA/AFP/MIGUEL MEDINA

Rom – Silvio Berlusconi ist am Montagvormittag um 9.30 Uhr verstorben. Am Freitag war er – einmal mehr – in das Mailänder Krankenhaus San Raffaele eingeliefert worden: Er litt seit längerem an Leukämie. Nach der Todesnachricht sendeten die italienischen TV-Stationen Nachrufe und Würdigungen in Endlosschleife – das Land schien stillzustehen.

Das mag erstaunen, denn in letzter Zeit war es um den 86-jährigen Mailänder ruhiger geworden: In der Regierung von Giorgia Meloni hatte Berlusconi nur noch die zweite Geige gespielt. Aber es hatte eine Zeit gegeben, in der sich in Italien alles um ihn drehte: die Politik, die Wirtschaft, der Fußball, die Medien, der Klatsch. "Es fällt schwer, sich Italien ohne Silvio Berlusconi vorzustellen", schrieb die römische "Repubblica", die gegenüber dem Verstorbenen immer sehr kritisch gewesen war.

Silvio Berlusconi: Ein Videonachruf.
DER STANDARD

Baulöwe, Medienunternehmer, Politiker

Der ehemalige Staubsaugerverkäufer und Entertainer, der es in den 1970er- und 1980er-Jahren als Baulöwe und Medienunternehmer zum Multimilliardär und 1994 erstmals auch zum Regierungschef gebracht hatte, polarisierte das Land wie kein anderer vor ihm in der Nachkriegszeit. Sachlich über Berlusconi zu reden oder zu schreiben war im Belpaese beinahe unmöglich: Seine Gegner verachteten und hassten ihn, seine Anhänger bewunderten und liebten ihn. Der "Cavaliere" war für die Italienerinnen und Italiener fast ausnahmslos eine Obsession.

Und auch Berlusconi selbst war besessen: von sich selbst. Der Sohn eines Bankangestellten musste überall der Beste sein: Als Unternehmer wurde er vorübergehend der reichste Mann Italiens, als Eigentümer des Fußballvereins AC Milan gewann er die meisten Meistercup- bzw. Champions-League-Pokale (fünf). Er wollte immer und von allen geliebt werden – besonders von den Frauen, gegebenenfalls auch gegen Bezahlung.

Berlusconi bei der Meisterfeier seines AC Milan im Jahr 1988.
AP / Ferdinando Meazza

Auch in der Politik stellte er Rekorde auf: Als erster und bisher einziger Regierungschef seit der faschistischen Mussolini-Ära brachte er im notorisch instabilen Italien das Kunststück zustande, eine ganze Legislaturperiode (2001 bis 2006) durchzuregieren. Insgesamt war Berlusconi 3.336 Tage lang Premier – auch das eine Bestmarke. Seiner Selbsteinschätzung nach war er der "beste Ministerpräsident der letzten 150 Jahre".

Der Komplize Italiens

Berlusconi wurde im Frühling 1994 zum ersten Mal an die Spitze einer italienischen Regierung gewählt. Mit der von ihm gegründeten und bis zuletzt de facto absolutistisch geführten liberalkonservativen Forza Italia füllte er das politische Vakuum, das nach dem Tangentopoli-Korruptionsskandal mit dem Sturz der Craxi-Sozialisten und der konservativen Democrazia Cristiana (DC) entstanden war. Doch schon damals befand sich Berlusconi im Visier der Staatsanwälte. "Wäre Silvio nicht in die Politik gegangen, dann wären wir entweder im Kerker oder unter einer Brücke geendet", gestand der langjährige Berlusconi-Vertraute Fedele Confalonieri einmal offenherzig.

Silvio Berlusconi mit Angela Merkel im Jahr 2008.
APA / AFP / Giuseppe Cacace

Insgesamt war Silvio Berlusconi in gut zwei dutzend Prozessen angeklagt – ein Skandal jagte den anderen. Ein Mafiakiller war einige Zeit lang in Berlusconis Villa in Arcore als Stallmeister angestellt. Und doch haben ihn die Italiener immer wieder gewählt: 1994, 2001 und 2008. Berlusconis Erfolgsrezept fasste der Publizist Beppe Severgnini einmal so zusammen: "Er ist eine Art Synthese aller Gewohnheiten, Laster und Tugenden der Italiener. Er hat eine unglaubliche Fähigkeit, das soziale Geflecht der Italiener zu begreifen. Er vergibt uns unsere Sünden und hält keine Moralpredigten: Er macht uns zu seinen Komplizen." Und der linke Liedermacher und Schauspieler Giorgio Gaber drückte es einmal so aus: "Non temo Berlusconi in sé – temo Berlusconi in me." ("Ich fürchte nicht Berlusconi als solchen – ich fürchte den Berlusconi in mir.")

Ein politischer Staubsauger

Wie ein politischer Staubsauger hat sich der im Grunde doch ziemlich unpolitische Berlusconi nach 1994 alles einverleibt, was zwischen der Mitte und der extremen Rechten des Spektrums eine neue politische Heimat suchte: Er recycelte in seiner Forza Italia abgewirtschaftete Sozialisten und Christdemokraten; er machte die damals von Gianfranco Fini angeführten Postfaschisten salonfähig; er holte die Manager seiner Werbefirma Publitalia und die Showsternchen seiner Privatsender in die Regierung. Den Wählerinnen und Wählern versprach er, das Land wie eine Aktiengesellschaft zu führen, deren Aktionäre sie, die Bürgerinnen und Bürger, seien. Ein griffiger Slogan – aber in Wahrheit dachte Berlusconi immer nur an die eigene Dividende: Er regierte Italien, als handle es sich um einen Familienbetrieb und Selbstbedienungsladen.

Am Ende war Italien praktisch pleite – und der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano sah sich im November 2011 gezwungen, den durch seine Sexskandale und Prozesse politisch gelähmten Premier abzusetzen. Später folgten eine letztinstanzliche Verurteilung wegen Steuerbetrugs, ein langjähriges Ämterverbot, die zeitweise Verbannung aus dem Senat, der Entzug des Reisepasses und der Sozialdienst in einem Heim für Demenzkranke.

Altersmilde und staatsmännisch

Es hat lange gedauert, bis sich der Cavaliere politisch und moralisch von seinem Sturz und seinen Affären erholt hat. In den vergangenen Jahren fand Berlusconi aber – altersmilde geworden und mit der Ambition, Staatspräsident zu werden – eine neue Rolle für sich: Er gab sich, für seine Verhältnisse, staatsmännisch und respektvoll gegenüber den Institutionen.

Sein Traum vom Amt des Staatspräsidenten platzte Anfang 2022 definitiv – und im Ausland wurde Berlusconis Wirken spätestens nach dem Auffliegen der Ruby- bzw. Bunga-Bunga-Affäre ohnehin nur noch als eine Art italienische Freakshow wahrgenommen. Auch seine langjährige enge Freundschaft zu Russlands Präsident Wladimir Putin, von der er nicht einmal ablassen konnte, als dieser den Angriff auf die Ukraine befahl, schadete im In- und Ausland seinem Ansehen.

Auf seine Weise war Berlusconi dennoch eine Figur der Avantgarde: "Sua Emittenza" (ein Wortspiel aus Eminenz und dem italienischen Wort für TV-Sendeanstalt), wie er ironisch genannt wurde, hat Italien in eine "Mediokratie" verwandelt, in der nicht mehr Parteien und Politprogramme, sondern nur noch Personen, Geld und Berühmtheit zählen. Er war mit seinen Privat-TV-Sendern zugleich Schöpfer und Geschöpf dieser modernen "Unterhaltungsdemokratie".

Silvio Berlusconi, so schrieb der US-Autor und Italien-Kenner Alexander Stille in seinem Buch "Citizen Berlusconi", möge als bizarre, unverständliche und ausschließlich in Italien vorstellbare Figur erscheinen. "Aber er hat zahlreiche politische Tendenzen unserer Tage vorweggenommen." Stille veröffentlichte sein Buch bereits im Jahr 2006 – und das Beispiel von Donald Trump belegt, dass seine Analyse heute gültiger ist denn je. (Dominik Straub aus Rom, 12.6.2023)